Durch eine Aussetzung der Patente für Impfstoffe könnte auf lange Sicht weltweit deutlich mehr Impfstoff produziert werden.Bild: dpa / Angelika Warmuth
International
06.05.2021, 07:5306.05.2021, 08:00
Für den Kampf zur weltweiten Eindämmung
der Pandemie unterstützt die US-Regierung die Aussetzung von Patenten
für die Corona-Impfstoffe. Die USA stünden hinter dem Schutz
geistigen Eigentums, die Pandemie sei aber eine globale Krise, die
außerordentliche Schritte erfordere, erklärte die
US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch. Das Ziel sei, "so
viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie möglich zu so
vielen Menschen wie möglich zu bringen", sagte Tai.
Impfstoffverteilung in der Welt noch sehr ungleich
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom
Ghebreyesus, sprach von einer "historischen Entscheidung" der USA.
Damit könne der globalen Ungleichheit bei der Verteilung der
Impfstoffe begegnet werden, um gemeinsam daran zu arbeiten, "diese
Pandemie zu beenden", schrieb er auf Twitter. Hilfsorganisationen,
darunter zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen, hatten zuvor vehement eine
Aussetzung der Patente gefordert.
Die Handelsbeauftragte Tai erklärte, die USA würden sich im
Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) für die Erstellung eines
Abkommens zur Aussetzung der Patente einsetzen. Wegen des
Konsensprinzips der WTO und der Komplexität der Materie könnte dies
aber zeitaufwendig werden, warnte sie. Den USA kommt bei den
Verhandlungen als weltgrößte Volkswirtschaft eine Schlüsselrolle zu.
Nun dürfte auch der Druck auf andere Nationen und die EU steigen.
Zudem hält die US-Regierung nach Medienberichten über das
Forschungsinstitut NIH die Rechte an einer Erfindung, die als
Voraussetzung der modernen mRNA-Impfstoffe der Hersteller Moderna
und Biontech/Pfizer gilt.
Mehr als 100 WTO-Mitgliedsländer wollen die Patente für die
Impfstoffe aussetzen, damit mehr Firmen in mehr Staaten Impfstoffe
herstellen können. Wichtige Herkunftsländer der Pharmaindustrie wie
auch die USA blockierten das von Südafrika und Indien angestoßene
Vorhaben bislang. Ärmere Staaten werfen den Industrieländern vor, die
vorhandene Impfstoffproduktion aufgekauft zu haben und eine Erhöhung
der Produktion durch den Schutz der Patente unmöglich zu machen.
Langfristige Produktion könnte stark gesteigert werden
Der Kursschwenk der US-Regierung dürfte nicht kurzfristig zu mehr
weltweit verfügbaren Impfstoffen führen. Sollte sich die WTO aber auf
eine Aussetzung der Patente einigen, könnte dies die langfristige
Produktion deutlich ankurbeln. Tai erklärte zudem, die US-Regierung
werde sich nun, da die Versorgung der eigenen Bevölkerung garantiert
sei, weiter in Zusammenarbeit mit den Unternehmen dafür einsetzen,
die Produktion anzukurbeln. Wir werden "auch daran arbeiten, die
Produktion der für die Herstellung der Impfstoffe nötigen Rohstoffe
zu steigern", erklärte sie weiter.
Konkret geht es bei dem Streit bei der WTO in Genf um das
Übereinkommen zu handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen
Eigentums (TRIPS-Abkommen). Mit diesen und anderen Vereinbarungen
will die WTO den freien Handel in geordnete Bahnen regeln.
Pharmaunternehmen sprechen von Untergrabung der Pandemiebekämpfung
Die Vertretung der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) kritisierte die
Entscheidung der Regierung als "beispiellosen Schritt, der unseren
globalen Kampf gegen die Pandemie untergräbt". Das Vorgehen werde
keine Leben retten, sondern die Lieferketten der Hersteller weiter
schwächen und zur Verbreitung gepanschter Impfungen führen, warnte
Verbandschef Stephen Ubl. Aktien der Impfstoffhersteller Pfizer,
Moderna und Novavax brachen nach Tais Ankündigung teils deutlich ein.
Hersteller wie Pfizer und Moderna machen mit ihren Impfstoffen
bereits satte Gewinne. Sie argumentieren, dass Patente nötig seien,
um die hohen Investitionen der Forschung zu refinanzieren. Zudem
führe eine Aufhebung der Patente nicht automatisch zu mehr Impfstoff,
erklären die Pharmakonzerne. Sämtliche qualifizierten Hersteller
seien bereits mit Lizenzen in die Produktion eingebunden, heißt es.
Zudem sei vor allem die Produktion der mRNA-Impfstoffe sehr komplex.
Sie argumentieren auch, dass für ein Ankurbeln der Produktion derzeit
viele Rohstoffe fehlten, die für die Herstellung nötig seien. Weil
derzeit bereits ein Vielfaches der normalen Impfstoffproduktion
laufe, gebe es viele Lieferengpässe.
Der internationale Pharmaverband IFPMA sprach am Mittwoch von
einer "enttäuschenden" Entscheidung. Die Aussetzung der Patente sei
eine "simple aber falsche Lösung für dieses komplexe Problem" und
würde die Produktion der Impfstoffe nicht erhöhen, erklärte der
Verband.
Die Europäische Union hatte in dem WTO-Streit um die Aussetzung
der Patente zuletzt um mehr Lizenzverträge zwischen Entwicklern und
Herstellern geworben. Der Kurswechsel der USA dürfte die EU, in der
viele große Pharmakonzerne angesiedelt sind, unter Zugzwang
setzen.
(vdv/dpa)
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