Dieses Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA ist historisch und umstritten gleichermaßen: Universitäten dürfen bei der Auswahl von Studienbewerbern nicht mehr deren Hautfarbe berücksichtigen. Das auf den ersten Blick durchaus einleuchtend wirkende Urteil wird nun nicht ohne Grund kontrovers diskutiert.
Denn: Über Jahrzehnte hinweg haben US-Hochschulen die Hautfarbe als Kriterium im Auswahlprozess verwendet, um einen besseren Zugang von Minderheiten – insbesondere Afroamerikaner:innen – zu gewährleisten. Dies sollte angesichts der historischen Diskriminierung von Minderheiten auch die Vielfalt an den Universitäten fördern. Mit einer konservativen Mehrheit von sechs der neun Verfassungsrichter:innen hat der Supreme Court dieser Praxis nun jedoch einen Riegel vorgeschoben.
Die sogenannte Affirmative Action oder "positive Diskriminierung" wird als Verstoß gegen das verfassungsmäßige Gebot der Gleichheit betrachtet. Während US-Präsident Joe Biden und Politiker:innen der Demokratischen Partei das Urteil heftig kritisieren, jubeln die konservativen Republikaner:innen.
Gerichtspräsident John Roberts schrieb in der Urteilsbegründung:
Die Verfassungsgeschichte "dieser Nation" toleriere diese Auswahl nicht.
Gleichzeitig erklärte der Gerichtshof am Donnerstag, dass Universitäten Berichte von Bewerber:innen berücksichtigen könnten, wie ihre Hautfarbe ihr Leben geprägt habe – jedoch nur in Bezug auf die Charakter-Qualität oder die einmalige Fähigkeit, die sie zur Universität beitragen können.
Das Urteil bezieht sich auf Klagen der Studentenorganisation Students for Fair Admissions (Deutsch: Studierende für faire Zulassungen) gegen die Elite-Universität Harvard und die University of North Carolina (UNC). Die Kläger:innen argumentierten unter anderem, dass Bewerber:innen mit asiatischen Wurzeln aufgrund der auf Afroamerikaner ausgerichteten Auswahlverfahren benachteiligt würden.
Die Affirmative-Action-Maßnahmen wurden in den 1960er Jahren im Rahmen der US-Bürgerrechtsbewegung eingeführt. Das Ziel war es, Afroamerikaner:innen nach Jahrhunderten der Unterdrückung, Diskriminierung und Benachteiligung einen besseren Zugang zu hochwertiger Bildung zu ermöglichen. Auch Hispanoamerikaner und Indigene sollten von den Programmen profitieren.
Diese Programme waren jedoch von Anfang an umstritten. Weiße Studienbewerber:innen argumentierten vor Gericht, dass sie Opfer einer "umgekehrten Diskriminierung" seien. Kritiker:innen führen auch an, dass die Berücksichtigung der Hautfarbe die Unterteilung von Menschen in verschiedene Gruppen zementiere und die Gesellschaft spalte.
Im Jahr 1978 hatte der Supreme Court entschieden, dass Universitäten bei der Auswahl von Bewerber:innen keine festen Quoten basierend auf der Hautfarbe verwenden dürfen. Dennoch könne die Hautfarbe oder ethnische Herkunft als eines von mehreren Kriterien genutzt werden, um Vielfalt unter den Studierenden sicherzustellen.
Es herrscht eine Kontroverse über diese Rechtsinterpretation, selbst innerhalb des höchsten Gerichts. Clarence Thomas, ein Afroamerikaner, vertritt die Auffassung, dass die Verfassung farbenblind sei und die Vergabe von Studienplätzen an schwarze Studierende durch die "Affirmative Action" ein Gefühl der Minderwertigkeit vermittele.
Seine Kollegin Ketanji Brown Jackson, ebenfalls Afroamerikanerin, widersprach vehement, ebenso wie die anderen beiden liberalen Richter. Sie werfen den konservativen Richtern Realitätsferne und Selbstvergessenheit vor, da die strukturelle Benachteiligung der Afroamerikaner:innen in verschiedenen Bereichen nach wie vor besteht und es voraussichtlich noch lange dauern wird, diese zu überwinden.
Die linksliberale Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor kritisierte den Mehrheitsbeschluss scharf und warnte vor einem Rückschritt in Bezug auf den Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte.
Begrüßt wurde das Urteil vom Donnerstag aus den Reihen der konservativen Politik. So sprach der ehemalige Präsident Donald Trump von einem "großartigen Tag für Amerika". Er betonte, dass von nun an nur noch die individuelle Leistung zählen werde. Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, erklärte, dass Studierende jetzt auf der Grundlage gleicher Standards und individueller Leistung konkurrieren könnten.
Und auch die Freude bei der Studentenorganisation, die geklagt hatte, ist groß.
Richard Kahlenberg, ein Experte auf dem Gebiet und selbst Absolvent von Harvard, äußerte die Überzeugung, dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs letztlich zu einem gerechteren und vielfältigeren System führen könnte. Bei CNN erklärte er, dass der Fokus zukünftig weniger auf der Hautfarbe liegen werde, sondern vielmehr der sozioökonomische Status eine entscheidende Rolle spielen würde.
Präsident Biden äußerte sich in einer Fernsehansprache im Weißen Haus "überhaupt nicht einverstanden" mit dem Urteil. Er bezeichnete es als "schwere Enttäuschung" und betonte, dass es eine Abkehr von langjähriger Rechtsprechung darstelle. Auf Twitter schrieb er am Donnerstag:
Biden rief die Universitäten dazu auf, sich weiterhin für eine vielfältige Studentenschaft einzusetzen, angesichts fortbestehender Diskriminierung. Er beauftragte das Bildungsministerium, mögliche Wege dafür zu erkunden. Auch der frühere Präsident Barack Obama, der erste afroamerikanische Präsident der US-Geschichte, zeigte sich enttäuscht über das Urteil.