Seit Sommer 2022 steht die ostukrainische Stadt Bachmut im Fokus russischer Bemühungen.Bild: AP / Libkos
International
07.03.2023, 17:1007.03.2023, 18:52
Seit Sommer 2022 geht es nun schon so: Russische Truppen versuchen mit allen Mitteln, die ostukrainische Stadt Bachmut einzunehmen. Begonnen haben die Bemühungen schon im Mai 2022. Kurz nachdem russische Einheiten die Nachbarstadt Popasna (etwa 30 Kilometer östlich von Bachmut) eingenommen hatten, begannen sie mit der Bombardierung Bachmuts.
Nun ist es März 2023. Tausende Soldat:innen sind bei dem Kampf um diese Stadt gestorben oder wurden verletzt – und zwar auf beiden Seiten: sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer.
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Monatelang wurde die russische Militärführung sogar von Insidern für diesen Abnutzungskrieg kritisiert. Die Söldnergruppe Wagner hatte begonnen, Schwerverbrecher aus russischen Gefängnissen zu rekrutieren. Die meisten von ihnen wurden als Kanonenfutter direkt an die Front geschickt. Etliche sind für den Kampf um die Stadt gestorben. Dabei machten die russischen Truppen monatelang kaum Landgewinn.
Das hat sich mittlerweile allerdings geändert.
Und nun regt sich auch Kritik an der ukrainischen Militärführung. Wie der "Bild"-Redakteur und Kriegsjournalist Paul Ronzheimer herausgefunden haben will, sind selbst ukrainische Insider der Meinung, man hätte sich längst aus der Stadt zurückziehen müssen.
Auch der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala sieht das lange Festhalten an der militärstrategisch unwichtigen Stadt kritisch. "Nicht alles, was passiert, läuft gut und die Situation ist mehr als kritisch", schreibt er etwa auf Twitter.
Dem "Bild"-Bericht zufolge sind sich auch der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj und sein Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht mehr über die Strategie und den Sinn hinter dem Festhalten an der Stadt einig.
Insider: "Gute Nachrichten von unseren Verteidigern aus Bachmut"
Selenskyj hat hingegen in seiner täglichen Videoansprache noch einmal darauf bestanden, Bachmut zu halten.
Informationen zufolge, die watson von Insidern bekam, könnte die lang erwartete Gegenoffensive vermutlich auch schon früher als erwartet starten. Expert:innen rechneten bislang im April mit einer Großoffensive der Ukraine. "Es gibt gute Nachrichten von unseren Verteidigern aus Bachmut", schreibt eine Insiderin gegenüber watson.
Eine lokale Offensivoperation könnte demnach vermutlich in den nächsten Tagen kommen. Mehr wollte die Quelle allerdings nicht preisgeben, um die Militäroperation nicht zu gefährden.
Eine Offensive zum jetzigen Zeitpunkt könnte für die Ukraine tatsächlich von Vorteil sein.
Gerade hatte sich der Chef der Söldnergruppe Wagner äußerst pikiert gezeigt, weil den Kämpfenden offenbar die Munition ausgeht. Bereits in den vergangenen Wochen hatte Jewgeni Prigoschin der russischen Regierung und hier vor allem dem Verteidigungsminister Sergei Schoigu Verrat vorgeworfen. Die Regierung arbeitet Prigoschins Meinung nach gegen ihn und seine Privatarmee. Der Wagner-Boss drohte dem Kreml sogar damit, seine Truppen aus Bachmut zurückzuziehen.
Das käme für die russische Seite zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn eigentlich sieht es gerade besonders schlecht aus für die Ukraine: Bachmut ist fast gänzlich umzingelt. Nur noch eine Straße führt aus der Stadt hinaus, würden Truppen hieraus fliehen wollen, sähen sie sich unter Dauerbeschuss wieder. Das wäre eine tödliche Evakuierungsmission.
Bachmut ist fast gänzlich umzingelt.Bild: Deepstatemap / screenshot Militärisch ist Bachmut eigentlich von keiner großen Bedeutung. Der Grund dafür, dass beide Seiten so sehr an der Stadt festhalten, ist von prestigeträchtiger Natur. Plus: Es gibt ein hohes Salzvorkommen und Salzminen in dieser Region – es gäbe also einen wirtschaftlichen Hintergrund, der aber während eines Krieges noch keine großen Vorteile bringt.
Für Russland würde eine Einnahme einen psychologischen Aufschwung bieten: nämlich einen weiteren Grund, Anspruch auf die gesamte Donbass-Region zu erheben. Das hieße, dass die nächsten großen Ziele dann das westlich gelegene Kostjantyniwka und später das nordwestlich gelegene Kramatorsk sein würden.
Beide Städte stehen überdies bereits seit Monaten unter Beschuss. Allerdings reicht die Entfernung noch nicht aus, um mit günstigen – und demnach deutlich einfacher zu beschaffenen – Waffensystemen zu schießen. Bislang werden also nur vereinzelt Raketen nach Kostjantyniwka oder Kramatorsk geschickt. Etwa am Montagmorgen wurde eine Schule in Kramatorsk zerstört.
Ein Einwohner von Chasiv Yar verlässt seine Heimatstadt.Bild: AP / LIBKOS
Doch zuallererst ist die Kleinstadt Chasiv Yar im Blickfeld der russischen Streitkräfte. Chasiv Yar liegt direkt neben Bachmut, westlich gelegen. Der Ort galt in den vergangenen Wochen als einzig sichere Durchfahrtsstraße für freiwillige Helfende und auch Militärs. Nun steht auch diese Zufahrtsstraße zu Bachmut unter Dauerbeschuss.
Russland konzentriert fast alle Ressourcen auf Bachmut
Für die Ukraine würde ein Rückzug aus Bachmut bedeuten, die vergangenen Monate und die dementsprechend hohen Verluste sind umsonst gewesen. Allerdings stimmt das so nicht ganz. Denn auch das Schwächen des Gegners kann militärische Strategie sein. Bislang hat Russland fast all seine aktuellen Ressourcen auf Bachmut konzentriert. Das zeigte sich auch darin, dass der Kreml seine Einheiten in der südukrainischen Stadt Cherson zurückgezogen hat und sie stattdessen um Bachmut herum stationierte.
Für Präsident Selenskyj ist allerdings klar: "Die ukrainischen Streitkräfte verteidigen jeden Teil der Ukraine und werden dies auch weiterhin tun", das sagte er in seiner Videoansprache. Es werde die Zeit kommen, in der man jede Stadt und jedes Dorf auf ukrainischem Territorium befreien würde.
Die nächsten Wochen sind zumindest für den Kampf um Bachmut entscheidend.
Als wäre der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht schon genug, eskaliert der Konflikt weiter. Nach russischen Angaben hat das Land am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen, eine "Hyperschall-Rakete". Sechs Sprengköpfe schlugen dort ein. Der russische Präsident Putin sagte, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen.