Wegen der Proteste in Haiti warnt das Auswärtige Amt vor einer Reise in dieses Land.Bild: AP / Ramon Espinosa
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"Was kam in Haiti zuerst: das Desaster oder die fremde Intervention?" Die Frage einer Haiti-Korrespondentin bringt das Problem Haitis auf den Punkt. Das Land versinkt in einem Chaos, dessen Ursprünge bis in die Kolonialzeit zurückführen.
Salome Woerlen / watson.ch
Haiti ist das ärmste Land auf dem amerikanischen Kontinent und leidet seit Jahren unter Korruption, Gewalt und Naturkatastrophen. Seit dem verheerenden Erdbeben 2010 mit mehr als 220.000 Todesopfern hängt Haiti am Tropf der Entwicklungshilfe. Jetzt droht das Land mit 11,4 Millionen Einwohnern völlig ins Chaos zu stürzen.
Seit dem Mord am Präsidenten Jovenel Moïse vor mehr als einem Jahr kämpfen Banden brutal um die Kontrolle der Hauptstadt. Tausende Menschen leiden Hunger, mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser, zwei Drittel verfügen nur über begrenzte oder gar keine sanitären Einrichtungen. 4,4 Millionen Menschen haben mangelnden Zugang zu Lebensmitteln, knapp die Hälfte aller Haitianer im Alter von 15 Jahren sind Analphabeten.
Die Liste der Probleme in Haiti ist endlos. Wie konnte es so weit kommen? Die Frage lässt sich nicht ohne historische Kenntnisse beantworten. Doch ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht den langen Schatten, der die Kolonialisierung und die Sklaverei auf die einstige Perle der Karibik geworfen hat. Die Tragödie beginnt 1492 mit der Entdeckung der Insel Hispaniola.
Von der Entdeckung 1492 bis zur Unabhängigkeit
Haiti liegt im karibischen Meer, wo es im Osten an die Dominikanische Republik grenzt. Entdeckt wurde die Insel 1492 vom italienische Seefahrer Christopher Columbus, der die Insel Hispaniola taufte und gleich erste Siedlungen errichtete. Die indigene Bevölkerung zahlte dafür einen hohen Preis: Innerhalb eines Jahrhunderts starb sie beinahe komplett aus.
Auf die Spanier folgten die Franzosen, die Mitte des 17. Jahrhunderts im Westen der Insel mit dem Aufbau von Kolonien begannen. Sie errichteten Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen, für die sie den Urwald von Sklaven abholzen ließen. Im späten 17. Jahrhundert lebten 5000 Sklaven in der französischen Kolonie, der Handel florierte. In der folgenden Zeit wurde immer mehr gerodet, was zu extremen Erosionen führte. Die Folgen sind noch heute spürbar: Nur 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sind noch nutzbar.
Um 1789, dem Zeitpunkt der Französischen Revolution, wurde die Population in der Kolonie auf 556.000 geschätzt. Das Ausmaß der Sklaverei war gigantisch: 500.000 Menschen der Bevölkerung waren afrikanische Sklaven. Lediglich 32.000 waren europäische Kolonialisten und 24.000 waren gemischter Herkunft (Afrika und Europa) – sogenannte Affranchis. Die Sklaven lebten und arbeiteten unter horrenden Bedingungen, ihre Lebenserwartung betrug gerade mal 21 Jahre. So ist es wenig überraschend, dass die Ideale der Französischen Revolution "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" auch in der Karibik Fuß fassten: 1791 begannen die ersten Aufstände.
Eine historische Illustration über die Sklaverei in Haiti, nachdem die Spanier in das Land zogen.Bild: www.imago-images.de / imago images
Es folgte eine turbulente Zeit, die schließlich 1801 in der ersten Unabhängigkeitserklärung endete. Der französische Eroberer Napoleon Bonaparte ließ das jedoch nicht auf sich sitzen und entsandte Kriegsschiffe und Soldaten nach Haiti. Vorerst hatte er Erfolg, doch 1803 gewannen die Rebellen unter dem ehemaligen Sklaven Jean-Jacques Dessalines wieder Überhand. Am 1. Januar 1804 erklärte dieser die Unabhängigkeit: Die Republik Haiti war geboren. Es ist das erste und einzige Mal in der Geschichte, dass die koloniale Sklaverei von den Sklavinnen und Sklaven selbst abgeschafft wurde.
Im Anschluss an die Unabhängigkeitserklärung beorderte Dessalines die Massakrierung der weißen Bevölkerung. Zwischen Januar und April 1804 wurden zwischen 3000 und 5000 Menschen getötet. Nur wenige Weiße überlebten das Massaker, das heute auch als haitianischer Genozid bekannt ist.
1825: Eine folgenreiche Schuld
Für die Kolonialmächte kam dies einem Schock gleich, weshalb sie sich zierten, die ehemalige Kolonie als eigene Republik anzuerkennen. Schlimmer für Haiti sogar: Sie errichteten eine Blockade gegen die neue Republik, um diese zu isolieren und zu unterdrücken.
Auch Frankreich wollte sich nicht so einfach mit dem Verlust ihrer Kolonie abfinden. 1825 sandte der französische König Karl X. eine Flotte in die Karibik, um Haiti zurückerobern. Dort stellte er den amtierenden Präsidenten Jean-Pierre Boyer vor die Wahl: Entweder eine saftige Entschädigungszahlung an Frankreich oder eine französische Invasion. Unter Druck entschied sich Boyer für die Unabhängigkeit und den damit einhergehenden hohen Preis. So musste Haiti – um laut Frankreich die Verluste der französischen Plantagenbesitzer zu begleichen – bis 1887 150 Millionen Francs bezahlen.
Die Zahlungen belasteten die Wirtschaft Haitis schwer. Verschärft wurde die Lage noch durch die Tatsache, dass viele westliche Staaten Haiti noch immer nicht anerkannten. Großbritannien ließ mit dem Schritt bis 1833 warten, die Vereinigten Staaten gar bis 1862.
Der Betrag der Schuld wurde 1838 zwar von 150 auf 90 Millionen reduziert, stellte für Haiti aber noch immer eine immense Summe dar. Um die Zahlungen an Frankreich überhaupt verrichten zu können, war Haiti gezwungen, bei westlichen Banken Kredite zu extrem hohen Zinssätzen aufzunehmen. Um 1900 gingen etwa 80 Prozent des Staatshaushalts auf die Rückzahlung von Krediten drauf, was die Wirtschaft komplett ruinierte. Erst 1947 wurden alle Kredit-Rückzahlungen beendet.
Innere Turbulenzen und Einsatz der USA 1915
1844 machte sich der Osten der Insel unabhängig und wurde zur Dominikanischen Republik. In den folgenden Zeiten ging die haitianische Regierung allerdings immer wieder gegen die neu etablierte Nachbarrepublik vor. Zeitgleich eskalierte die schon seit jeher schwelende Rivalität zwischen den Schwarzen und der Elite gemischter Herkunft im Land zunehmend. Aus den entstehenden Revolten ging der Schwarze Faustin Soulouque als Präsident hervor.
Kaiser Soulouque (4. von links) und seine Kabinettsminister.Bild: www.imago-images.de / imago images
1849 ließ sich dieser zum Kaiser ausrufen, 1850 begann er erneut Feindseligkeiten mit der Dominikanischen Republik. Auch im Inneren des Landes setzte keine Stabilität ein. 1859 wurde Soulouque gestürzt und die Republik unter General Fabre Geffrards wiederhergestellt. Es folgte Putsch auf Putsch – allein zwischen 1911 und 1915 waren sechs verschiedene Präsidenten im Amt. Alle wurden entweder ermordet oder ins Exil verbannt.
1904 kündigte US-Präsident Theodore Roosevelt seinen Nachbarn an, notfalls zu intervenieren, wenn sich fremde Mächte zu sehr in die Angelegenheiten der westlichen Halbkugel einmischten. Als der 1915 amtierende haitianische Präsident Villbrun Guillaume Sam Hunderte Gegner massakrieren ließ und dann selbst von einem Mob gelyncht wurde, griff die USA ein. Sie wollten wohl auch den Einfluss der deutschen Siedler eindämmen, die trotz geringer Anzahl einen großen Teil der Wirtschaft kontrollierte. Die USA besetzten das Land und setzten einen Vertrag auf, in dem Haiti den USA die Zoll- und Finanzhoheit übertrug. Erst 19 Jahre später, 1934, verließen die USA das Land wieder.
Das Land kam auch in der folgenden Zeit nicht zur Ruhe und sah diverse Präsidentschaften, sowie Diktaturen.
Duvalier Diktatur und Einfluss der CIA ab 1986
Nennenswert ist die Diktatur des Arztes François Duvalier, auch bekannt als "Papa Doc", der 1957 mithilfe des Militärs zum Präsidenten gewählt wurde. Ein großer Fokus seiner Politik lag darauf, die Elite zu entmachten, die hauptsächlich aus Haitianern gemischter Herkunft bestand. Dies führte zu einer massiven Abwanderung von Fachkräften und Akademikern, was die wirtschaftlichen und sozialen Probleme verschärfte. 1964 ernannte sich Duvalier offiziell zum Präsidenten auf Lebenszeit. Eine Position, die sein 19-jähriger Sohn, "Baby Doc", nach seinem Tod 1971 übernahm.
Links im Bild: François DuvalierBild: imago stock&people / imago images
Unter ihm setzte sich der wirtschaftliche und politische Zerfall Haitis fort. 1986 zwang die Armee "Baby Doc" zum Rücktritt und verbannte ihn ins Exil. Im Versuch, den Drogenschmuggel in Haiti zu bekämpfen, gründete die CIA noch im selben Jahr den haitischen Geheimdienst (SIN). Die Ausbildung der Geheimagenten durch die USA fruchtete allerdings nicht und der SIN mauserte sich zum Instrument politischen Terrors – und beteiligte sich selbst im Drogenhandel. Der erste Versuch neuer Wahlen scheiterte im November 1987 dann auch am SIN, als dieser mindestens 30 Menschen vor Wahllokalen massakrierte.
Im Dezember 1990 wurde schließlich der römisch-katholische Priester Jean-Bertrand Aristide in einer international als fair anerkannten Wahl zum Präsidenten gewählt. Nur acht Monate später wurde er aber bei einem Coup von der haitischen Armee ins Exil gezwungen. Er wirft den USA vor, sich am Coup beteiligt zu haben. Auch die "New York Times" berichtet in einem Artikel von 1993 von der teilweise undurchsichtigen Beziehung zwischen der CIA und Haiti – insbesondere mit der SIN.
1994: Zweite Intervention der USA
Das Militär war bis 1994 an der Macht, als die USA ein zweites Mal intervenierten und Aristide wieder ins Präsidentenamt hievten. Dieser löste die Armee daraufhin auf und stärkte stattdessen den Polizeiapparat. 1995 wurde das Land unter ein UN-Mandat gestellt, was den Mitgliedsstaaten ein Eingreifen zum Wahren der Sicherheit erlaubte. Sie gründeten zudem eine neue haitianische Polizeitruppe, die allerdings nur ungenügend ausgebildet wurde. Nachdem ein Großteil der US-Truppen abgezogen worden war, verfiel die Truppe in altbekannte Muster von Korruption und Gewalt. 1997 endete das UN-Mandat, im Jahr 2000 verließen die USA das Land.
Zwischen 1996 und 2001 regierte René Préval, dann wurde Artistide erneut ins Amt gewählt. Ab 2003 begann er hartnäckig, Frankreich zu einer Rückzahlung der im Jahr 1825 aufgezwungenen Entschädigungszahlungen aufzufordern. Konkret verlangte er 21 Milliarden Dollar. Die "New York Times" kam bei einer Analyse von Archivmaterial auf eine ähnliche Zahl. Gemäß ihrer Berechnung verlor Haiti aufgrund der Zahlungen zwischen 21 und 115 Milliarden Dollar an Wirtschaftswachstum.
Doch Aristides Forderungen stießen auf taube Ohren. Ein Jahr später, 2004, kam es zu einer Revolution, welche das Land an den Rand eines Bürgerkriegs brachte. Die USA halfen Aristide bei seiner Flucht ins Ausland. Dieser warf ihnen jedoch vor, die Aufstände unterstützt zu haben und ihn gegen seinen Willen ins Ausland entführt zu haben.
Noch am selben Tag, an dem Aristide das Land verließ, entsandten die USA, Frankreich und Chile Truppen nach Haiti. Im Mai 2004 wurde Haiti erneut einem UN-Mandat unterstellt. Dieses wurde insgesamt 18 Mal verlängert und schließlich 2017 beendet.
2010: Erdbeben und Cholera
Nach einer Übergangszeit wurde in umstrittenen Wahlen erneut René Préval zum Präsidenten gewählt. Er war auch noch 2010 im Amt, als Haiti am 12. Januar von einem katastrophalen Erdbeben erschüttert wurde. Es forderte etwa 250'000 Todesopfer und machte über eine Million Menschen obdachlos.
Die vom Dach gestürzte Statue von Jesus Christus in den Trümmern einer durch das Erdbeben zerstörten Kirche.Bild: imago stock&people / imago images
Zu allem Verdruss kam es im darauffolgenden Oktober zu einem Cholera Ausbruch. 800'000 Menschen infizierten sich, über 9'000 Menschen starben. 2016 übernahm die UN gewisse Verantwortung für den Ausbruch, wie die "New York Times" berichtete. Untersuchungen legten nahe, dass nepalesische Friedenstruppen der UN, bei ihrem Einsatz nach dem Erdbeben, die Krankheit importiert hatten.
2011 wurde Michel Martelly zum Präsidenten gewählt, der sein Amt verfassungsgemäß 2016 niederlegte. Auf ihn folgte Jovenel Moïse, der nach fast 10 Jahren die Armee wieder einführte. Auch seine Amtszeit war von Krisen geprägt: In seinen letzten drei Jahren wurde das Land immer wieder von Protesten lahmgelegt und ihm wurden Korruption und Verbindungen zu gewalttätigen Banden vorgeworfen.
Der Präsidentenmord 2021 und die aufstrebenden Gangs
In der Nacht zum 7. Juli 2021 wurde Jovenel Moïse in seiner Residenz in der Hauptstadt Port-au-Prince mit zwölf Schüssen getötet. Nach Ermittlungen der Behörden in Haiti und den USA führten rund 20 kolumbianische Söldner im Auftrag mehrerer Hinterleute die Tat aus. Die US-Ermittler gehen davon aus, dass der Plan ursprünglich lautete, Moïse zu entführen. Wirklich geklärt sind die Hintergründe auch mehr als ein Jahr später noch nicht – stattdessen kämpfen Banden brutal um Kontrolle über Teile der Hauptstadt.
Der zuvor vorläufig agierende Premierminister Ariel Henry führt seit der Ermordung Moïses die Regierung, ist jedoch auch gegen die Banden machtlos.
Das örtliche UN-Büro twitterte am 13. Juli, insgesamt könnten sich in der Hauptstadt Port-au-Prince 1,5 Millionen Menschen wegen Bandengewalt nicht mehr frei bewegen und hätten keinen Zugang zur Grundversorgung. Allein im Zeitraum zwischen dem 8. und 17. Juli seien zudem mindestens 471 Menschen getötet und verletzt worden oder verschollen. Neben der Gewalt unterwanderten die Banden auch die lokale Wirtschaft durch Erpressung und illegale Besteuerung.
Jimmy Cherizier, bekannt als Barbecue, ist der Anführer der "G9 and Family" Gang.Bild: AP / Matias Delacroix
Laut eines am 14. Oktober veröffentlichten UN-Berichts setzten die Banden vermehrt sexuelle Gewalt als Waffe ein. Gangmitglieder vergewaltigten Frauen, Kinder und in selteneren Fällen auch Männer, um die Bevölkerung zu bestrafen, zu unterdrücken und um Angst zu verbreiten.
"Die Zahl der Fälle steigt von Tag zu Tag, während sich die humanitäre und Menschenrechtskrise in Haiti verschärft", sagte die kommissarische UN-Menschenrechtskommissarin Nada Al-Nashif. Selbst zehnjährige Kinder und ältere Frauen würden vor den Augen ihrer Angehörigen stundenlang von mehreren Tätern vergewaltigt, hieß es in dem Bericht. Die Zeugenaussagen der Opfer über die grausamen Taten machten deutlich, dass dringend gehandelt werden müsse, sagte Al-Nashif. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden und die Opfer Unterstützung erhalten.
Weiter verschärft wird die Lage von einem erneuten Cholera-Ausbruch. Am 2. Oktober wurden die ersten zwei Fälle seit mehr als drei Jahren bestätigt. Am 15. Oktober teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass bereits 35 Menschen an der Infektionskrankheit gestorben seien. Zudem seien 47 bestätigte Fälle und 560 Verdachtsfälle registriert worden. Die meisten Infektionen und Opfer gab es demnach im Gefängnis der Hauptstadt Port-au-Prince.
2022: Der Premier bittet um Hilfe
Ariel Henry will bewaffnete Spezialtruppen einsetzen.Bild: AP / Marcio Jose Sanchez
Angesicht der ausufernden Gewalt in Haiti hat auch Ministerpräsident Ariel Henry die internationale Gemeinschaft um Unterstützung gebeten. "Wir rufen sie erneut dazu auf, uns dabei zu helfen, die Leistung der Polizei zu verbessern, indem sie ihr angemessene Mittel und Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Korruption und zur Verfolgung von Straftätern zur Verfügung stellt", sagte der Regierungschef in einer am 12. September ausgestrahlten Videoansprache. "Wir bitten sie um finanzielle Unterstützung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung sowie bei der Verbesserung der Justiz." Er bat zudem um den Einsatz "bewaffneter Spezialtruppen".
Die USA kündigten am 12. Oktober weitere Unterstützung an, fügten jedoch an, dass eine Diskussion über eine mögliche US-Truppenpräsenz im Land noch "verfrüht" sei. Jüngst hatte UN-Generalsekretär António Guterres eine internationale Eingreiftruppe in dem Land gefordert. Die Lage sei deshalb so ernst, weil Milizen mittlerweile strategisch wichtige Einrichtungen wie den Hafen der Hauptstadt Port-au-Prince sowie die Treibstoffversorgung kontrollierten. Dadurch würde die Infrastruktur für die Verteilung von Wasser und Strom so gut wie nicht mehr existieren, die sanitäre Versorgung sei zum Erliegen gekommen sei.
Zur Unterstützung der Polizei im Kampf gegen die Bandenkriminalität haben die Vereinigten Staaten und Kanada am 16. Oktober gepanzerte Fahrzeuge und andere Ausrüstung in den Karibikstaat geschickt.
Was will die haitianische Bevölkerung?
Die Bevölkerung fürchtet sich vor fremder Intervention. Die haben in der Vergangenheit nicht viel zur Verbesserung der Lage im Land beigetragen – oft sogar im Gegenteil. Haiti-Korrespondentin Pooja Bhatia stellt im "The Guardian" die berechtigte Frage: "Was kam in Haiti zuerst: das Desaster oder die fremde Intervention?" Sie kommt zum Schluss, dass beides in einem Teufelskreis miteinander verstrickt sei. Schlussendlich aber machen ständige Interventionen Haitis Chancen auf eine Demokratie zunichte, so Bhatia.
Auch Journalist Jonathan M. Katz, der beim Cholera-Ausbruch 2010 die Beteiligung der UN-Friedenstruppe aufdeckte, teilt diese Meinung laut "NPR". Man könne zwar Streitkräfte in das Land lassen und einige Bandenmitglieder eliminieren, das Problem einer nicht funktionierenden Demokratie bestünde allerdings weiter.
Auch die haitische Bevölkerung spricht sich gegen eine Intervention aus. Seit Wochen geht sie auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Gleichzeitig fordern sie den Rücktritt Ariel Henrys und neue Wahlen. Doch auch das dürfte eine Herausforderung werden.
Haiti hat sich seit der Unabhängigkeit nie vom verursachten sozialen Flickenteppich erholt, den die Kolonialisten hinterlassen haben. Das Land war stets zerrissen zwischen kleineren Machtpolen, die jeweils nur flüchtige Koalitionen eingingen. Es ergab sich ein Muster, bei dem die Opposition immer stärker als die führende Regierung war, was zu den unzähligen Putschen führte. Zusätzlich erschwerten die ständigen Interventionen den Aufbau von Vertrauen in sowohl den eigenen als auch in die sich einmischenden Staaten.
Statt einer weiteren Intervention fordern internationale Beobachter nun die Unterstützung von lokalen Organisationen, welche neue Wahlen einleiten sollen. Nicht zuletzt wird eine alte Forderung wieder laut, welche wohl auf die Wurzel vielen Übeln zurückgeht: Frankreich müsse Haiti die Entschädigungszahlungen zurückzahlen.