Israel und die islamistische Hamas haben einem Austausch israelischer Geiseln gegen palästinensische Häftlinge zugestimmt. Wie am Donnerstag bekannt gegeben wurde, startet die Feuerpause am Freitag um 7 Uhr Ortszeit (6 Uhr MEZ) und soll vier Tage dauern. Am Nachmittag will die Hamas dann eine erste Gruppe von 13 Geiseln freilassen.
Danach könnten in mehreren Schritten bis zu 100 im Gazastreifen festgehaltene Geiseln aus Israel und bis zu 300 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen.
Die ohnehin notleidenden Menschen in Gaza sind nach sechs Wochen Krieg völlig zermürbt. Mehr als 14.000 Menschen wurden nach Angaben der Hamas getötet, 1,7 Millionen der UN zufolge vertrieben. Eine Feuerpause könnte jetzt die Gelegenheit geben, zumindest ein paar dringende Erledigungen nachzuholen. Aber es fehlt an so ziemlich allem: Essen, Wasser und Arzneimittel sind sehr knapp, und auch die Chancen auf ärztliche Behandlung.
Von zuvor 3500 Betten in Krankenhäusern gibt es laut UN jetzt noch 1400 – dabei gibt es immer mehr Menschen, die auf eine Behandlung warten. Der Deal sieht der Hamas zufolge auch vor, dass 300 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen einfahren. Dies könnte die Notlage in dem Küstengebiet zumindest ein bisschen verbessern.
Bei den ersten 50 der bis zu 100 Geiseln, die schrittweise freigelassen werden, handelt es sich israelischen Medien zufolge um 30 Minderjährige, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen. Sie alle sollen die israelische Staatsbürgerschaft haben. Über die Identität der womöglich danach freikommenden Entführten ist bislang nichts bekannt.
Israelischen Medien zufolge muss es sich aber um israelische Staatsbürger:innen oder Einwohner:innen des Landes handeln. Wer genau unter diese Definition fällt, wurde nicht mitgeteilt. Israel darf laut dem Abkommen die Namen der Geiseln, die freikommen sollen, an die Hamas übermitteln.
Wie viele der etwa 240 am 7. Oktober entführten Menschen noch am Leben sind und wo genau sie im Gazastreifen festgehalten werden, ist unklar. Die Armee vermutet, die Menschen, darunter auch deutsche Staatsbürger:innen, könnten in den Tunneln der Hamas versteckt sein. Eine zuvor freigelassene Frau berichtete davon, wie sie durch die Tunnel gelaufen sei. Während der Entführung sei sie durch die Hölle gegangen und auch geschlagen worden. In der Gefangenschaft wurde die 85-Jährige nach eigenen Angaben aber gut versorgt. Da sich ihr Ehemann weiterhin in Geiselhaft der Hamas befindet, war aber unklar, ob sie sich ohne Druck äußern konnte.
Israel veröffentlichte eine Liste von insgesamt 300 Personen, die freikommen könnten. 123 der dort aufgeführten 300 Palästinenser:innen sind Jugendliche unter 18 Jahren. Die Jüngsten sind demnach 14 Jahre. 33 Häftlinge sind laut der Auflistung Mädchen und Frauen. Den Häftlingen werden unter anderem das Werfen von Brandbomben, Brandstiftung oder Messerattacken zur Last gelegt. Israelische Medien hatten zuvor berichtet, dass keine Häftlinge freigelassen würden, die wegen Mordes im Gefängnis sitzen.
Aktuell sitzen laut der Menschenrechtsorganisation Betselem rund 4500 Palästinenser:innen in israelischen Gefängnissen. Zuletzt waren darunter 160 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren. Unklar war, ob dank des Deals alle in Israel inhaftierten, palästinensischen Minderjährigen entlassen werden könnten. Nach Angaben des palästinensischen Häftlingsverbands Addameer sind zudem insgesamt 62 Frauen in israelischen Gefängnissen.
Die Hamas wird laut israelischen Medien zunächst 10 bis 13 Geiseln pro Tag freilassen. Berichten zufolge sollen die Menschen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten und von dort mit Hubschraubern nach Israel gebracht werden. Bei früheren Freilassungen übergaben die Hamas-Terroristen die Entführten zunächst an Rettungsdienste, die diese dann zur Grenze fuhren. Medienberichten zufolge will Israel die Gruppen palästinensischer Inhaftierten jeweils erst dann freilassen, nachdem die Geiseln lebend in Israel angekommen sind.
Während der Feuerpause sollen nach Angaben der Hamas im Süden des Küstenstreifens die israelischen Flugbewegungen komplett eingestellt werden und im Norden täglich für sechs Stunden. In Israel gibt es Befürchtungen, dass die Hamas die Zeit nutzen könnte, um sich neu aufzustellen und gestärkt aus der Feuerpause hervorgehen könnte. Dies wiederum könnte in der Zeit nach der Kampfpause israelische Soldaten zusätzlich in Gefahr bringen, mutmaßen israelische Medien. Die Terrororganisation wird zudem auch nach Ablauf der Kampfpause viele Geiseln als "Verhandlungsmasse" in ihrer Gewalt haben.
Schlecht. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat betont, dass der Krieg auch nach der Umsetzung des Abkommens fortgeführt werde, "bis wir alle unsere Ziele erreicht haben". Dazu gehörten die Eliminierung der Hamas sowie die Rückkehr aller Geiseln. Zudem dürfe es in Gaza keine Bedrohung für Israel mehr geben. Die Hamas wiederum hat das Endziel der Einrichtung eines islamisch geprägten Staates auf dem Gebiet des gesamten historischen Palästinas. Den Staat Israel will die Hamas zerstören. Ein Sprecher der Hamas hat auch damit gedroht, die Massaker vom 7. Oktober zu wiederholen. Die USA, aber auch Deutschland haben Israel bei der Ablehnung eines langfristigen Waffenstillstandes bisher unterstützt.
Katar wie auch Ägypten nehmen eine Schlüsselrolle ein bei den Verhandlungen. Beide haben langjährige Beziehungen zur Hamas, die vom Westen als Terrororganisation eingestuft wird. Katar baute die Kontakte schon seit den 1990er Jahren aus und soll den Gazastreifen mit 2,1 Milliarden US-Dollar unterstützt haben. Katar beheimatet auch Hamas-Chef Ismail Hanija. Ägypten wiederum hat im Nahen Osten auch eine besondere Stellung dank seiner langen Beziehungen zu Israel. Die beiden Länder hatten 1979 einen Friedensvertrag geschlossen.
Als umstritten gilt bis heute der Gefangenenaustausch zur Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit, der 2006 entführt wurde und mehrere Jahre in Gefangenschaft der Hamas war. Er wurde 2011 im Tausch für mehr als 1000 palästinensische Häftlinge freigelassen. Dabei kam auch der Hamas-Chef im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, frei. 1994 war zudem der 19-jährige Nachschon Wachsmann im Westjordanland verschleppt worden. Bei dem Versuch, ihn zu befreien, kamen der Entführte, ein weiterer Soldat und drei Hamas-Mitglieder ums Leben.
Schalit berichtete israelischen Medien später, er habe versucht, sich in der Zeit auf die guten Dinge zu konzentrieren, etwa wenn er Fernsehen schauen durfte oder nicht zu sehr misshandelt worden sei. Schalit versuchte demnach auch aktiv zu bleiben. Der Soldat habe etwa Karten von Israel und den Häusern in seinem Dorf gezeichnet oder mit seinen Entführern Spiele gespielt. Er sagte außerdem, er sei in seiner Gefangenschaft bewusst am Leben gehalten worden: "Ein lebender Soldat hat einen anderen Wert als ein toter Soldat."
(mit Material von dpa und afp)