Im Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien ist ein Boot gekentert und dabei sind mindestens 27 Menschen ums Leben gekommen. Das Unglück ereignete sich nach Angaben der französischen Polizei am Mittwoch vor der Küste nahe Calais. Nur zwei Menschen überlebten das Unglück, beide schweben in Lebensgefahr. Vier mutmaßliche Schleuser wurden festgenommen.
Der britische Premierminister Boris Johnson, in dessen Land die Flüchtlinge wollten, berief eine Krisensitzung ein. Frankreichs Premierminister Jean Castex sprach von einer "Tragödie". Um die Zahl der Todesopfer gab es vorübergehend Verwirrung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach am frühen Abend von 31 Toten, später korrigierte das Innenministerium die Zahl auf 27.
Drei Hubschrauber und drei Boote waren an der Rettungs- und Suchaktion beteiligt. Nach Behördenangaben wurde die Suche nach dem gekenterten Schiff am Abend vorerst eingestellt. Kapitän Charles Devos von der französischen Seenotrettung (SNSM) sprach von einem "schockierenden" Drama. "Wir trafen auf ein Schlauchboot, aus dem die Luft entwichen war. Die wenige Luft, die es noch hatte, hielt es über Wasser", berichtete er nach dem Einsatz.
Unter den Toten, über deren Nationalität zunächst nichts bekannt wurde, waren laut Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin fünf Frauen und ein kleines Mädchen. "Der Ärmelkanal wird allmählich zu einem Friedhof, so wie das Mittelmeer", sagte Pierre Roques von der Hilfsorganisation L'Auberge des Migrants.
Staatschef Macron forderte "eine Dringlichkeitssitzung der von der Migrationsherausforderung betroffenen europäischen Minister". Er sei "schockiert, empört und zutiefst betrübt" über das Unglück, sagte der britische Premier Johnson nach dem Krisentreffen seiner Regierung in London. Er wolle gemeinsam mit Frankreich "mehr" gegen illegale Überfahrten tun, wies jedoch auf Meinungsverschiedenheiten mit Paris hin. London habe "Schwierigkeiten, einige unserer Partner, insbesondere die Franzosen, davon zu überzeugen, der Situation angemessen zu handeln", sagte er dem Sender Sky News.
Vor einigen Tagen war bekannt geworden, dass die französische Polizei 15 mutmaßliche Schlepper aus dem Irak, Rumänien, Pakistan und Vietnam in Gewahrsam genommen hat. Sie sollen monatlich etwa 250 Migranten in Booten nach Großbritannien gebracht haben. Für die Überfahrt hätten sie 6000 Euro pro Person erhalten und insgesamt drei Millionen Euro Gewinn gemacht.
Nach Angaben der zuständigen Präfektur versuchten seit Jahresbeginn 31.500 Flüchtlinge, von Frankreich über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu kommen. Rund 7800 Menschen wurden aus Seenot gerettet. Insgesamt starben bei der Fahrt über den Ärmelkanal in diesem Jahr bislang mindestens 34 Menschen oder gelten als vermisst. Nach britischen Angaben sind seit Jahresbeginn etwa 22.000 Migranten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen.
In der Gegend von Calais halten sich zahlreiche Migranten auf. Hilfsorganisationen kritisieren, dass Sicherheitskräfte regelmäßig deren Lager räumen und dabei Zelte und Schlafsäcke zerstören. Den Migranten werden Notunterkünfte in anderen Landesteilen angeboten. Viele von ihnen versuchen jedoch weiter, nach Großbritannien zu gelangen. Die Überfahrten von Migranten nach Großbritannien sorgen für erhebliche Spannungen zwischen Paris und London. Viele Migranten wollen nach Großbritannien, weil sie die Sprache sprechen und dort bereits Bekannte oder Verwandte haben.
(nik/afp)