Der letzte US-Soldat verlässt Afghanistan. Das Bild zeigt laut der US-Arme Generalmajor Chris Donahue, Kommandeur der 82. Luftlandedivision der US-Armee, auf dem Weg in ein Frachtflugzeug.Bild: Uncredited/U.S. Central Command via AP/dpa
International
Der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ist abgeschlossen. Um kurz vor Mitternacht Ortszeit startete in Kabul das letzte US-Militärflugzeug. Was wird nun aus den Zehntausenden Afghanen, die hoffen, das Land trotzdem noch verlassen zu können?
31.08.2021, 07:4531.08.2021, 11:56
Mit dem Abzug der letzten US-Soldaten vom
Flughafen Kabul haben die Vereinigten Staaten den Militäreinsatz in
Afghanistan nach fast 20 Jahren beendet. Alle US-Truppen hätten das
Land verlassen, verkündete General Kenneth McKenzie, der das
US-Zentralkommando Centcom führt, am Montag Washingtoner Zeit im
Pentagon. Damit endete auch die militärische Mission zur Evakuierung
von US-Bürgern, Verbündeten und schutzbedürftigen Afghanen.
US-Präsident Joe Biden und US-Außenminister Antony Blinken
versprachen, die amerikanische Regierung werde weiter alles daran
setzen, zurückgebliebene Amerikaner und andere Schutzsuchende aus dem
Land zu holen – nun mit diplomatischen statt mit militärischen
Mitteln.
US-Außenminister Antony Blinken verkündete am Montag offiziell das Ende des US-Militäreinsatzes in Afghanistan.Bild: dpa / Jonathan Ernst
Der letzte US-Militärflieger hob laut McKenzie eine Minute vor
Mitternacht Kabuler Zeit vom Flughafen der afghanischen Hauptstadt
ab. Biden hatte diesen Dienstag als Stichtag für den Abzug der
amerikanischen Truppen gesetzt. Der US-Präsident äußerte sich am
Montag zunächst nur in einer schriftlichen Stellungnahme zu dem
historischen Moment und kündigte für Dienstag (19.30 Uhr MEZ) eine
Ansprache an die Nation an. Er verteidigte erneut seine umstrittene
Entscheidung, alle US-Soldaten aus dem Land abzuziehen und verwies
unter anderem auf die Sicherheit der amerikanischen Truppen.
Noch etwa 100 bis 200 Amerikaner in Afghanistan, die rauswollen
McKenzie betonte, es sei kein einziger US-Soldat mehr in Afghanistan.
Er räumte aber ein, es sei nicht gelungen, alle Menschen
auszufliegen, die man in Sicherheit habe bringen wollen. "Wir haben
nicht alle rausgeholt, die wir rausholen wollten." Man habe bis zum
letzten Moment die Möglichkeit gehabt, weitere US-Bürger zu
evakuieren. Aber einige hätten es nicht zum Flughafen geschafft.
Blinken sagte, nach Einschätzung seines Ministeriums seien noch
zwischen 100 und 200 Amerikaner in Afghanistan, die das Land
verlassen wollten. Biden hatte allen ausreisewilligen US-Bürgern
versprochen, sie aus Afghanistan herauszuholen. Blinken versicherte:
"Wir wollen unsere unnachgiebigen Bemühungen fortsetzen, Amerikanern,
Ausländern und Afghanen, zu helfen, Afghanistan zu verlassen, wenn
sie sich dafür entscheiden." Das sagte auch Biden zu.
USA haben 79.000 Zivilisten ausgeflogen
Nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August hatten die USA und
ihre internationalen Partner begonnen, ihre Staatsbürger sowie
afghanische Helfer und andere Schutzbedürftige, die unter der
Taliban-Herrschaft um ihr Leben fürchten, außer Landes zu bringen.
McKenzie sagte, seit dem Start der militärischen Evakuierungsmission
vor gut zwei Wochen habe allein das US-Militär mehr als 79.000
Zivilisten aus Kabul ausgeflogen, darunter rund 6000 Amerikaner. Die
USA und ihre Verbündeten hätten gemeinsam mehr als 123.000 Menschen
außer Landes gebracht. Biden sprach von der "größte Luftbrücke in der
Geschichte der USA".
Die Bundeswehr hatte ihren Rettungseinsatz bereits am Donnerstag
beendet, Frankreich, Spanien und Großbritannien folgten am Freitag
und Samstag. Immer noch befinden sich aber Zehntausende Menschen in
Afghanistan, die vor den Taliban fliehen wollen – bei den meisten
davon handelt es sich im Afghanen.
UN-Sicherheitsrat verabschiedet Resolution
Die USA und die westlichen Partner haben wiederholt betont, dass es
auch nach dem Ende der Militärmission die Möglichkeit geben soll,
Menschen in Sicherheit zu bringen. Wie genau das geschehen soll, ist
unklar. Der UN-Sicherheitsrat erhöhte am Montag den Druck auf die
Taliban, die Menschenrechte zu wahren und Ausreisewillige ungehindert
passieren zu lassen.
In seltener Einigkeit verabschiedete das mächtigste UN-Gremium am
Montag eine entsprechende Resolution. Die Entscheidung fiel mit 13
Ja-Stimmen, Russland und China enthielten sich. UN-Resolutionen sind
völkerrechtlich bindend. Zudem fand am Abend noch ein Treffen von
Generalsekretär António Guterres mit den Vetomächten des Rates statt – Einzelheiten wurden dazu zunächst nicht bekannt.
"Die Militärmission ist beendet. Ein neue diplomatische Mission hat begonnen"
US-Außenminister Antony Blinken
Blinken betonte: "Die Militärmission ist beendet. Ein neue
diplomatische Mission hat begonnen." Diese wird jedoch aus der Ferne
zu steuern sein. Denn mit dem Abzug der US-Truppen gaben die
Amerikaner auch ihre diplomatische Präsenz in Afghanistan auf. Man
habe die diplomatischen Aktivitäten in die katarische Hauptstadt Doha
verlegt, sagte Blinken. Von dort aus wolle man konsularische
Angelegenheiten regeln, aber auch humanitäre Hilfe verwalten und die
Zusammenarbeiten mit den Verbündeten organisieren.
Mit Blick auf die militant-islamistischen Taliban, die in Afghanistan
die Macht übernommen haben, sagte Blinken, eine Regierung unter ihrer
Führung müsse sich internationale Legitimität und Unterstützung
verdienen. Sie müssten dafür ihre Zusagen zur Reisefreiheit
einhalten, Grundrechte respektieren und eine inklusive Regierung
bilden. Sie dürften außerdem Terroristen keine Zuflucht gewähren und
keine Racheaktionen gegen ihre Kontrahenten ausüben.
Jubel bei den Taliban
Die Taliban reagierten auf den Abzug der Amerikaner mit Jubel.
Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid schrieb auf Twitter, das Land
habe jetzt die völlige Unabhängigkeit erreicht. Das hochrangige
Taliban-Mitglied Anas Hakkani twitterte: "Wir schreiben wieder
Geschichte. Die 20-jährige Besetzung Afghanistans durch die USA und
die Nato endete heute Abend. Gott ist groß."
Biden hatte im April angekündigt, alle US-Soldaten spätestens bis zum
11. September bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen. Dies Datum
markiert den 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001, die
den US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan ausgelöst hatten. Nach
Bidens Ansage kündigte auch die Nato an, den von ihr geführten
internationalen Einsatz zu beenden. Im Juli zog Biden das Datum für
das vollständigen Abzug schließlich auf den 31. August vor.
Rückblick: Machtübernahme und Chaos
In den vergangenen Wochen hatten sich die Ereignisse in Afghanistan
überschlagen: Nach Bidens Ankündigung gewann der Siegeszug der
Taliban rasant an Tempo. Die militanten Islamisten übernahmen eine
Provinzhauptstadt nach der anderen – oft leisteten die afghanischen
Sicherheitskräfte wenig oder keinen Widerstand. Am 15. August floh
der afghanische Präsident Aschraf Ghani ins Ausland, die Taliban
marschierten kampflos in Kabul ein. Die US-Botschaft wurde
geschlossen, die Diplomaten flohen an den Flughafen.
Von dort aus wickelten die Amerikaner und ihre Verbündeten zuletzt
ihre atemlose Evakuierungsmission ab. Der Flughafen in Kabul blieb
auch nach der Machtübernahme der Taliban unter Kontrolle der
US-Truppen. Die USA flogen vorübergehend 5000 zusätzliche Soldaten
ein, um die Evakuierungen abzusichern. US-Kommandeure koordinierten
sich dabei mit den Taliban. Bei einem Anschlag der Terrormiliz
Islamischer Staat (IS) am vergangenen Donnerstag wurden vor dem
Flughafen Dutzende Afghanen und 13 US-Soldaten getötet. Der IS und
die Taliban sind miteinander verfeindet. Noch am Montag griff der IS
erneut den Flughafen Kabul an. Nach Angaben der US-Regierung wurden
fünf Raketen in Richtung des Airports abgefeuert. Der in Afghanistan
aktive Ableger des IS reklamierte den Raketenangriff für sich.
(andi/dpa)
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Ganz anders als sein Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz. Der will trotzdem Kanzlerkandidat seiner Partei werden.