US-Präsident Biden steht zu seiner Strategie und dem Abzug der US-Truppen aus AfghanistanBild: dpa / Evan Vucci
International
Trotz der faktischen Machtübernahme der Taliban in
Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden seinen Entschluss zum Abzug
der US-Truppen aus dem Land gegen wachsende Kritik verteidigt. "Ich
stehe voll und ganz hinter meiner Entscheidung", sagte Biden am
Montag im Weißen Haus. Kanzlerin Angela Merkel und
Bundesaußenminister Heiko Maas räumten dagegen ein, die
internationale Gemeinschaft habe die Lage in Afghanistan falsch
eingeschätzt und ihre Ziele bei dem Einsatz nicht erreicht. Biden
wiederum betonte, die jüngsten Entwicklungen hätten ihn in seiner
Entscheidung nur bestärkt. Den Taliban drohte er zugleich mit
Vergeltung, falls sie US-Kräfte oder -Ziele angreifen sollten.
Bei Handlungen, die amerikanisches Personal oder deren Mission
gefährden würde, müssten die Taliban mit einer "raschen und starken"
militärischen Reaktion der USA rechnen, sagte Biden. "Wir werden
unsere Leute mit vernichtender Gewalt verteidigen, falls nötig."
"Das afghanische Militär ist zusammengebrochen, manchmal ohne zu versuchen zu kämpfen."
Der US-Präsident erhob schwere Vorwürfe gegen die entmachtete
politische Führung und die Streitkräfte des Landes. "Die politischen
Anführer Afghanistans haben aufgegeben und sind aus dem Land
geflohen", sagte er. "Das afghanische Militär ist zusammengebrochen,
manchmal ohne zu versuchen zu kämpfen." Die jüngsten Ereignisse
hätten bekräftigt, dass die Abzugsentscheidung richtig sei.
"Amerikanische Truppen können und sollten nicht in einem Krieg
kämpfen und in einem Krieg sterben, den die afghanischen Streitkräfte
nicht bereit sind, für sich selbst zu führen." Biden räumte aber ein,
die USA hätten das Tempo des Taliban-Vormarsches unterschätzt: "Dies
hat sich schneller entwickelt, als wir erwartet hatten."
Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen nach dem Abzug der
ausländischen Truppen in rasantem Tempo praktisch alle
Provinzhauptstädte in Afghanistan eingenommen - viele kampflos. Am
Sonntag rückten sie schließlich in die Hauptstadt Kabul ein. Kämpfe
gab es keine. Der blitzartige Vormarsch überraschte viele Beobachter,
Experten und auch ausländische Regierungen.
Biden meint, das ursprüngliche Ziel des US-Einsatzes in Afghanistan sei erreicht
Auf dem Papier waren die Taliban den afghanischen Sicherheitskräften
weit unterlegen. Rund 300 000 Kräfte bei Polizei und Armee standen
Schätzungen zufolge rund 60 000 schlechter ausgerüsteten
Taliban-Kämpfern gegenüber. Diese profitieren aber von ihrem brutalen
Ruf, den sie während ihrer Herrschaft in den 90er-Jahren mit
öffentlichen Exekutionen oder Auspeitschungen erlangt haben.
Biden meint, das ursprüngliche Ziel des US-Einsatzes in
Afghanistan, das Ausmerzen der Terrorgruppe Al-Kaida nach den
Anschlägen vom 11. September 2001, sei erreicht. Auch bin Laden sei
getötet worden. Die USA könnten islamistische Terrorgruppen wie
Al-Kaida auch ohne eine permanente Militärpräsenz in dem Zielland
effektiv bekämpfen - das US-Militär zeige dies in anderen Ländern wie
Somalia oder Jemen. Der US-Präsident betonte außerdem, es sei nie
Ziel des Einsatzes gewesen, dort eine geeinte Demokratie zu schaffen.
Dramatische Szenen am Flughafen in Kabul
Die USA, Deutschland und andere westliche Staaten begannen derweil,
in großer Eile ihre Bürger und gefährdete afghanische Ortskräfte aus
Afghanistan auszufliegen. Die USA schickten mehrere Tausend Soldaten
nach Kabul, um die Evakuierungsaktionen zu sichern. Das US-Militär
ist dort nach eigenen Angaben inzwischen mit rund 2500 Soldaten im
Einsatz. In einigen Tagen sollen es laut Pentagon bis zu 6000 werden.
Am Flughafen in Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Hunderte
oder vielleicht auch Tausende verzweifelte Menschen versuchten, auf
Flüge zu kommen, wie Videos in Online-Medien zeigten. Für Entsetzen
sorgten Aufnahmen, die zeigen sollen, wie Menschen aus großer Höhe
aus einem Militärflugzeug fallen. Es wurde gemutmaßt, dass sie sich
im Fahrwerk versteckt hatten oder sich festhielten. Diese Angaben
konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.
Die Regierung von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump hatte den Abzug
eingeleitet. Biden entschied sich nach seinem Amtsantritt dafür,
davon nicht abzurücken, sondern nur den Zeitplan zu ändern. Damit
setzte er sich über Warnungen von Experten hinweg, die desaströse
Folgen eines bedingungslosen Abzugs vorausgesagt hatten.
(drob/dpa)
Wer weiß ist, heterosexuell und jung, sowie perfektes Deutsch spricht, unterschätzt möglicherweise die Diskriminierung in Deutschland. Besonders, wenn das eigene Umfeld ebenso überwiegend weiß ist.