Seit dem 7. Oktober 2023 ist in Nahost nichts mehr, wie es vorher war. Erneut entlädt sich der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt in einem blutigen Krieg zwischen Israel und der im Gazastreifen regierenden Hamas. Neben Blut, Tod und Leid bringt der Krieg jedoch auch wirtschaftliche Probleme mit sich. Etwa am israelischen Arbeitsmarkt. Denn mit dem Ausbruch des Krieges fehlen dem Land dringend benötigte palästinensische Arbeitskräfte.
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation wurde vor dem Krieg mit 193.000 Palästinenser:innen in Israel und israelischen Siedlungen ein neuer "Allzeithöchstwert" in den besetzten Gebieten erreicht. Seit dem Jahr 2022 war die Anzahl um ein Drittel angestiegen. Zur Veranschaulichung: Ein Fünftel der Arbeitskräfte im Westjordanland war in Israel beschäftigt. Doch seit dem grausamen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober gibt es neue, strenge Beschränkungen für palästinensische Arbeiter. Diese haben der israelischen Wirtschaft einen schweren Schlag verpasst.
Nach Ausbruch der Gewalt sind die Zahlen stark zurückgegangen. "Arbeiter aus dem Gebiet einer feindlichen Bevölkerung während eines Krieges nach Israel zu lassen, wäre ein schrecklicher Fehler, der Blut kosten wird", sagte Gideon Saar, ein Oppositionsabgeordneter in der Notstandsregierung, gegenüber der "Times of Israel". Und Wirtschaftsminister Nir Barkat erklärte gegenüber "Jerusalem Post", der Angriff vom 7. Oktober habe die "Risiken" der Beschäftigung von Palästinenser:innen im Land aufgezeigt. Dabei erklärte er auch den Plan, sie durch ausländische Arbeitskräfte zu ersetzen.
Der verschärfte Arbeitskräftemangel ist die neue Realität, die Israel nun versucht zu kompensieren. Aus diesem Grund wirbt das Land Zehntausende von Inder:innen an, die seit Langem eine wichtige Rolle im israelischen Baugewerbe und anderen Sektoren spielen. Gespräche gab es bereits vor dem Ausbruch des Krieges, doch die Lage hat sich nicht nur wegen fehlender palästinensischer Arbeiter verschärft. Viele ausländische Arbeitskräfte, vor allem Tausende aus Thailand, sind wegen des Konflikts in ihre Heimat zurückgekehrt.
Die israelischen Behörden hoffen, dass in den kommenden Monaten 10.000 bis 20.000 indische Wanderarbeiter:innen kommen werden. Nach Angaben des israelischen Zentrums für internationale Migration und Integration (CIMI) entspräche dies der Gesamtzahl der ausländischen Arbeitskräfte, die im Jahr 2021 im Rahmen bilateraler Abkommen ins Land kamen.
"Indien wird in den kommenden Jahren einer der, wenn nicht sogar der größte Lieferant von Bauarbeitern in Israel sein", sagte der stellvertretende Generaldirektor des israelischen Bauherrenverbands, Shay Pauzner, laut "Washington Post". Er fügte hinzu, dass etwa 5000 Arbeiter:innen in Neu-Delhi und Chennai bereits unter Vertrag genommen worden seien.
Pauzner erklärte außerdem, sein Verband habe sich an Indien gewandt, "weil die palästinensischen Arbeiter seit Beginn des Krieges nicht mehr nach Israel kommen". Besonders in dieser Branche sei das ein Problem. Etwa ein Drittel der Arbeiter:innen im israelischen Bausektor seien Palästinenser:innen. Doch die Arbeitserlaubnis für die in Israel arbeitenden Menschen aus dem Gazastreifen und dem besetzten Westjordanland sei nach Ausbruch der Kämpfe gestrichen worden. "Im Moment suchen wir nach jeder Möglichkeit, diese Lücke zu schließen. Wir stehen unter großem Druck", sagte er.
Wie groß der Druck ist, zeigt etwa die Aussage von Raul Srugo, dem Präsidenten der Israel Builders Association. Er teilte im Dezember gegenüber israelischen Gesetzgebern mit, dass die Industrieproduktion bei 30 Prozent liege. "Wenn es nach uns geht, können Sie Arbeiter vom Mond holen", sagte er.
Indien ist eine geeignete Quelle für Ersatz-Arbeitskräfte. Das liegt auch an der immer besser werdenden Beziehung Israels zu dem Land in den vergangenen Jahren.
Noch vor dem Gaza-Krieg unterzeichneten die beiden Länder im Mai ein Abkommen für die Entsendung von 42.000 indischen Bau- und Pflegekräften nach Israel, wie der ehemalige israelische Außenminister Eli Cohen im israelischen Parlament erklärte. Nach Angaben lokaler indischer Medien und israelischer Beamter leben derzeit rund 17.000 indische Arbeitskräfte in Israel. Die meisten von ihnen sind in der Krankenpflege beschäftigt.
In Indien gibt es groß angelegte Kampagnen, um Arbeiter:innen anzuwerben. Doch im eigenen Land gibt es laut "Washington Post" auch Kritik. Indische Gewerkschaften und Aktivist:innen haben die Rekrutierungskampagne scharf kritisiert und behauptet, die Arbeitsbedingungen seien gefährlich. Andere kritisieren, dass angeblich nur hinduistische, aber keine muslimischen Arbeiter:innen gesucht würden.
Dennoch nehmen die Rekrutierungen Fahrt auf. "Dies ist erst der Anfang", sagte ein indischer Regierungsbeamter laut "Washington Post": "Das Ziel ist, dass dies viel breiter angelegt werden muss."
Es gibt Berichte darüber, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bereit sei, ein Pilotprogramm für die Rückkehr von Palästinenser:innen zu starten. Es soll geprüfte Menschen aus palästinensischen Gebieten zu den Arbeitsplätzen holen. Doch dieses Vorhaben stieß bei rechten Gesetzgebern auf heftigen Widerstand. Mehr als ein Dutzend Mitglieder von Netanjahus eigener Likud-Partei verurteilten den Plan am Mittwoch in einem öffentlichen Brief.