Eine Solar-Anlage in Marokko. Bild: imago stock&people
International
Vor zehn Jahren ließ eine deutsche Wirtschaftsinitiative international aufhorchen: Desertec sollte grünen Wüstenstrom von Afrika nach Europa liefern. Das Projekt gilt heute bei Kritikern als gescheitert. Dabei ist die Idee lebendiger als je.
05.08.2019, 10:1205.08.2019, 10:15
Lange, bevor Schüler in Europa für das Klima
demonstrierten, zeigte eine kleine Grafik des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt die Zukunft der Energiewende. Drei verschieden
große, rote Quadrate in einer braun gezeichneten Sahara deuteten an,
wie wenig Platz es nur bräuchte, um Deutschland, Europa – ja, sogar
die ganze Welt – mit grünem Strom zu versorgen. Als vor zehn Jahren
Desertec entstand, sprach der damalige Siemens-Chef Peter Löscher vom
"Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts".
Und viele hofften, schon bald
Wüstenstrom aus Nordafrika nach Europa zu transportieren. Aber der
Traum platzte.
Das ist die Grafik:
Streit brach aus
Nur fünf Jahre nach ihrer Gründung zerstritt sich 2014 die Desertec
Industrial Initiative (DII), der Wirtschaftsarm der Desertec-Idee
sozusagen. Viele der vor allem deutschen Firmen wie Siemens, Eon oder
die Deutsche Bank, verließen die Initiative. "Desertec war eine große
Idee", sagt Geschäftsführer Paul van Son heute. Er war schon vor zehn
Jahren dabei. "Aber von Anfang wurde die Grundidee sehr stark darauf
verengt: Strom von Afrika nach Europa zu bringen."
Der Streit
entbrannte sich an riesigen Stromnetzen im Mittelmeer und an der
Frage, ob es nicht sinnvoller sei, erst einmal für den lokalen Markt
in Nordafrika zu produzieren.
Viele Kritiker und Energieexperten werfen auch den beteiligten
europäischen Unternehmen und der Politik vor, die Idee nicht
gefördert und teilweise sogar ausgebremst zu haben. Die französische
Atom-Lobby sei stark gewesen, heißt es aus den beteiligten Kreisen
von damals. Als 2012 kurzfristig die drei Minister Guido Westerwelle
(FDP), Philipp Rösler (FDP) und Peter Altmaier (CDU) eine Konferenz
der DII absagten, wurde das als schwerer Affront gewertet.
"Wenn man so ein Projekt hat, dann muss man auch jemanden haben, der
die Energie nachfragt", sagt Franz Trieb, Wissenschaftler vom DLR.
Das sei auf europäischer Seite aber nicht der Fall. "Was wir nach
zehn Jahren gelernt haben ist, wie man ein solides Konzept komplett
verschütten kann mit Mythen und seltsamen Plänen." Mit mehreren
Studien legte das DLR die Grundlagen für die Desertec-Idee.
So steht es nun um das Projekt
Inzwischen ist von der einstigen deutschen Energie-Allianz nicht mehr
viel geblieben. Von den Gründungsmitgliedern ist heute mit Innogy nur
noch eine Tochtergesellschaft des deutschen Energieversorgers RWE mit
dabei. Die Wirtschaftsinitiative hat in Saudi-Arabien und China neue
Partner gefunden – und berät weiter zum Thema Wüstenstrom. "Alles was
mit Erneuerbaren Energie zu tun hatte, war damals nicht marktfähig",
sagt DII-Geschäftsführer van Son. "Trotzdem: Das Projekt – ich nenne
es 'Bewegung' – ist nicht gescheitert, der Grundgedanke ist bereits
in der Region Realität geworden." Nur eben in veränderter Form. Vor
zehn Jahren hätte niemand geahnt, welch große Rolle Wind- oder
klassische Solaranlagen heute spielen.
Mehrere arabische Staaten liefern sich inzwischen ein Wettrennen beim
Ausbau grüner Energien. Allen voran Marokko, dessen König die
Energiewende schon vor längerem von oben verordnete. Das Land will in
Zukunft 52 Prozent seines Energiebedarfs aus Erneuerbaren speisen. In
Ouarzazate im Süden Marokkos entsteht einer der größten Solarparks
der Welt. Die deutsche Staatbank KfW fördert das Projekt mit 800
Millionen Euro. Am Ende soll der Solarkomplex elektrische Energie für
mindestens 1,3 Millionen Menschen erzeugen – vor allem in Marokko.
Auch in der ägyptischen Wüste entsteht ein riesiges Solarkraftwerk
mit einer Leistung von 1,6 Gigawatt (rund 400 Gigawattstunden pro
Jahr), in Abu Dhabi eine Anlage mit 1.2 Gigawatt. Saudi-Arabien will
in den kommenden Jahren Solarkraftwerke mit einer Leistung von bis zu
zehn Gigawatt installieren. Dazu kommen Windfarmen in Tunesien,
Algerien und Marokko. Von dem hochgegriffenen Exportvolumen der
Desertec-Initiative ist das aber weit entfernt: Das Ziel waren einmal
etwa eine Million Gigawattstunden.
Ein Arbeiter in einer Solar-Anlage in Ägypten. Bild: imago images/Ahmed Gomaa
Deutsche Unternehmen beteiligen sich an Projekten
"Die Idee lebt und wird auch vor allem von den Ländern selbst mit
ambitionierten Ausbauplänen für Erneuerbare Energien weiterverfolgt",
sagt Strategieberater und Energieexperte Matthias Ruchser, der früher
für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik gearbeitet hat.
"Antreiber sind inzwischen vor allem die Golfstaaten und China, die
deutschen Firmen sind bei der DII Desert Energy fast alle
verschwunden."
Und eine alte Idee sei wieder neu entdeckt worden, sagt
Ruchser: "Power to X". Es gehe nicht mehr nur alleine um
Stromerzeugung, sondern aufgrund des rasanten Klimawandels auch
darum, beispielsweise Ethan oder Wasserstoff herzustellen, um die
Stoffe dann in Brennstoffzellen im Keller oder Auto zu nutzen. Dafür
werde aber viel Energie benötigt. Energie, die man in den Wüsten
Marokkos oder Saudi-Arabiens gewinnen könne. "Im Grunde sind wir
heute fast wieder da, wo wir konzeptionell vor 30 Jahren schon einmal
mit den Ideen für eine Wasserstoff-basierte Energieversorgung waren",
sagt Energieexperte Ruchser.
Unter den veränderten Bedingungen spielten auch deutsche Unternehmen
wieder eine größere Rolle, sagt Peter Schmitz von der
Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik GTAI. Es gebe
kaum eines der aktuellen Projekte von Marokko bis in die Arabischen
Emirate, an denen nicht ein deutsches Unternehmen beteiligt sei. Die
Potenziale seien noch da.
Allerdings, das wird bei allen Projekten inzwischen auch
deutlich: Sie sind nicht von der Industrie getrieben, sondern vor
allem institutionell gefördert. Und sie haben zuerst einmal die
lokalen Märkte in Nordafrika und auf der Arabischen Halbinsel im
Blick.
(dpa)
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