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Bundespräsident Alexander Van der Bellen nutzt die Gunst der Stunde und macht eine erfahrene Juristin zur ersten Kanzlerin Österreichs. Diese will nun das Vertrauen der Parteien und der Bevölkerung gewinnen – und ist auf der Suche nach Experten für ihr Kabinett.
Wenige Tage nach dem Sturz der Regierung von Ex-Kanzler
Sebastian Kurz hat Österreichs Bundespräsident die
Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein als künftige Kanzlerin
auserkoren. Die 69-Jährige wird damit die erste Frau in Österreich in
diesem wichtigen Staatsamt.
Bierlein – eine Spitzenjuristin mit
tadellosem Lebenslauf – war bisher Präsidentin des österreichischen
Verfassungsgerichtshofs.
Bierlein wechselt ins Kanzleramt, nachdem SPÖ und FPÖ am Montag die
gesamte Regierung von ÖVP-Chef Sebastian Kurz per Misstrauensvotum im
Parlament abberufen hatten. Kurz hatte davor nach dem Skandal-Video
rund um Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Regierung aus
Österreichischer Volkspartei ÖVP und Freiheitlicher Partei (FPÖ)
aufgekündigt. Damit verlor er die Mehrheit im Parlament.
"Ich habe Frau Präsidentin Bierlein in den letzten Jahren und Monaten
als umsichtige, weitsichtige und in höchstem Maße kompetente
Persönlichkeit kennen und schätzen gelernt", sagte Bundespräsident
Alexander Van der Bellen über die künftige Kanzlerin.
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Bierlein bat zunächst um Bedenkzeit
Bierlein selbst erklärte in einem ersten, sehr ruhig und konzentriert
vorgetragenen Statement, dass sie es als ihre staatspolitische
Verantwortung ansehe, "in dieser bisher einmaligen Situation in der
Geschichte der Zweiten Republik meinen Teil beizutragen und diese
hohe Verantwortung zu übernehmen". Sie wolle das Vertrauen der im
Parlament vertretenen Parteien gewinnen. "Ebenso gilt das für Sie,
geschätzte Österreicherinnen und Österreicher."
Die 69-Jährige gab zudem ganz offen zu, dass die vergangenen Tage
auch für sie eine Herausforderung waren. Als der Bundespräsident ihr
das Kanzleramt angeboten habe, sei ihre Reaktion gewesen: "Ich habe mir einige Stunden Bedenkzeit
erbeten und bin zum Ergebnis gelangt, dass ich für das Wohl
Österreichs diese so verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen werde."
Die Ibiza-Krise
Der Sturz des 32 Jahre alten bisherigen Kanzlers war der vorläufige
Höhepunkt der schweren Regierungskrise, die mit dem skandalösen
"Ibiza-Video" ihren Anfang genommen hatte. Der Bundespräsident hatte
nach dem Sturz der Regierung die Aufgabe, einen Übergangskanzler zu
finden, der eine neue Regierung in den kommenden Monaten anführen
soll.
Die Amtszeit von Bierlein endet damit voraussichtlich nach der
Bildung einer neuen Koalition nach der Neuwahl im September.
Die Hintergründe zur Ibiza-Krise
Auslöser der Regierungskrise waren die von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung" am 17. Mai veröffentlichten Aufnahmen von 2017, die den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einer angeblichen russischen Investorin zeigen. Strache stellt dabei unter anderem Staatsaufträge für Wahlkampfhilfe zugunsten der FPÖ in Aussicht und spekuliert über die vorteilhaften Folgen eines Kaufs der einflussreichen "Kronen-Zeitung" durch die Investorin.
Strache trat einen Tag nach der Veröffentlichung von allen politischen Ämtern zurück, die ÖVP-FPÖ-Regierung zerbrach. Die von Kurz angeführte Übergangsregierung hatte dann keine Mehrheit mehr im Parlament, weil die Opposition ihm nicht zuletzt eine gewisse Mitverantwortung an der Regierungskrise nach dem Skandal-Video vorwarf. Außerdem soll er bei der Bewältigung der Krise nicht ausreichend auf die anderen Parteien zugegangen sein.
Das ist die erste Bundeskanzlerin Österreichs
Bierlein, am 25. Juni 1949 in Wien geboren, wollte eigentlich Kunst
studieren, wurde dann aber doch Juristin.
- 1975 legte sie ihre Richteramtsprüfung ab und wurde zunächst Richterin am Bezirksgericht in der Wiener Innenstadt.
- Von 1977 an arbeitete sie dann als Staatsanwältin, von 1990 bis 2002 war sie Generalanwältin in der Generalprokuratur, der höchsten Staatsanwaltschaft der Alpenrepublik.
- Anschließend folgte der Wechsel an den Verfassungsgerichtshof, wo sie von 2003 bis 2018 zunächst Vizepräsidentin und dann Präsidentin war.
Der 69-Jährigen werden der österreichischen Nachrichtenagentur APA
zufolge gute Kontakte zur ÖVP und auch zur FPÖ nachgesagt. In
österreichischen Medien wurde spekuliert, dass SPÖ-Chefin Pamela
Rendi-Wagner zugestimmt haben könnte, weil so die erste Frau ins
Kanzleramt rückt. Dass Bierlein Kanzlerin wird, hatte der
Bundespräsident zuvor auch mit dem designierten FPÖ-Chef Norbert
Hofer und mit Ex-Kanzler Kurz besprochen.
"Vielen Dank an Brigitte #Bierlein für die Bereitschaft, sich noch
stärker in den Dienst unseres Landes zu stellen, so etwas ist nicht
selbstverständlich", twitterte Kurz.
Wie es nun weitergeht
Ihre offizielle Ernennung zur Kanzlerin wird nach den Worten Van der
Bellens in den nächsten Tagen stattfinden, eine Abstimmung im
Parlament ist dazu nicht nötig.
Bis dahin begebe sie sich auf die
Suche nach Kandidaten für ihr Kabinett, sagte Bierlein. Außerdem werde sie noch vor der
Ernennung aus ihrem Amt als Präsident des Verfassungsgerichtshofs
ausscheiden.
Zwei Personalien sind schon fix. Der ehemalige Präsident des
Verwaltungsgerichtshof, Clemens Jabloner, wird neuer Vizekanzler und
Justizminister. Neuer Außen- und Europaminister wird Alexander
Schallenberg, derzeit Leiter der Europa-Sektion im Bundeskanzleramt.
(dpa)
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