Die erste Gay-Pride-Demo im polnischen Białystok.Bild: imago/Marek Maliszewski
Interview
24.07.2019, 16:0524.07.2019, 17:00
Rund 800 Demonstranten gingen am vergangenen Wochenende im Nordosten Polens für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) auf die Straße. Es war die erste Gay-Pride-Demo in Białystok. "Liebe ist keine Sünde" war auf einigen Transparenten zu lesen.
Das sahen offenbar nicht alle so. Denn der Gegenprotest war massiv, voller Hass – und er war gewalttätig. Rund 40 Gegenkundgebungen hatten nationalistische Gruppen und die katholische Kirche angemeldet.
LGBTI* - was steckt hinter dem Kürzel?
Video: watson/katharina kücke
Homosexuelle in Polen haben es schwer. Ein breites Bündnis aus Kirche, Politik und Medien macht gegen ihre Rechte mobil. Seit Monaten fahren diese Gruppen eine Kampagne, die die LGBT-Bewegung als Gefahr für Familie, Staat und Gesellschaft zu stigmatisieren versucht. An diesem Wochenende schlug die Kritik dann in Gewalt um.
Jakob M. hat bei der Gay-Pride mitdemonstriert. Der Aktivist und Historiker lebt seit einigen Jahren in Warschau und ist Kenner der rechten Szene in Polen. Seinen Namen haben wir aus Sicherheitsgründen geändert.
watson: In der polnischen Stadt Białystok sind Teilnehmer einer Gay-Pride-Parade angegriffen worden. Wie hast du die Vorfälle erlebt?
Jakob M.: Es gab massive Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten. Die Demo startete auf einem zentralen Platz in der Stadt, der an eine Anhöhe grenzt. Drumherum standen Hunderte Nazis, Hools und die ganze bunte Mischung an extremen Rechten, die uns wie auf dem Präsentierteller auf diesem Platz vor sich hatten. Wir wurden von der Polizei wie eine Wagenburg zugestellt.
Es heißt, Böller und Flaschen seien geflogen.
Ja. Wir wurden schon beim Versuch, auf den Platz zu kommen, von allen Seiten mit Böllern beworfen. Es war eine Art Spießrutenlauf, es flogen Steine und Flaschen.
Wir wurden bespuckt, permanent beschimpft und mit Urin bespritzt.
Der Urin wurde in Bechern abgefüllt und in die Menge geworfen. Der Demo-Zug kam nur sehr langsam voran und wurde von einer durchgängigen Kette an Polizisten abgeschirmt. Es kam immer wieder zu Blockaden durch Rechte, die Polizei setzte dann Pfefferspray und teilweise Platzpatronen ein, auch ein Hubschrauber setzte zu Tiefflügen an, um die Blockierer auseinanderzutreiben.
Rechte Gegendemonstranten in Białystok.Bild: imago/Marek Maliszewski/
Das klingt fast schon nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Dabei wollten doch eigentlich nur Menschen für ihre Rechte demonstrieren. Warum haben es Homosexuelle in Polen so schwer?
Das hängt sicher auch mit dem Einfluss der katholischen Kirche zusammen. Mit dem Ende des Staatssozialismus in Polen hat sie eine besondere Vormachtstellung ein- und auch massiven Einfluss auf polnische Eliten genommen. Auch die heutige Regierungspartei PiS ist auf dieser Welle 2015 an die Macht gekommen. Seither versucht sie, eine Art Front gegen LGBT aufzubauen. PiS, rechte Gruppierungen und auch die Kirche sprechen von einem Kulturkampf. Sie sehen eine christliche Ursprünglichkeit durch westliche Werte, durch ein liberales Europa bedroht. PiS fährt seit einigen Monaten eine Hetz-Kampagne gegen LGBT, in der sie das ganz verschärft zum Ausdruck bringt – als einen Kampf um die Nation, die Tradition, die Familie. Das mag auch dazu geführt haben, dass das jetzt auf der Pride noch einmal so ausgeartet ist. Wenngleich Białystok auch so schon für seine Naziszene und ein reaktionäres gesellschaftliches Umfeld bekannt ist.
Und zwar so:
Bild: imago/Marek Maliszewski
Parteichef Jarosław Kaczyński hatte Homosexuelle erst im April als "Bedrohung" für sein Land bezeichnet.
Das hat er nicht nur einmal formuliert. Kaczyński sieht die polnische Identität gefährdet. Er sieht durch die LGBT-Bewegung einen vermeintlich von Gott gegeben Naturzustand der traditionellen Familie in Gefahr. Eine Art Angriff auf das Prinzip Mann/Frau und Polen soll die Bastion sein, die sich dieser Entwicklung entgegenstellt.
Nicht nur die Politik, auch Teile der Medien führen diesen Kulturkampf: Die rechtskonservative Wochenzeitung Gazeta Polska hat in ihrer aktuellen Ausgabe einen Sticker mit durchgestrichener Regenbogenfahne und der Aufschrift "LGBT-frei Zone" beigelegt.
Das ist der Gipfel der bisherigen Kampagne. Die Gazeta Polska ist ganz eng mit der PiS verbunden. Die Kritik, die nach Ankündigung der Aktion folgte, war natürlich kalkuliert. Aus Sicht des Magazins sind die Kritiker dieser Aktion alles Nazis, das sagen seine Macher wortwörtlich. Die größte Buchhandelskette in Polen hatte angekündigt, die Ausgabe diese Woche nicht ins Sortiment zu nehmen und erklärt, man stehe für Toleranz. Daraufhin hat die Gazeta wiederum erklärt, dies sei Zensur. Das Blatt forderte die Leute stattdessen auf, die Kioske, an denen die Zeitschrift nicht ausliegt, zu melden.
Auch die Bibel muss bei Homofeinden herhalten.Bild: imago/Marek Maliszewski
Im Herbst wird in Polen gewählt. Wie sehr lassen sich die Wähler im katholischen Land mit Homofeindlichkeit mobilisieren?
Das Thema hat schon in den Wochen vor der EU-Wahl stark an Bedeutung gewonnen und wird jetzt offensichtlich bis zum Herbst auf diesem Level bleiben.
"Das Feindbild LGBT oder 'Genderideologie' soll die Reihen schließen und hat das Feindbild Geflüchtete ein Stück weit ersetzt."
Bei der Hauptwählerschaft von PiS kommt das sehr gut an und gleichzeitig schaffen sie es sogar mit dem Thema, einen Keil in die Opposition zu treiben. Vor der EU-Wahl gab es ein breites Oppositionsbündnis liberaler Parteien. Nach der Wahl ist dann die polnische Bauernpartei ausgestiegen, weil sie massiv bei ihrer Stammwählerschaft auf dem Land verloren hat. Sie sagt, sie habe deswegen verloren, weil die liberale Opposition sich für Rechte von Homosexuellen eingesetzt hat.
Gibt es so eine Art homophoben Konsens in Polen?
Ich würde nicht von einem homofeindlichen Konsens in der Bevölkerung sprechen. Absolut nicht. Es gibt so viele Organisationen und Unterstützer, die dieses Thema nach vorne bringen. Trotz aller Umstände war die Pride in Białystok eine Premiere. Zum ersten Mal ziehen LGBT-Paraden außerhalb der Metropolen wie Warschau oder Kraków durch die Orte. Laut einer Umfrage spricht sich immerhin die Hälfte der Polen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften aus. Ich beobachte seit Jahren einen positiven Trend. Das wird langfristig zum Problem für PiS.
Bild: imago/Marek Maliszewski
Dabei wird offenbar auch über das Ziel hinausgeschossen. Einige Kritiker der homofeindlichen Kampagne ziehen Vergleiche zur Judenverfolgung im Dritte Reich.
Die Verfolgung der Juden, beziehungsweise die Massenvernichtung sollte man nicht auf eine Stufe stellen mit dem, was der LGBT-Community gerade hier passiert. Es gibt keine Vernichtungsfantasien oder Äußerungen in diese Richtung, auch wenn diese LGBT-freien Zonen schon sehr bedrohlich klingen. In lebe in Warschau, wo die Situation sicher ganz anders ist als in der ostpolnischen Provinz. Die Leute dort haben es sicher sehr viel schwerer und leider Gründe dafür, dass sie ihre sexuelle Orientierung nicht preisgeben wollen.
Kannst du einige nennen?
In einigen Gemeinden werden sie von Priestern als "Abnorme", als "Perverslinge" bezeichnet. Aber die Bedrohungslage insgesamt ist sicher nicht auf einem Niveau, dass man Genozid-Vergleiche heranziehen sollte. Das wäre eine Verharmlosung des Holocausts. Und es gibt ja trotz allem positive Entwicklungen. Es gibt eine Gegenbewegung gegen das klassisch Rechte Motto "Gott, Ehre, Vaterland", gegen die nationalistisch-katholische Bewegung. Und die feministische und die LGBT-Bewegung ist hier besonders stark.
So schön war der Tuntenspaziergang
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So schön war der Tuntenspaziergang
quelle: felix huesmann/watson / felix huesmann/watson
Seine Homosexualität sollte ihm ausgetrieben werden
Video: watson
Sie ist in der Modebranche gefragt und setzt regelmäßig Akzente in Sachen Schönheitsideale: Ella Emhoff, ihres Zeichens Influencerin und Stieftochter von Kamala Harris. Sie legte einen nahezu kometenhaften Aufstieg als Model und Designerin hin.