Wie geht Empathie auf Tiktok und Instagram, Yasmine M'Barek?
watson: Yasmine, müssen wir gegenüber der AfD Empathie zeigen?
Yasmine M’Barek: Da müssen wir erstmal einen Unterschied zwischen AfD-Politikern und AfD-Wählern machen. AfD-Politiker sind für mich ein undemokratischer Teil unserer Gesellschaft, weil sie aktiv grundgesetzverachtende politische Meinungen vertreten. Ich will gar nicht darüber reden, ob ich Empathie für Alice Weidel empfinde. Im Buch schreibe ich dazu einiges in Bezug auf die diesjährigen Sommerinterviews. Für mich ist Alice Weidel nicht Teil von der Gesellschaft, der ich mit Verständnis begegnen will.
Bei AfD-Wähler:innen ist das etwas anderes?
Ja, weil wir deren Hintergründe nachvollziehen müssen, um etwas zu verändern. Ich kann selbstverherrlichend in meiner Wohnung in Köln sitzen und sagen: Der Fascho aus dem Osten oder Gelsenkirchen ist kein Demokrat, mit dem will ich nichts zu tun haben. Aber darunter leiden dann marginalisierte Gruppen. Ich muss kognitive, also rationale Empathie gegenüber dem AfD-Wähler zeigen, um präventiv zu handeln – auch gegen die zunehmende Aggressivität.
Was ist denn eigentlich Empathie?
Empathie ist der Versuch, Menschen zu lieben. Und mit Menschen lieben meine ich, sie verstehen zu wollen. Empathie ist der Versuch, nachzuvollziehen.
Bist du selbst eine besonders emphatische Person?
Ich versuche zumindest immer, empathisch zu sein (grinst). Als ich das Buch geschrieben habe, wurde mir das dann auch aus meinem Umfeld öfter gespiegelt. Das ist natürlich ein gutes Gefühl.
Fällt es dir denn bei niemandem schwer, Empathie zu empfinden?
Man erwartet von Empathie immer so etwas Versöhnendes. Aber es geht erstmal nur um das Verständnis. Ich kann die Position des anderen danach immer noch scheiße finden. Aber es hilft, wenn ich ernsthaftes Interesse daran habe, die andere Person zu verstehen. Ich habe auch Momente, in denen ich sage: fuck Empathie. Aber genau in solchen Momenten ist es wichtig, empathisch zu sein.
Wie soll das gehen?
Kognitive Empathie ist erstmal das rationale Verstehen von etwas. Das heißt nicht, dass ich das auch fühle, das wäre emotionale Empathie. Ich kann zum Beispiel nicht nachempfinden, warum mein Opa rechts wählt, aber ich kann es nachvollziehen, rein rational. Das ist der erste Schritt. Ich darf verachten, dass Menschen diese Partei wählen. Aber ich kann mich trotzdem immer fragen, warum eine Person das macht.
Kannst du das an einer Situation aus dem Alltag festmachen?
Ich schreibe in meinem Buch über die "Yoga Bitch". Sie steht sinnbildlich für diese Begegnung, bei der man das Gefühl hat, Leute sind absichtlich böse zu einem und gucken einen abfällig an. In solchen Momenten kann man mutig sein und Empathie zeigen. Man kann einfach sagen: "Hey, ist irgendwas?" Vielleicht ist die Yoga-Bitch einfach nur genervt vom letzten Teams-Meeting mit ihrem Chef. In 99 Prozent der Fälle hat die Person aus Versehen so geguckt. So etwas aufzulösen kann sehr erleichternd sein.
In der Politik ist das schon schwieriger. Kann es überhaupt empathische Politiker:innen geben?
Die ganze Politik basiert darauf, dass man die Fehler der anderen ausschlachtet. Das ist ein Teufelskreis und da auszubrechen, ist schwierig. Robert Habeck hat das bei einigen Themen versucht. Aber da ist auch das Problem, dass die Politik abhängig ist von der Medienwelt. Wer ist denn das Sprachrohr für die Empathie der Politiker?
Was muss sich da ändern?
Empathisch wäre es, wenn ein Politiker einen Fehler macht, ihm den Raum zu geben, sich zu erklären. Das erfordert Mut und diesen Raum nehmen wir uns gegenseitig, weil wir denken, mit Empathie können wir kein Geld machen und keine Klicks erzielen. Aber das stimmt nicht.
Du schreibst in "I feel you" auch, dass Kapitalismus auf Social Media unsere Empathie versaut hat. Warum ist das so?
Weil alles auf Schnelligkeit ausgelegt ist und wir einen enormen Informationsfluss haben. Auf Tiktok hat mal jemand gesagt, dass wir am Tag so viele Informationen verarbeiten wie ein Bauer im Mittelalter in seinem ganzen Leben. Das ist enorm anstrengend. Außerdem haben wir uns mittlerweile daran gewöhnt, dass es nur absolute Meinungen gibt. Taylor Swift ist entweder die geile Selfmade-Billionaire-Feministin oder sie ist eine dumme, geldmachende Klimaverpesterin. Es gibt nichts dazwischen. Und das hat damit zu tun, dass sich das besser kapitalisieren lässt. Dabei sehnen sich die Menschen danach.
…also einfach mal das Handy weglegen?
Das hilft immer. (lacht) Aber es hat gleichzeitig etwas Toxisches. Denn bei bestimmten Dingen hängt man dann wieder hinterher und muss das "nacharbeiten". Man kann stattdessen im Internet auch selektieren, was man konsumiert. Wir haben die Wahl, ob wir polarisierte Inhalte liken und uns emotionalisieren lassen.
Wäre eine empathische Welt dann nicht das Ende des Berufs von Influencer:innen?
Menschen mit Reichweite sehnen sich auch nach mehr Empathie. Es ist doch anstrengend, in diesem ständigen Feuer zu leben. Es ist für Influencer Scheiße, es ist für Taylor Swift Scheiße – es ist selbst für Donald Trump Scheiße. Wir funktionieren alle besser, wenn wir eine Gemeinschaft sind. Und diese Gemeinschaft erreicht man nur mit Empathie.
Aber ist diese Empathie auf Social Media nicht oft geheuchelt?
Das stimmt, das Internet ist sehr misleading in der Frage, was empathisch ist. Es gibt diese berühmten Tiktoks von alten Leuten, die alleine essen. Leute filmen das und sagen "Es bricht mir das Herz, dass der Mann alleine isst". Dabei wissen die gar nicht, warum diese Leute wirklich alleine essen und ob sie das vielleicht gerade gern machen. Das mal zu hinterfragen, wäre empathisch. Aber geheuchelte Empathie hat gar keinen Effekt, denn man geht kein Stück aufeinander zu.
Kann denn jede:r von uns Empathie lernen? Oder ist diese Fähigkeit angeboren?
Alle können empathisch sein. Nachvollziehen ist eine rein kognitive Sache. Alle Menschen können nachvollziehen. Das ist nichts Angeborenes, sondern einfach eine Fähigkeit, zu der man sich committen kann oder nicht. Das macht es auch so nervig, wenn man auf Menschen trifft, die eigentlich zu klug sind, um unempathisch zu sein.