Eine der wichtigsten Stellen im neuen Enthüllungsbuch von Donald Trumps ehemaligem Sicherheitsberater John Bolton ist das erste Treffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump im Sommer 2018. Das Gipfeltreffen in Singapur, der sogenannte "Singapore Summit", sollte den Beginn von Trumps Nordkorea-Diplomatie markieren und endete Bolton zufolge gleich in einem Fiasko.
Anstatt Kim Jong-un eine verbindliche Zusage zum Ende seines Atomwaffenprogramms abzuringen, war Trump direkt bereit, eigene Verhandlungspositionen aufzugeben. So erklärte Trump direkt zu Beginn des Treffens, die gemeinsamen Manöver mit Südkorea aufzugeben, da diese sowieso "Geldverschwendung" seien. Ein verheerendes Zeichen für die Verbündeten der USA in der Region, Südkorea und Japan.
Auch an weiteren Punkten ließ Trump sich den Beschreibungen Boltons zufolge vom nordkoreanischen Machthaber ordentlich einlullen und unterschätzte dessen Verhandlungsgeschick kolossal. Ein Fehler, den viele andere im Umgang mit Kim Jong-un bereits begangen haben, wie Nordkorea-Expertin Jung H. Pak erklärt.
Sie hatte das Treffen in Singapur von Beginn an scharf kritisiert. Im Interview mit watson sagt sie, warum. Pak war mehrere Jahre als Analystin für die CIA tätig und wertete Geheimdienstinformationen über Nordkorea und das Regime von Kim Jong-un aus. Über ihr Wissen hat sie nun ein Buch geschrieben. Es erscheint am 21. Juli und trägt den Titel "Kim Jong-un. Eine CIA-Analystin über sein Leben, seine Ziele, seine Politik".
Pak erklärte watson, was Donald Trump bei seinem Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator falsch gemacht hat und welche Folgen seine unvorbereitete Nordkorea-Diplomatie für die globale Sicherheitslage hat.
watson: Ms. Pak, Sie haben Kim Jong-un und das nordkoreanische Regime fast zehn Jahre lang für die CIA beobachtet. Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie zwischen dem nordkoreanischen Machthaber und dem US-Präsidenten?
Jung H. Pak: Donald Trump und Kim Jong-un haben eine Menge Gemeinsamkeiten. Sie sind sich in ihrer Persönlichkeit, ihrem Aufwachsen und ihrer Sicht auf die Dinge sehr ähnlich. Beide sind in großen Wohlstand hineingeboren worden und umgeben von Menschen, die ihnen schmeicheln und ihr Selbstbewusstsein stärken. Sie sind beide sehr selbstbezogen, skeptisch gegenüber Außenstehenden, und sie sind der Meinung, dass ihnen Unrecht getan wird. Und auch wenn sie beide sehr privilegiert aufgewachsen sind, sehen sie sich als Vertreter des kleinen Mannes.
2018 kam es erstmals zum Aufeinandertreffen zwischen den beiden. Aus Ihrer Sicht: Wie hat sich Donald Trump im Umgang mit Kim Jong-un geschlagen?
Die beiden Männer waren darauf aus, dass das erste Gipfeltreffen gut vonstattengeht. Besonders, weil auch der Fokus der Medien auf dieses bisher einzigartige Ereignis gerichtet war. Beide versuchten deshalb, so sympathisch wie möglich zu wirken und überhäuften sich gegenseitig mit Komplimenten. Donald Trump sagte sogar, Kim sei clever und klug, und pries anschließend die Stärke ihrer persönlichen Beziehung als Fortschritt im Ringen um nukleare Abrüstung. Dabei wissen wir, dass das Regime weiter daran arbeitet, sein Atomwaffenprogramm auszubauen.
Abgesehen davon, dass es nicht die Wahrheit ist, klingt das wie eine nette Unterhaltung zu Beginn eines Treffens. Was ist daran falsch?
Mit Ihrem Nachbar oder Geschäftspartner wäre das eine nette Plauderei. Ich glaube für den Präsidenten, einem früheren Immobilienmogul, war das einfach ein weiteres Geschäftsgespräch, wie man es in New York City eben führt, wenn man einen Deal anberaumen will. Aber in diesem Fall war es ein Fehler. Kim ist kein Geschäftsmann. Er ist ein Diktator, der über Atomwaffen verfügt und seine Nachbarn sowie die Vereinigten Staaten bedroht. Für einen 36 Jahre alten Mann, der sein Leben lang von seinem gesamten Umfeld verehrt wurde, seit er ein Kind war, senden diese Schmeicheleien von Donald Trump eine andere Nachricht. In Kims Wahrnehmung wurde der US-Präsident damit schwächer und stärkte die Verhandlungsposition Nordkoreas. Trump hat die USA damit in eine sehr schlechte Position gebracht.
Das war nicht der einzige Fehler, den Donald Trump während des Treffens in Singapur 2018 begangen hat. Welche Fehler sehen Sie noch?
Trumps ehemaligem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton zufolge hat Trump im Vorfeld des Treffens gesagt, er sei bereit, eine inhaltslose Vereinbarung zu unterzeichnen. Und genau so ging er den Gipfel an. Er hat sich mehr auf die Medienpräsenz und die Publicity konzentriert, als auf die Gefahr, die von Nordkorea für die Region und die globale Sicherheit ausgeht. Anstatt den Gipfel als Möglichkeit zu sehen, Kim Zugeständnisse bei der nuklearen Abrüstung zu entlocken und einen substanziellen diplomatischen Prozess zu initiieren, der darauf abzielt, die koreanische Halbinsel zu befrieden, hat Trump wichtige Verhandlungsmasse ohne jede Not preisgegeben. Inklusive der gemeinsamen Manöver zwischen Südkoreanern und US-Truppen, die den Zweck hatten, abzuschrecken und auf einen möglichen Angriff Nordkoreas zu reagieren. Meiner Meinung nach war die Saat des Scheiterns bereits im März 2018 gesät worden, als Trump ohne Rücksprache mit seinen Bündnispartnern oder Beratern, die wussten, was auf dem Spiel steht, einem Treffen mit Kim zusagte.
Also war das Treffen von Anfang an zum Scheitern verurteilt?
Die Art und Weise, mit der Trump das Treffen forcierte, und die Aktionen danach haben die Glaubwürdigkeit US-amerikanischer Außenpolitik untergraben. Sie konterkarierten die Möglichkeiten unserer Unterhändler, Zugeständnisse bei der nuklearen Abrüstung zu erreichen. Kim hatte wenig Grund, Verhandlungen auf Arbeitsebene zuzustimmen, als er wusste, dass der US-Präsident mit ihm sprechen würde. Außerdem wurden unsere Verbündeten in der Region brüskiert.
Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in und Japans Premierminister Shinzō Abe wurden ins Abseits gedrängt, und der chinesische Staatschef Xi Jinping fing wieder an Kontakt zu Nordkorea aufzubauen, was keine gute Entwicklung ist aus meiner Sicht. Am allermeisten Schaden richtete Trumps Politik aber wohl dadurch an, dass es die Politik des maximalen Drucks untergrub, die den Zweck hatte, Kim wirtschaftlich zu schaden, wenn er sein Atomwaffenprogramm nicht beendet.
Sie waren nicht mehr bei der CIA, als Donald Trump sein Treffen mit Kim Jong-un anberaumte. Hätten Sie seinem Vorgänger, Barack Obama zu einem Treffen mit Kim geraten?
Ich hätte mich gegen ein bedingungsloses Treffen ausgesprochen, so wie es nun zwischen Trump und Kim Jong-un stattfand, weil es vor allem Kim Jong-uns internationales Ansehen, seine Anerkennung im eigenen Land und damit auch ihn selbst stärkt, ohne wirkliche Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung zu erzielen. Aber gerechterweise muss man auch sagen, dass es gute Gründe für ein Gipfeltreffen zwischen den beiden Staatschefs gibt.
Welche sind das?
Kim hat klargemacht, dass er, wie Trump auch, derjenige ist, der die Atomwaffen kontrolliert und der Knopf zum Abschuss auf seinem Tisch ist. Außerdem hat die nordkoreanische Propaganda ihn bei Raketentests gezeigt und im Gespräch mit seinen Wissenschaftlern und Ingenieuren, um klar zu machen, dass das nukleare Testprogramm ihm gehört. Er ist der richtige Ansprechpartner in diesem Sinne. Das Problem ist aber, dass die Verbündeten in der Region nicht einbezogen wurden und Donald Trump sich im Vorfeld nicht vorbereitet hatte, weil alles so schnell ging und Trump sich absolut sicher war, mit Kim einen Deal vereinbaren zu können.
Der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton beschreibt in seinem Buch, dass Trump ihn kurz vor dem Treffen noch fragte, warum die USA Sanktionen gegenüber Nordkorea verhängt habe. Bolton antwortete seinen Erzählungen nach: "Weil sie die Möglichkeit haben, Amerikaner zu töten." Das ist schon bestürzend...
Trump dachte, dass er sich nicht vorbereiten und einfach nur etwas Zeit mit dem nordkoreanischen Diktator von Angesicht zu Angesicht verbringen müsse, um das Problem zu lösen. Und das funktionierte natürlich überhaupt nicht.
Welchen Schaden hat Donald Trump damit angerichtet?
Er hat den diplomatischen Prozess mit Nordkorea gefährdet und es nicht geschafft, sein gutes Verhältnis zu Kim Jong-un dafür zu nutzen, die Gefahr durch Nordkorea zu senken. Zusätzlich hat er versucht, den diplomatischen Kontakt zu Nordkoreas Diktator weiter aufrecht zu halten, indem er die Aggressionen, die von Nordkorea ausgehen, ignoriert hat. Die Trump-Regierung hat einen Haufen Sanktionen zurückgehalten, Manöver zwischen den USA und Südkorea verschoben oder herabgestuft. Und sie hat ignoriert, dass Nordkorea seit Mai 2019 wieder Kurzstreckenraketen testet. Leider hat dieser Ansatz nicht dazu geführt, dass Kim sich mäßigt, sondern es hat ihn vermutlich eher noch bestärkt.
Das ist überraschend. Noch vor wenigen Jahren, dachte man noch, Donald Trump würde den nächsten Weltkrieg starten...
Die unbedachten Äußerungen über Krieg, die der US-Präsident vor drei Jahren gebracht hat, machten viele Menschen sehr nervös. Zu der Zeit gab es starke Hinweise, dass die Trump-Regierung einen Militärschlag gegen Nordkorea in Erwägung zog, um dem Land eine "blutige Nase" zu verpassen. Das Problem war nur, dass jede Art von Militärschlag gegen Nordkorea, auch wenn es sich um einen begrenzten Angriff handelte, einen deutlich größeren globalen Konflikt verursacht hätte, inklusive nuklearen Waffen. Kim hätte sich mit dem Rücken zur Wand gesehen und wohl stark zurückgeschlagen, möglicherweise auch mit Atomwaffen. Gott sei Dank wurden die Spannungen abgebaut, als Kim sich 2018 diplomatischen Bemühungen zuwendete. Die Gespräche mit Trump zeigten Kim dann wohl auch, dass der US-Präsident kein Interesse an einem Krieg in Asien hat.
Dieser Sinneswandel von Trump sowie seine gesamte undurchdachte Art und Weise, Außenpolitik zu machen, scheint aber auch negative Seiten zu haben...
Die Tatsache, dass der US-Präsident so schnell von Konfrontation auf Diplomatie schaltete, zeigte Kim Jong-un, dass die Vereinigten Staaten generell kein Interesse an einem Krieg haben und Donald Trump vor militärischen Konflikten zurückschreckt, selbst als Nordkorea Ende 2017 drei Tests von Interkontinentalraketen durchführte. Auch das Interesse Trumps am Treffen mit ihm zeigte Kim, dass der US-Präsident keinen Krieg will. Das bestärkt Kim darin, die Grenzen der Toleranz der USA und der internationalen Staatengemeinschaft auszutesten.
Könnte diese zögerliche Politik von Trump dazu führen, dass Verbündete wie Japan und Südkorea selbst Atomwaffen entwickeln?
Trump hat die Debatte um nukleare Aufrüstung in Seoul und Tokio angefeuert, in dem er immer wieder gesagt hat, dass es für die USA zu teuer sei, die Sicherheit dieser beiden Länder zu garantieren. Das ist ziemlich kurz gedacht und gefährlich. Wir alle sollten uns Sorgen machen über die Weitergabe von Atomwaffen in dieser Region, die Konsequenzen für den dortigen Frieden und die Ordnung. Asien macht fast zwei Drittel des globalen Wirtschaftswachstums aus.
Wenn Japan und Südkorea, zwei der stärksten Verbündeten der USA, das Gefühl haben, dass die Vereinigten Staaten kein Interesse mehr an ihrem Schutz haben, führt das zu einer Aufrüstung der beiden Staaten, der Erosion des Atomwaffensperrvertrags und den Vereinbarungen, die die USA und die Staatengemeinschaft über Jahrzehnte hinweg getroffen haben, um nukleare Abrüstung zu ermöglichen. Das erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass gefährliche Akteure an sensible Technologien und Spaltstoffe kommen. Im Moment glaube ich allerdings nicht, dass Japan Atomwaffen entwickeln wird, weil die Öffentlichkeit dagegen ist. Die Japaner sind sich der tragischen Konsequenzen von Atomwaffen sehr bewusst. Sie haben Hiroshima, Nagasaki und das Fukushima Desaster miterlebt.
Und Südkorea?
In Südkorea wurde in den vergangenen Jahren sehr viel mehr darüber gesprochen, eigene Atomwaffen zu entwickeln, seit die Bündnistreue der USA infrage steht. Aber ich glaube nicht, dass man dort wirklich durchdacht hat, was eigene Atomwaffen in der Praxis wirklich bedeuten.
Wie wird sich der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea weiterentwickeln, jetzt wo die USA ihr eigenes Engagement dort zurückfahren?
Ich glaube nicht, dass dieses Jahr noch Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung gemacht werden. Es könnte ein weiteres Treffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump geben. Aufgrund der Unberechenbarkeit unseres aktuellen US-Präsidenten ist alles möglich.
Im November wird bei Ihnen gewählt. Wie sollte die Nordkorea-Politik des kommenden US-Präsidenten aussehen?
Die nächste Regierung, egal ob es jetzt Joe Biden als Präsident sein wird oder weitere vier Jahre Donald Trump, muss die Beziehungen zu Japan und Südkorea wieder in Ordnung bringen. Das Bündnis wurde sehr geschwächt, und Vertrauen muss wieder hergestellt werden. Nordkorea nutzt die aktuellen Brüche im Bündnissystem der USA aus. Es ist sehr wichtig für Washington, dort Einheit zu schaffen, um die Bedrohung durch Nordkorea zu reduzieren.
Ist Donald Trump hierfür der richtige Mann?
Ich glaube nicht daran, dass eine weitere Regierung Trump das umsetzen kann. Präsident Trump hat sich wenig Mühe gegeben, zu verstecken, wie er über Bündnisse, Multilateralismus und die Rolle der USA in der Welt denkt. Außerdem gehen ihm qualifizierte Mitarbeiter für seine Regierung aus. Aber ich glaube, dass Europa den Einfluss und das Engagement in Ostasien verstärken könnte, wenn es mit den USA und dessen Verbündeten daran arbeiten würde, die Sanktionen gegen Südkorea zu implementieren und die Wichtigkeit einer gemeinsamen Strategie zur nuklearen Abrüstung Nordkoreas zu unterstreichen.