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Interview

FDP-Vize Johannes Vogel über AfD-Abstimmung mit CDU und Migrationskurs

09.02.2025, Brandenburg, Potsdam: Johannes Vogel, stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender, spricht beim außerordentliche Bundesparteitag der FDP vor der Bundestagswahl. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ ...
Johannes Vogel ist stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Bild: dpa / Michael Kappeler
Interview

FDP-Vize Johannes Vogel verteidigt Migrationsrhetorik von Christian Lindner

17.02.2025, 17:37
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Hinter dem Büro von Johannes Vogel erstreckt sich die Nachmittagssonne auf dem Platz der Republik. Im Sommer, sagt er, kann man sogar bis in den Tiergarten schauen. Ob er den Ausblick vermissen wird?

Weniger als zwei Wochen vor der Bundestagswahl ist es Vogel nicht anzumerken, dass es seine vorerst letzten im Bundestag sein könnten. Keine Umzugskartons, kein Fatalismus – obwohl die FDP, deren Vize er seit 2021 ist, in Umfragen die Fünfprozenthürde nur von unten sieht. Von seinem Schreibtisch aus blickt er auf ein Poster, darauf zu lesen: "Work hard, dream big."

watson: Herr Vogel, haben Sie mal überlegt, aus der FDP auszutreten?

Johannes Vogel: (lacht). Nein. Ich bin stolz darauf, dass meine Partei gerade den Rücken gerade gemacht und gesagt hat, wenn es inhaltlich nicht passt und der nötige Agenda-Moment für unser Land nicht möglich ist, setzen wir eine Koalition nicht um jeden Preis fort.

Dabei waren Sie in der Koalition ein ums andere Mal anderer Meinung als Ihre Fraktion. Beim Rentenpaket etwa.

Ganz im Gegenteil. Ich habe beim Rentenpaket gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion vor allem Arbeitsminister Hubertus Heil daran erinnert, dass im Koalitionsvertrag stand, dass es generationengerecht abgesichert sein muss. Das war nicht der Fall. Ich halte es für zentral, dass wir in Jahrzehnten denken, nicht in Legislaturperioden.

Bei der letzten Bundestagswahl war die FDP die stärkste Partei bei den Erstwähler:innen. Was ist seitdem schiefgelaufen?

Junge und Erstwähler sind die Wählergruppe, in der der Stammwähleranteil am geringsten und der Anteil der Wechselwähler am stärksten ist. Ich kämpfe dafür, dass deutlich wird, dass die FDP die Partei ist, die das umfassendste Verständnis von Nachhaltigkeit und von langfristigem Denken hat, weil wir überall für Generationengerechtigkeit eintreten – bei den Staatsfinanzen, Klimaschutz und sozialen Sicherungssystemen.

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Christian Lindner (l.) und Johannes Vogel arbeiteten bereits in Nordrhein-Westfalen zusammen. Bild: imago images/ iPON

Warum fühlen sich Jungwähler:innen davon offenbar kaum angesprochen?

Wir reden als Land in diesem Wahlkampf zu wenig über Zukunftsthemen. Die Gesetzliche Aktienrente hat 2021 viele junge Menschen angesprochen.

Dann reden wir über Wirtschaft. Stefan Bach vom DIW hat errechnet, dass die FDP Steuerentlastungen von 188 Mrd. Euro fordert. Wie soll das finanziert werden?

Schrittweise. Das Ziel ist, dass Deutschland die Wirtschaftswende schafft, weshalb wir wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern und einen ersten Entlastungsimpuls für die Bürgerinnen und Bürger etwa durch 1.000 Euro mehr Grundfreibetrag brauchen. Dafür haben wir konkrete Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht, etwa bei der Grundsicherung und durch die Streichung von milliardenschweren Subventionen. Dadurch springt die Konjunktur an und wir haben auch steigende Steuereinnahmen. Diese Spielräume möchten wir für die weiteren Entlastungsschritte nutzen.

Sie bemängeln, dass zu wenig über diese Themen geredet wird, gleichzeitig hört man aus der FDP vor allem Migration und Kritik an den Grünen.

Ich selbst rede bei meinen Wahlkampfterminen vor allem über Lösungen und Zukunftskonzepte wie die Aktienrente. Auch unser Wahlprogramm spricht eine klare Sprache.

Warum nimmt man davon nichts wahr?

Ich glaube, dass sich dieser Eindruck vor allem medial verbreitet. Gesamtgesellschaftlich diskutieren wir oft zu wenig über die großen Zukunftsfragen und sind zu oft im Klein-Klein.

Die FDP stimmte für den 5-Punkte-Plan der CDU, der juristisch auf wackeligen Beinen steht. Was ist aus der Partei geworden, die wie keine andere auf die Einhaltung von Recht gepocht hat?

Bei einem Entschließungsantrag geht es nicht um Recht, sondern um eine inhaltliche Positionsbestimmung des Bundestages. Gerade wenn man die Akzeptanz für gesteuerte Einwanderung auf den Arbeitsmarkt hochhalten möchte, brauchen wir in der Migration mehr Ordnung und müssen dafür sorgen, dass Regeln in unserem Rechtsstaat eingehalten werden. Wenn in hoher Zahl Menschen, die kein Bleiberecht haben, nach Deutschland kommen, einfach hier bleiben und einige von ihnen dann furchtbare Straftaten wie in Aschaffenburg und München begehen, ist das nicht akzeptabel. Das zerreißt die Gesellschaft.

Sie nehmen es für die große Geste hin, dass die Vorschläge rechtlich wohl nicht umsetzbar sind?

Das weise ich zurück. Ich halte es aber für ganz entscheidend, dass man jetzt wirklich anpackt. Unser Ex-Justizminister Marco Buschmann hat erklärt, dass das europarechtskonform geht. Grenzkontrollen finden auf unser Betreiben hin an einigen deutschen Grenzen schon statt. Das kann aber kein Dauerzustand sein. Die offenen Grenzen in Europa sind Errungenschaften unseres Kontinents. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass das europäische Asylsystem endlich funktioniert.

Die FDP trägt mit Ihrer Rhetorik dazu bei, dass Migration allein als Sicherheitsproblem verstanden wird. Christian Lindner hat in seiner Rede von Eltern gesprochen, die ihre Teenagertochter abends nicht allein in die Stadt lassen.

Sie können doch nicht so tun, als wäre es nicht zu sicherheitspolitischen Herausforderungen gekommen. Die Fälle haben sich in den letzten Monaten gehäuft. Auch mich beschäftigt, wenn junge Menschen, und, machen wir uns ehrlich, besonders junge Frauen, abends zu oft ein ungutes Sicherheitsgefühl am Bahnhof und in der U-Bahn haben. Dieses Ausgehen ist gelebte Freiheit. Entscheidend ist dabei, wie wir mit den beschriebenen, realen Ängsten umgehen – die Populisten und Extremisten wollen sie politisch nutzen, verantwortliche Reformkräfte wollen und müssen reale Probleme wirklich lösen. Das ist auch Voraussetzung, um die Ränder wieder kleinzukriegen.

27.09.2024, Berlin: Johannes Vogel (FDP) spricht bei der Sitzung des Bundestags mit der ersten Lesung zum Rentenpaket II. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Johannes Vogel sitzt seit 2017 im Bundestag.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Dafür nimmt man als FDP auch Stimmen der AfD in Kauf?

Die FDP will eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik und dafür eine Mehrheit aus dem Spektrum der demokratischen Mitte. Das ist trotz mehrfacher FDP-Initiative vor der Wahl an dem Unwillen von SPD und insbesondere den Grünen gescheitert.

Beim Zustrombegrenzungsgesetz haben Sie aber, wie viele aus Ihrer Fraktion auch, nicht an der Abstimmung teilgenommen. Wieso?

Dieses Gesetz hätte akut nichts verändert und im Bundesrat wäre es von unionsgeführten Ländern erklärtermaßen gestoppt worden, weil es nur mit Stimmen der AfD zustande gekommen wäre. Auch bei uns überwog für einige dieser Aspekt in der schwierigen Abwägung.

Für Sie auch?

Ja.

Über das Klima wird hingegen kaum geredet. Die FDP möchte Klimaschutz über den Markt lösen, aber gleichzeitig das Umweltbundesamt abschaffen, das den Zertifikatehandel regelt. Wie soll das funktionieren?

Der Zertifikatehandel deckelt die Menge an CO₂, die emittiert werden darf und jedes Jahr sinkt. Dafür nutzt er die Kräfte der Marktwirtschaft. Das ist das einzige Instrument, mit dem die Klimaziele garantiert erreicht werden. Das ganze Umweltbundesamt in seiner jetzigen Form braucht man dafür nicht. Es muss möglich sein, Behörden zu verschlanken und ganz zu hinterfragen, sonst gelingt uns die generell notwendige Verschlankung des Staates nicht.

In der vorvergangenen Woche hat der Bundestag eine umfassende Reform zu genau diesem CO₂-Emissionshandel beschlossen. Die FDP hat dagegen gestimmt. Wieso?

Die FDP will, dass wir die Ausweitung des EU-Emissionshandels auf alle Sektoren so schnell wie möglich nutzen und die bisherige CO₂-Steuer dadurch abgelöst wird, die übrigens gar nichts deckelt. Die rot-grüne Regierung hat in diesem Gesetz vorgeschlagen, genau das eben nicht zu machen und an der CO₂-Steuer stattdessen länger als nötig festzuhalten.

Ist das nicht einfach nur eine Ausrede, um keine Klimapolitik zu betreiben? Beim Tankrabatt war es ähnlich.

Harter Widerspruch. Beim sogenannten Tankrabatt hat Deutschland – genauso wie zahlreiche andere EU-Länger auch – eine temporäre Entlastung der Bürgerinnen und Bürger vorgenommen. Wir hatten eben nicht die klimaordnungspolitisch gesteuerte Verknappung von Zertifikaten, auf die Marktteilnehmer sich einstellen können, sondern einen vorübergehenden externen Schockeffekt durch Putins Überfall auf die Ukraine und den Sofortstopp von Öl- und Gaslieferungen. Das ist eindeutig eine Ausnahmesituation.

Lukas Köhler, der klimapolitische Sprecher der FDP, ist auf der Landesliste so platziert worden, dass er mit Sicherheit nicht in den Bundestag einziehen wird. Was bleibt, ist der Eindruck, dass sich die FDP nicht um das Klima schert.

Das hatte andere Gründe – aber ich bedauere das sehr, weil ich Lukas als Politiker und als Mensch sehr schätze. Unsere Klimapolitik ist aber nicht abhängig von einzelnen Personen.

CDU will Cannabis-Legalisierung rückgängig machen – ist das möglich?

Der Jubel war groß, als die teilweise Cannabis-Legalisierung am 1. April 2024 in Deutschland in Kraft getreten war. Doch wo es Jubelnde gibt, sind auch die Kritiker:innen für gewöhnlich nicht weit: Die Union kritisierte das Vorhaben etwa von Anfang an. So ist es auch nicht verwunderlich, dass CDU und CSU laut Wahlprogramm der Teillegalisierung des Rauschmittels eine Absage erteilen.

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