Seit Donald Trump Präsident der USA ist, schießt er regelmäßig verbale Giftpfeile in Richtung Deutschland: Weil angeblich zu viele deutsche Autos durch New York fahren, weil Deutschland nach Trumps Empfinden zu wenig Geld für seine Verteidigung ausgibt, wegen der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Deutschland und Russland. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern scheint so schlecht zu sein wie seit Jahrzehnten nicht.
Was würde sich am deutsch-amerikanischen Verhältnis ändern, wenn Joe Biden im Januar 2021 ins Weiße Haus einzieht? Darüber hat watson mit Cathryn Clüver Ashbrook gesprochen. Sie ist Politologin an der Harvard Kennedy School in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts – und Gründungsgeschäftsführerin des "Future of Diplomacy"-Projekts dort. Clüver Ashbrook hat die deutsche und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Sie glaubt, dass sich einiges verbessern wird, falls Biden im Herbst die Wahl gewinnt – aber dass einige Streitfragen bleiben. Sie meint aber auch, dass Europa auch auf eine zweite Trump-Amtszeit vorbereitet wäre.
watson: Frau Clüver Ashbrook, wie schlecht sind die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland wirklich?
Cathryn Clüver Ashbrook: Sie haben einen historischen Tiefstand erreicht. Das haben wir in den vergangenen Tagen wieder gesehen. Der Drohbrief dreier republikanischer US-Senatoren gegen den Fährhafen Sassnitz im Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 ist das jüngste Beispiel. Auch an der Art und Weise, wie der angekündigte Abzug von US-Truppen aus Deutschland kommuniziert wurde, kann man sehen, dass es keine klare und direkte strategische Kommunikation mehr zwischen der Bundesregierung dem Weißen Haus in Washington gibt. Die USA und Deutschland klären wichtige Fragen nicht mehr gemeinsam ab. Daraus entstehen Missverständnisse. Die übertragen sich dann auf die Bevölkerung, vor allem in Deutschland. Das macht mir große Sorgen.
"Der Eindruck, dieser US-Präsident habe es gerade auf Deutschland, zum Teil auch auf die Kanzlerin persönlich abgesehen, lässt sich durch die unstrategischen Entscheidungen schlecht leugnen – das kann man beinahe als feindlich auslegen."
Wie meinen Sie das?
Nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten 2016 sind viele Deutsche in eine Art Schockstarre verfallen. Danach ist daraus eine immer größere Sorge geworden. Und jetzt wächst der Anti-Amerikanismus, das sehen wir auch in Umfragen zum Verhältnis zu den USA. Ein Teil der Deutschen blickt auf die USA wie auf ein enges Familienmitglied, das man gerade verliert, viele aber auch mit Verärgerung. Und die ist zumindest teilweise auch berechtigt, wenn man sich das Verhalten der US-Regierung anschaut.
Hat es Trump auf Merkel abgesehen?
Liegt es nur an der Regierung Trump und ihrem feindseligen Ton in Richtung Deutschland, dass sich die Beziehungen so verschlechtert haben – oder steckt dahinter ein größeres Problem?
Ich glaube, die Tendenz zum Anti-Amerikanismus in Deutschland hat schon viel mit dieser US-Regierung zu tun. Aber es gibt viel ältere Misstöne: Um Nord Stream 2 gab es schon unter Präsident Barack Obama Streit, der NSA-Skandal wurde auch unter Obama öffentlich. Und weil Deutschland sich 2003 nicht am Irak-Krieg beteiligt hat, gab es damals schon eine große Verstimmung zwischen beiden Ländern. Aber politische Unterschiede gehören zu einem Verhältnis zwischen Partnern, die sich international auf Augenhöhe begegnen, dazu. Der enge diplomatische Kontakt, die gewachsenen Beziehungen zwischen dem Bundestag und US-Kongress, der Respekt beider Regierungen voreinander, ganz gleich welcher politischen Richtung: All das hat in den langen Jahren der deutsch-amerikanischen Beziehungen für Stabilität und Verständnis gesorgt, weil das Fundament nicht infrage gestellt wurde. Auch große politische Unterschiede wurden dadurch tolerabel, weil die Hintergründe und Interessen durch regelmäßigen respektvollen Austausch deutlich wurden. In den Jahren vor Trump konnte man durch den ständigen Kontakt miteinander darüber sprechen und solche Probleme ausräumen. Der Eindruck, dieser US-Präsident habe es gerade auf Deutschland, zum Teil auch auf die Kanzlerin persönlich abgesehen, lässt sich die unstrategischen Entscheidungen schlecht leugnen – das kann man beinahe als feindlich auslegen.
US-Kampfflugzeuge auf der Spangdahlem Airbase, einem wichtigen US-Stützpunkt in Deutschland. Bild: www.imago-images.de / Björn Trotzki
Mal angenommen, Joe Biden gewinnt die Wahl am 3. November und wird US-Präsident. Geht es dann wieder freundschaftlich zu zwischen USA und Deutschland?
Naja, es gibt deutsch-amerikanische Streitfragen, bei denen es den USA um eigene wirtschaftliche Interessen geht. Nordstream 2 ist ein Beispiel: Die USA hätten es natürlich auch lieber, wenn Deutschland US-amerikanisches Flüssiggas kaufen würde als Erdgas aus Russland. Dass sich zwei große Länder über solche Fragen streiten, halte ich auch für nachvollziehbar.
Das heißt, solche Streitfragen zwischen den USA und Deutschland werden mit Trump nicht verschwinden.
Genau. Schauen Sie sich den Streit um die deutschen Verteidigungsausgaben an, den um den Datenschutz nach dem Schrems-II-Urteil, mit dem der Europäische Gerichtshof ein wichtiges Abkommen für den Datenaustausch zwischen EU und USA gekippt hat. Aber das sind alles lösbare Probleme. Das Problem ist momentan die aggressive Rhetorik aus den USA, aus dem Weißen Haus und von Trump-nahen Politikern aus dem Kongress. Diese Feindbild-Dynamik muss aufhören. Es gibt ja viele internationale Probleme, für deren Lösung Deutschland und die USA eigentlich dringend zusammenarbeiten müssen.
"Bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2019 hat Joe Biden gesagt 'We will be back'. Er hat versprochen, dass die USA wieder ein verlässlicher Partner für Europa werden"
Welche Probleme meinen Sie?
Die Konkurrenz zu China, die Bedrohung durch Russland, der Kampf gegen den Klimawandel. Es ist wichtig, dass die USA und Deutschland bald wieder eine gemeinsame Basis finden, um über diese Probleme zu reden, um Kompromisse und gemeinsame Lösungen zu finden.
Das heißt, das Problem ist aus Ihrer Sicht vor allem der Tonfall. Das könnte eine neue US-Regierung ja ziemlich schnell ändern.
Ja, und Joe Biden hat das auch in fast jeder außenpolitischen Rede angekündigt. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2019 hat er gesagt "We will be back". Er hat versprochen, dass die USA wieder ein verlässlicher Partner für Europa werden. Diese Haltung trägt auch die Mehrheit der US-Amerikaner: Laut Umfragen sind die meisten für eine starke Nato, für internationale Zusammenarbeit. Das gilt überparteilich, für Anhänger der Republikaner wie der Demokraten. Und auch aus dem US-Kongress gab es überparteiliche Initiativen dafür, das Verhältnis der USA zu den europäischen Partnern und gerade zu Deutschland zu erhalten.
Sollte Joe Biden die Wahl gewinnen, wird die demokratische Senatorin Kamala Harris seine Vizepräsidentin. US-Vizepräsidenten spielen oft eine wichtige Rolle in der Außenpolitik, so war es ja auch bei Joe Biden unter Präsident Obama. Wie steht denn Kamala Harris zu Deutschland?
Dazu muss man sagen: Joe Biden war vor allem deshalb so wichtig in der Außenpolitik, weil er als Kongressabgeordneter schon viel Erfahrung dort gesammelt hatte – während Obama aus der Bürgerrechtsbewegung kam und vor seinem Amtsantritt wenig mit Außenpolitik zu tun gehabt hatte. Bei Biden und Harris wäre es umgekehrt: Biden ist, wie gesagt, außenpolitisch erfahren. Kamala Harris hat dagegen vor allem innenpolitische Erfahrung, sie wird sich vor allem um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise kümmern.
"Joe Biden hat ja jetzt schon sehr viele erfahrene Berater in seinem Team. Das kann nur gut sein für die deutsch-amerikanische Beziehung."
Was können die Menschen in Deutschland denn dann von Joe Biden erwarten, falls er Präsident wird?
Er ist ein wirklich sehr gut vernetzter Außenpolitiker, er hat schon vor der Vizepräsidentschaft unter Obama beinahe acht jahrelang den Auswärtigen Ausschuss des Senats geleitet. Und Außenpolitik wird in den USA ja sehr stark vom Weißen Haus aus beeinflusst. Unter Präsident Trump sehen wir gerade, wie negativ sich das auswirken kann.
Unterkühlt: Angela Merkel und Donald Trump begrüßen einander beim Nato-Treffen in London im Dezember 2019. Bild: imago-images / White House
Wie meinen Sie das?
Das State Department, das US-Außenministerium, kommt auf dem Zahnfleisch daher. Über 30 Prozent der Botschafterposten der USA sind immer noch unbesetzt, das ist wirklich dramatisch. Wenn Joe Biden die Wahl gewinnt, muss er das State Department erstmal wieder in Ordnung bringen. Und er wird viele außenpolitische Experten ins Weiße Haus holen. Joe Biden hat ja jetzt schon sehr viele erfahrene Berater in seinem Team. Was er da plant, kann nur gut sein für die deutsch-amerikanische Beziehung. Die Experten wären dann wieder am Ruder.
"Bei der Wahl zwischen Trump und Biden geht es nicht um zwei normale Präsidentschaftskandidaten. Hier geht es darum, ob die Demokratie in den USA in Zukunft noch funktioniert."
Es kann ja auch ganz anders kommen – und Donald Trump wird für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Macht Ihnen diese Aussicht Angst?
Ja. Vor allem, weil eine zweite Amtszeit Trumps das politische System der USA pervertieren kann. Bei einem knappen, umstrittenen Wahlsieg kann das Land in eine echte politische Krise steuern. Gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte machen mir die autokratischen Tendenzen hier in den USA große Sorgen, besonders der seit Jahren konsequent vorangetriebene Angriff dieser Regierung auf das Justizsystem. Ich möchte das noch einmal sagen: Bei der Wahl zwischen Trump und Biden geht es nicht um zwei normale Präsidentschaftskandidaten. Hier geht es darum, ob die Demokratie in den USA in Zukunft noch funktioniert.
Und was ist, wenn Trump klar gewinnt?
Ich denke, dass Europa gerade anfängt, sich auf einen solchen Fall mit den richtigen Entscheidungen vorzubereiten. Zum Beispiel, indem die EU bei ihrem Corona-Hilfspaket nicht bei der strategischen Autonomie gespart hat – also bei den Projekten, durch die Europa stärker in der Welt dasteht. Auch Europa hat die Schockstarre nach der Trump-Wahl überwunden.
Was meinen Sie damit?
Die EU hat begonnen, sich andere Partner zu suchen: zum Beispiel in der Allianz für Multilateralismus, zu der inzwischen auch Japan und Südkorea gehören. Wichtig ist auch, das den Bürgern zu erklären: Dass man viel Steuergeld ausgeben muss, um die eigenen Interessen in der Welt zu verteidigen. Die Bedrohungen sind international: Das haben wir in der Corona-Krise gesehen, das gilt für den Klimawandel. Auch das Thema Migration wird uns weiter beschäftigen, die Corona-Krise kann viele Menschen in die Flucht treiben. Und die Weltmächte geraten wieder aneinander: die USA, Russland, China. Aber ich bin ziemlich optimistisch, dass die EU endlich in eine Rolle hineinwächst, die es ihr ermöglicht, europäische Interessen in der Welt wirklich zu verteidigen.
Das heißt, Sie sind optimistisch – auch für den Fall, dass Trump die Wahl gewinnt.
Trumps Präsidentschaft hat viele Entwicklungen beschleunigt. Und sie hat die deutsche Bevölkerung aufgerüttelt, seine "America First"-Politik hat vielen in Deutschland klargemacht: Wenn wir unsere Sicherheit selbst schützen wollen, dann müssen wir dafür auch mehr Geld ausgeben. Das gilt aber unabhängig von Donald Trump: Wir müssen Europa wehrhaft machen, um unsere Interessen zu verteidigen, aber auch unsere demokratischen Werte. Es ist gut, dass wir darüber endlich stärker diskutieren, auch auf den Straßen und Marktplätzen – wenn wir dann nach der Corona-Krise wieder alle nach draußen dürfen.
Terroristen, die jeden regelrecht abschlachteten, den sie finden konnten, eine Hetzjagd auf Menschen, auch auf Babys: Die Bilder vom brutalen Hamas-Übergriff am 7. Oktober 2023 gingen um die Welt. Das Leid, das die Terrororganisation damit auslöste, ist immens. Rund 1200 Menschen wurden dabei getötet, etwa 250 weitere wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.