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Interview
05.06.2019, 19:3212.06.2019, 09:00
Es ist der vielleicht schwierigste Job überhaupt – gleich nach HSV-Trainer. Acht Parteichefs hat die SPD innerhalb der vergangenen 15 Jahre verschlissen. Andrea Nahles ist da nur das jüngste Beispiel. Allerdings ein Beispiel mit Folgen, denn so recht scheint gerade keiner mehr zu wollen.
Ein Trio soll jetzt erstmal richten und retten – für den Übergang zumindest, bis dann ein echter Retter gefunden ist. Bis dahin werden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel moderieren, blitzableiten, versöhnen und innerparteiliche Gräben zuschütten. Und vor allem: beruhigen. Die Troika ist so etwas wie ein Sedativum auf Zeit. Wohl auch, weil all jene, die den Posten insgeheim gerne hätten, wissen, dass weder Dreyer noch Schwesig oder Schäfer-Gümbel langfristige Parteivorsitz-Ambitionen haben.
Alexander Schweitzer war bei der Machtübergabe an die Übergangstroika dabei. Er ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz und Teil des Parteivorstands der SPD. Er kennt Andrea Nahles seit seiner Jugend und hat viele Jahre mit ihr Politik gemacht. Im watson-Interview bedauert er den Rücktritt der Parteivorsitzenden und kann sich vorstellen, dass am Ende ein Überraschungskandidat das Rennen um den Vorsitz macht.
watson: Herr Schweizer, nehmen Sie uns mal mit in die Vorstandssitzung vom Montag. Wie muss man sich das vorstellen? Andrea Nahles kommt rein, sagt „Tschüss“ und alles guckt betroffen und beschämt zu Boden?
Alexander Schweitzer: Alle waren natürlich sehr betroffen, alles andere wäre auch nicht nachvollziehbar. Ich persönlich kenne Andrea Nahles schon seit ich 15 oder 16 war, noch von den Jusos. Später dann war sie Juso-Landesvorsitzende, ich ihr Stellvertreter. Über all die Jahrzehnte gab es immer mal besonders gute, enge und auch mal weniger enge Zeiten, in denen wir uns aber auch begegnet sind. Für mich war das am Montag eine sehr traurige Stunde. Die letzten Tage habe ich als ein unschönes Kapitel in der Geschichte meiner politischen Tätigkeit erlebt.
Können Sie diese Entscheidung denn nachvollziehen?
Mir steht es nicht zu, die Gründe zu kommentieren. Aber ich kann vielleicht ansatzweise nachvollziehen, was in ihr los war. Es war das berühmte Tröpfchen zu viel, das das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Sie hat realisiert, dass die, die sich schon seit Wochen und Monaten mit öffentlichen und halböffentlichen Äußerungen zu ihrer Tätigkeit und ihrer Performance nicht zurückgehalten haben, auch in Zukunft keine Ruhe geben würden. Ich finde das traurig, und ich hätte mir auch gewünscht, dass sie hätte weitermachen können.
Die persönlichsten Worte zum Nahles-Rücktritt sprach Angela Merkel. Nahles sei Sozialdemokratin mit Herzblut und feinem Charakter. Was sagt das über den Zustand der SPD aus, wenn die größte Respektsbekundung ausgerechnet vom politischen Gegner kommt?
Ich teile Ihre Ansicht nicht: Es gab sehr viele persönliche und aufrichtige Worte gegenüber Andrea Nahles aus Reihen der SPD. Die allermeisten Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wussten schon genau, was sie an Andrea Nahles hatten. Wer sie gut kennt, weiß, dass sie eine sehr verlässliche, authentische, verbindliche und emotionale Persönlichkeit ist.
Es war und ist nicht so, dass die Sozialdemokraten die CDU brauchen, um auf den feinen Charakter von Andrea Nahles hinzuweisen.
Andrea Nahles stand für die Groko, die oft verantwortlich für den Niedergang der SPD gemacht wird. Aber hat der Abwärtstrend nicht schon unter Gerhard Schröder und seiner Agenda-Politik begonnen? Seither ist viel passiert. Vor allem mit der SPD. Verlust der Kanzlerschaft, Abspaltung des linken Flügels, freier Fall auf unter 20 Prozent.
Ja, man muss nicht in die letzten 14 Tage, sondern in die letzten 14 Jahre schauen, um zu ergründen, warum wir da stehen, wo wir stehen. Aber auch in dieser langen Zeitspanne gab es keine lineare Entwicklung: Wir haben zwischendurch hervorragende Landtagswahlergebnisse erzielt und starke Regierungsbeteiligungsjahre gehabt. Trotzdem ist diese Grundunzufriedenheit insbesondere in der Regierungszeit der Groko nicht verschwunden. Wir hatten uns vorgenommen: Regieren und Erneuerern. Das ist – Stand heute – nicht zufriedenstellend gelungen. Im Gegenteil, das Europawahlergebnis ist schlimm.
War es ein Fehler zu glauben, man könnte die SPD in der Regierung erneuern?
Ich habe immer zu denen gehört, die gesagt haben: Natürlich geht das. Ich bin Rheinland-Pfälzer, wir regieren das Land seit 1991 sehr erfolgreich und haben uns als Sozialdemokraten immer verändert und erneuert. Wir sind heute schon lange nicht mehr die SPD, die wir Anfang der 90er Jahre waren. Wir haben in Rheinland-Pfalz also den Beweis erbracht, dass es geht. Gleichwohl nehme ich heute auch war, dass es in Berlin andere Gesetzmäßigkeiten zu geben scheint.
Das heißt? Kann es eine Zukunft der SPD in der Groko geben?
Es muss immer eine Zukunft der SPD in Regierungsverantwortung geben. In der Opposition zu sein, ist nicht der Grund, warum die SPD mal gegründet worden ist. Wir müssen Verantwortung suchen. Aber wir müssen genau abwägen, ob man in einer Koalition unter der Führung der CDU tatsächlich noch so viel erreichen kann, dass die Menschen wahrnehmen, dass man für sie kämpft. Deswegen haben wir uns vorgenommen eine Bilanz zu ziehen in diesem Jahr, um dann zu entscheiden, wie es weitergeht.
Sie sprechen von der Revisionsklausel im Koalitionsvertrag. Für die einen ist es eine Halbzeitbilanz, für andere eine eingebaute Sollbruchstelle. Eigentlich die beste Legitimation, um jetzt zu sagen, danke, das war’s….
Zunächst muss man sich angucken, was erreicht wurde: Die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder sind und waren erneut die Besseren, Kompetenteren und die Fleißigeren. Im Bundeskabinett gibt es auf der Unionsseite gravierende Ausfälle: Bildungsministerin Anja Karliczek oder Wirtschaftsminister Peter Altmaier stehen für nichts. Die Regierungsarbeit von den SPD-Ministerinnen und Ministern, von Heil, Scholz oder Giffey, ist gut bis hervorragend.
Kommt offenbar beim Wähler anders an.
Und an diesem Punkt müssen wir ins Nachdenken kommen. Wir haben natürlich eine Verantwortung für das Land.
Aber wir müssen uns als SPD auch fragen, ob wir uns nicht am Ende zu Tode regieren.
Und in der Bundesrepublik muss ganz grundsätzlich darüber nachgedacht werden, ob nicht alternative Konstellationen jenseits von Schwarz-Rot zu organisieren sind.
Die SPD hat in 14 Jahren acht Vorsitzende verschlissen. SPD-Parteivorsitzender scheint momentan ein Job zu sein, den keiner will: Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel werden es schon mal nicht. Auch andere haben bereits „Nein, danke“ gesagt.
Grundsätzlich ist es eine wunderbare Aufgabe an der Spitze der ältesten deutschen Volkspartei zu stehen, aber es ist auch eine enorm herausfordernde Aufgabe. Ich habe überhaupt keine Sorge, dass es am Ende eines wahrscheinlich sehr basisdemokratischen, dynamischen Prozesses starke Persönlichkeiten geben wird, die an der Spitze der SPD stehen. Vielleicht Persönlichkeiten, die wir heute noch gar nicht sehen, weil sie bisher nicht in der ersten Reihe politische Verantwortung übernehmen. Darin sehe ich eine Chance für die SPD.
Am 24. Juni soll dann entschieden werden, wie es weitergeht. Ob mit Doppelspitze oder nicht und wie das Abstimmungsverfahren aussehen soll. Spielen wir das mal durch: Einzel oder Doppelspitze?
Ich will diese Frage heute nicht beantworten. Wir haben uns im Parteivorstand darauf verständigt, bis zum besagten 24. Juni die Basis, die Gliederungen und die Ortsvereine zu befragen und ihre Rückmeldungen aufzunehmen. Ob Doppelspitze oder nicht, das ist etwas, was der Prozess ergeben muss. Für mich ist entscheidend, dass die Mitglieder ein starkes Wort mitreden, und ich kann mir eine Befragung der Mitglieder vorstellen.
Wäre es nicht ein kluger Schachzug bei einer möglichen Doppelspitze, mit Kevin Kühnert den größten Groko-Kritiker mit ins Boot zu holen und die Partei an der Spitze zu verjüngen?
Alle, die einen Beitrag leisten wollen, können ihn jetzt auch leisten. Dazu zählt der Juso-Bundesvorsitzende, aber auch viele andere, die sich in diesen Tagen zu Wort melden.
Es ist schön, dass wir viele haben, die wissen, wie es besser geht und jetzt sollen auch viele zeigen, wie man es besser macht.
Wir brauchen Integrationspersönlichkeiten an der Spitze der SPD. Das heißt, man muss eine klare Haltung und einen klaren Wertekanon haben. Aber man muss auch bereit sein, Impulse und Ideen aufzunehmen, die man vielleicht selber noch nicht hat. Ein kluger Kopf, der alleine weiß, wohin es geht und dem dann lämmerhaft eine Partei folgt, kann kein demokratisches Parteienmodell für die Zukunft sein.