FDP-Politiker Jens Teutrine sitzt seit 2021 im Bundestag.Bild: www.imago-images.de / imago images
Interview
05.10.2022, 14:2006.10.2022, 08:04
Die Energiekrise sorgt für Angst und Verwirrung: Entlastungspaket folgt auf Entlastungspaket, die Gasumlage wird gekippt und vielen Menschen droht, in Armut zu rutschen. FDP-Politiker Jens Teutrine sagt aber: Junge Menschen wurden nicht vergessen. Ein Gespräch über die Sorgen der Deutschen.
Watson: Herr Teutrine, fünf Begriffe in den Entlastungspaketen machen mich stutzig: Wohngeldreform, Klimakomponente, Heizkostenzuschuss, EEG-Umlage und Bürgergeld – verkauft als Maßnahmen des Entlastungspakets. Sie stehen aber im Koalitionsvertrag, waren also eh geplant. Ist das nicht eine Mogelpackung?
Jens Teutrine: Ich korrigiere an einem Beispiel: die Bürgergeldreform. Ja, wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Hartz IV reformieren. Dass wir Erwerbsanreize schaffen, Menschen passgenaue Qualifizierungsmöglichkeiten bieten, das System von der Bürokratie entkrauten, die zum Teil menschenunwürdig ist.
Omid Nouripour (v.l.), Olaf Scholz, Christian Lindner und Saskia Esken stellen das dritte Entlastungspaket vor.Bild: www.imago-images.de / imago images
Aber?
Im Koalitionsvertrag ist nicht vereinbart worden, dass es einen neuen Inflationsausgleichsmechanismus für die Regelsätze gibt. Und genau das ist als Entlastung in Paket Drei enthalten. Die Regelsätze werden besser und passgenauer an die Inflation angepasst. Das ist also ganz klar keine Mogelpackung. Da könnten wir jeden einzelnen Punkt durchgehen.
Nehmen wir die EEG-Umlage.
Ja?
Die sollte ab 2023 abgeschafft werden.
Jetzt wurde sie vorzeitig abgeschafft. Auch eine Reaktion auf die steigenden Preise.
Protestierende in Berlin fordern "Heizung, Brot & Frieden! Protestieren statt frieren".Bild: dpa / Fabian Sommer
Und die Wohngeldreform?
Es wurde im Koalitionsvertrag eine Wohngeldreform angekündigt. Aber der Umfang ist deutlich gestiegen, weil wir merken, dass besonders Menschen mit niedrigen Einkommen eine enorme Heizkostenbelastung haben. Vielleicht kann man da eine halbe Mogelpackung draus machen. Maximal.
Der Heizkostenzuschuss steht auch im Koalitionsvertrag.
Aber nicht für Bafög- und Grundsicherungsempfänger.
Der Zuschuss für Wohngeldbeziehende aber schon. Einigen wir uns auf eine teilweise Mogelpackung?
Das kann jeder Leser jetzt selbst beantworten, ob das eine Mogelpackung ist oder eine Antwort, den Koalitionsvertrag auf die Krise anzupassen.
Wir sprechen ja über junge Menschen. Können Sie mir eine Beispielrechnung machen, was eine Studentin oder ein Azubi bekommt?
So einfach ist das nicht, weil es sehr abhängig ist von der Lebenssituation. Azubis bekommen 300 Euro Energiepauschale und sie zahlen im Normalfall keine Steuern. Bei Studierenden kommt es darauf an: Wenn man Bafög empfängt, bekommt man einen Heizkostenzuschuss von 230 Euro. Wenn man in diesem Jahr einmal einen Nebenjob hatte, bekommt man zusätzlich 300 Euro Energiepauschale. Das wären schon 530 Euro.
Dann wird es ein Gesetzesverfahren geben, damit jeder Studierende 200 Euro bekommt. Zusätzlich profitiert der Studierende von der Bafög-Reform: Der Höchstsatz wurde angepasst und es sind auch mehr Menschen Bafög-berechtigt.
Reichen diese Entlastungen?
Mir geht es nicht darum, die Botschaft zu senden: Wer sich beschwert, hat Unrecht. Es braucht aber eine sachgerechte Debatte. Oft wird behauptet, junge Menschen würden vergessen. Aber das ist nicht der Fall. Ich muss aber auch sagen, der Ansatz, dauerhaft weiter mit pauschalen Einmalzahlungen zu arbeiten, ist der falsche.
Unsere Werksstudentin erwartet eine Gasnachzahlung von 1300 Euro. Wenn ich das vergleiche: eine Werksstudentin und ich, die Redakteurin. Komplett unterschiedliche Gehälter. Beide bekommen 300 Euro. Ist das fair?
Ich bin nicht der Pressesprecher der Bundesregierung, aber ich versuche den Gedanken dahinter zu erklären. Es war der SPD besonders wichtig, dass die 300 Euro versteuert werden. Dies kann man kritisieren, da es absurd erscheint, als Staat zunächst Geld zu verteilen und dieses sich dann über die Steuern wiederzuholen. So bekommt man aber eine Ungleichverteilung nach Einkommen hin. Ihre Werkstudentin zahlt keine Steuern – ich nehme aber an, dass Sie als Redakteurin bei watson einkommensteuerpflichtig sind.
Richtig.
Also kriegen nicht beide 300 Euro – Sie bekommen weniger. Aber die Frage ist berechtigt. Es war die Gefahr, auch bei den ersten beiden Entlastungspaketen, zu viel Gießkannenpolitik zu machen. Ich inkludiere da auch das Neun-Euro-Ticket. Auch ich hatte eins und habe davon profitiert. Jetzt sollte aber der politische Ansatz die Frage sein, wie bekomme ich die Preise runter, statt mit Einmalzahlungen zu arbeiten.
Robert Habeck hatte die Gasumlage ins Spiel gebracht.Bild: www.imago-images.de / IMAGO/Fotostand
Das hat man mit der Gaspreisdeckelung gemacht. Aber das ist ja nicht alles.
Das stimmt. Das Existenzminimum muss bei allen gesichert sein. Niemand soll in Deutschland frieren müssen. Gleichzeitig muss bis in die Mitte hinein entlastet werden: Denn die Preise haben auch bis in die Mitte Existenzängste und Abstiegssorgen vergrößert. Deswegen gibt es nicht nur einen Inflationsausgleich beim Bürgergeld, sondern auch beim Steuergrundfreibetrag und beim Steuertarif, Stichwort Abbau der Kalten Progression.
Viel wichtiger ist es, an die Ursachen ranzugehen und die Menge an Gas und Strom auf dem Markt zu erhöhen. Bis der Gaspreis sinkt, muss der Staat eine Brücke bauen. Mit der Strom- und Gaspreisbremse sorgt man jetzt dafür, dass eine Basismenge an Strom und Gas für alle bezahlbar bleibt.
Dieses Beispiel ist die neueste Entwicklung. Da gab es noch mehr.
Diese Gaspreisbremse muss in der Kombination mit anderen Maßnahmen wie der Verlängerung der laufenden Kernkraftwerke und Wiederbetrieb der Kernkraftwerke, die vergangenes Jahr abgeschaltet wurden, beschlossen werden.
Braunkohle wurde auch verlängert.
Korrekt. Das ist politisch die Notwendigkeit, um Preise zu senken. Es war zwar richtig, mit Einmalzahlungen zu arbeiten, aber es entstehen immer Einzelfall-Ungerechtigkeiten und Mitnahmeeffekte. Und deswegen ist es ein Mix: breite Wirkung und Zielgenauigkeit. Viel wichtiger ist es, dass wir alles dafür tun, dass wir die Preise dämpfen und Versorgungssicherheit herstellen.
Das Kernkraftwerk Isar 2 in Essenbach bei Landshut.Bild: www.imago-images.de / imago images
Und jetzt?
Wir sitzen gerade an der Umsetzung des dritten Entlastungspakets. Wir haben jetzt viel über Einzelverbraucher gesprochen, aber noch nicht über die Auswirkungen für mittelständische und kleine Betriebe.
Je mehr Firmen insolvent gehen, desto mehr Menschen rutschen in Armut; der Inflation, die bei 10 Prozent liegt, täte eine Insolvenzwelle auch nicht gut. Mieten steigen, Nebenkosten steigen ...
... Lebensmittel werden teurer.
Wie will man Armut stoppen?
Der Staat kann nicht alles abfedern. Es wird gesamtgesellschaftlich zu Wohlstandsverlusten kommen.
Bei Armutsbetroffenen gibt es keinen Wohlstand zu verlieren.
Daher ist es hier weiterhin richtig, das Existenzminimum abzusichern. Aber es gibt zwei Gruppen, die bei den Entlastungen nicht treffgenau unterstützt wurden. Die erste Gruppe sind Menschen mit einem niedrigen Arbeitseinkommen.
Menschen, die knapp über der Grenze zur Grundsicherung sind.
Die haben keine Rücklagen, leben von Monat zu Monat. Und die tragen alle Wohnkosten selbst. Darüber muss man jetzt reden. Sind das Armutsbetroffene? Ist das Armutsrisiko erhöht? Für viele stellt sich die Frage: Lohnt es sich noch zu arbeiten? Hier besteht die Sorge vor einem sozialen Abstieg. Und das auch noch unabhängig davon, was in den Betrieben los ist.
Wenn die Firmen straucheln, sind diese Arbeitskräfte die ersten, die fliegen, oder?
Genau. Deswegen ist das eine Gruppe, um die ich mich gerade sorge und die wir noch besser unterstützen müssen. Diese wollen auch nicht mal hin und wieder eine Einmalzahlung vom Staat bekommen, sondern möchten ihr Leben durch ihre eigene Arbeit bestreiten. Die Politik darf gut gemeinte Einmalzahlungen nicht als Allheilmittel verstehen. Entlastungen bedeuten, dass der Staat den Menschen weniger durch Steuern und Abgaben wegnimmt.
Und die zweite Gruppe?
Das sind kleine und mittelständische Unternehmen sowie Soloselbstständige, die schon in der Pandemie zu häufig vergessen wurden. Deswegen gibt es die Gaspreisbremse. Wenn ich davon spreche, dass man individuelle Wohlstandsverluste abfängt, betrifft das auch diese Unternehmen und es betrifft neben den niedrigen Einkommen auch Menschen mit mittleren Einkommen.