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Interview

Migrationsexperte zu Moria: "Die Aufnahme dieser 13.000 ist das Mindeste"

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Spielender Kinder in einem Zeltlager der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR in Mitilene, dem Hauptort der griechischen Insel Lesbos. Bild: Getty Images Europe / Milos Bicanski
Interview

Migrationsexperte: "Die Aufnahme dieser 13.000 ist das Mindeste"

16.09.2020, 13:5216.09.2020, 18:23
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Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sind viele der rund 13.000 ehemaligen Bewohner des Lagers obdachlos. Obwohl Staats- und Regierungschefs der EU Hilfen zugesagt haben, ist die Aufnahme der Geflüchteten in anderen EU-Ländern nach wie vor unklar.

Am Dienstagabend einigte sich die Bundesregierung darauf, 1553 Geflüchtete aufzunehmen. Aber was ist mit den verbleibenden mehr als 10.000 Geflüchteten auf Lesbos? Was mit den Geflüchteten in den anderen Lagern auf den griechischen Inseln?

Olaf Kleist ist Migrationsexperte. Er arbeitet für das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Kleist erklärt, warum die 13.000 Geflüchteten aus Moria aus seiner Sicht nur der Anfang sein können – und inwiefern die Debatte über deren Aufnahme in seinen Augen eine Scheindebatte ist.

"Die Aufnahme dieser 13.000 Geflüchteten ist das Mindeste."

watson: Angela Merkel und Horst Seehofer haben am Dienstag erklärt, nun doch 1500 Geflüchtete aufnehmen zu wollen. Ist das ausreichend?

Olaf Kleist:
Die Frage ist: Ausreichend wofür? Woran gemessen? Die Notwendigkeit für mehr Aufnahmeplätze ist offensichtlich. In Moria lebten 13.000 Menschen, aber das ist nur eines von vielen Lagern, die es auf den griechischen Inseln gibt. Man muss hier auch den größeren Rahmen sehen.

Was ist, Ihrer Meinung nach, der größere Rahmen?

Auch die anderen Lager haben keine Zukunftsperspektive. Abgesehen von der aktuellen Notlage der obdachlosen Geflüchteten, muss man sich auch mit der Gesamtlage beschäftigen. Diese Lager sind keine Lösung, sondern die Quittung einer verfehlten Flüchtlingspolitik in den vergangenen Jahren. Wir haben eine unmittelbare humanitäre Krise, der wir begegnen müssen. Die Aufnahme dieser 13.000 Geflüchteten ist das Mindeste.

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Bundesinnenminister Horst Seehofer ist bekannt als entschiedener Gegner von Angela Merkels Flüchtlingspolitik.Bild: Getty Images Europe / Pool

Trotzdem will die Bundesregierung keinen deutschen Alleingang. Herrscht die Angst vor, dass Geflüchtete aus anderen Lagern ebenfalls nach Deutschland wollen, sollte Moria evakuiert werden?

Ja, und zwar zurecht. Diese Lager entsprechen nicht den Menschen- und Grundrechten, an die sich die EU und Deutschland halten wollen. Die Bewohner und Bewohnerinnen der griechischen Lager sollten auf Europa verteilt werden.

Aber gerade von so einer "europäischen Lösung" wird seit Tagen gesprochen und nichts passiert. Wie realistisch ist es, dass andere EU-Staaten Geflüchtete aus Moria aufnehmen?

Das kommt darauf an, was man mit europäisch meint. Die "europäische Lösung", die bisher gefunden wurde, war es, Menschen in Lagern festzuhalten. Es wird auch nicht passieren, dass alle Länder Geflüchtete aufnehmen. Aber das darf uns nicht davon abhalten, selbst aktiv zu werden. Das ist keine griechische Frage, sondern eine europäische. Wir dürfen Griechenland nicht sich selbst überlassen.

Trotzdem weigert die Bundesregierung, sich bisher alle aufzunehmen…

Aber 160 Kommunen in Deutschland wie auch die Bevölkerung sind durchaus bereit, Geflüchtete aufzunehmen.

"Die Politik lenkt die Debatte in eine falsche Richtung."

An den Mitteln scheitert eine Aufnahme von 13.000 Menschen durch Deutschland sicher nicht. Aber sind wir politisch in der Lage oder könnte es den Rechtspopulisten in die Hände spielen, so wie 2015?

Es gibt unterschiedliche politische Interpretationen der Flüchtlingskrise 2015. Was wir eigentlich gesehen haben, ist, dass, solange die Bundesregierung bereit war Geflüchtete aufzunehmen, sie eine große Unterstützung innerhalb der Bevölkerung hatte. Millionen von Menschen haben Neuankömmlinge unterstützt, solange die Bundesregierung gesagt hat, "wir schaffen das".

Die Stimmung schlug erst um, als innerhalb der Politik Zweifel lauter wurden und Obergrenzen gefordert wurden. Wir dürfen den Fehler nicht wiederholen zu meinen, dass man Rechtspopulisten das Wasser abgräbt, indem man ihre Positionen kopiert. Da wird auch von der Politik die Debatte in eine falsche Richtung gelenkt.

Das heißt, wenn wir die Aufnahme nicht so sehr in der Öffentlichkeit diskutieren würden, wäre es viel leichter zu helfen?

Da ist etwas dran. Auf kommunaler Ebene wird das Thema deutlich weniger kontrovers diskutiert. Die Menschen helfen einfach, ohne eine große Diskussion darüber zu starten. Wir führen hier auch Scheindebatten, dabei könnten wir einfach, schnell und unbürokratisch helfen.

MYTILENE, GREECE - SEPTEMBER 10: Refugees sleep on the road, close to Mytilene town, after a fire destroyed Moria Refugee Camp on the island of Lesbos on September 10, 2020 in Mytilene, Greece. A mass ...
Die ehemaligen Bewohner des Flüchtlingslagers Moria leben teilweise unter freiem Himmel.Bild: Getty Images Europe / Milos Bicanski

Wie problematisch ist es, dass einer der lautesten Kritiker von Angela Merkels Flüchtlingspolitik, Horst Seehofer, als Innenminister eine Art Veto-Recht bei der Aufnahme von Geflüchteten hat?

Das Innenministerium erfüllt mehrere Aufgaben und wir sehen, dass Migrationspolitik hier in erster Linie nach sicherheitspolitischen Maßstäben bewertet wird. Das heißt, dass es hier viel um Grenzsicherung geht und wenig darum, wie man humanitäre Hilfe leistet. Das ist für die Debatte nicht förderlich.

Inwiefern ist das Dublin-System verantwortlich für die aktuell ungünstige Situation?

Das Dublin-System wurde mehrfach kritisiert und auch Deutschland wollte es bereits 2015 reformieren. Aber man muss trotzdem unterscheiden, der Aufnahme von Geflüchteten im aktuellen Fall steht es nicht im Weg. Das Dublin-System sieht durchaus vor, dass einzelne Länder Asylverfahren an sich ziehen und Geflüchtete aufnehmen können. Trotzdem: Wir müssen eine neue Lösung finden und Moria muss uns eine Warnung sein, dass jede Einrichtung von Hotspots an den Grenzen zum Scheitern verurteilt ist. Eine menschenrechtskonforme Politik kann solche Lager nicht akzeptieren.

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