Nach einer tödlichen Auseinandersetzung sind am Sonntag Hunderte Menschen in Chemnitz auf die Straße gegangen. Rechtsextremen Demonstranten haben dabei offenbar Migranten gejagt und angegriffen, es kam zu Krawallen und Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Der freie Journalist Johannes Grunert hat die Krawalle dokumentiert. Er beobachtet die rechtsextreme Szene in der sächsischen Stadt schon lange. Die Größe der Proteste hat ihn überrascht.
Was Grunert am Sonntag erlebt hat, erzählt er im watson-Interview.
Wer steckte hinter den Protesten?
Johannes Grunert: Der Aufruf kam von der Ultragruppe "Kaotic Chemnitz", die
sich aus dem neonazistischen Kameradschafts-Milieu in Chemnitz rekrutiert. Ob
noch wer anders mit dahintersteckt, ist mir bislang nicht ersichtlich. Die
Organisation schien aber von dieser Gruppe auszugehen.
Wie liefen die Proteste ab?
Es fing damit an, dass sich etwa 500 Neonazis und Hooligans
am Karl-Marx-Monument versammelt haben. Die Polizei hat dort versucht, einen
Organisator, oder einen Anmelder ausfindig zu machen. Das hat aber nicht
geklappt. Dann sind die Leute unvermittelt losmarschiert, die Polizisten wurden
völlig überrumpelt. Die Spitze der Demo wurde von etwa 15 Beamten begleitet,
die versucht haben, diesen riesigen Aufmarsch zu stoppen. Das ist denen
natürlich nicht gelungen.
Irgendwann fingen etwa 300 Leute an, zu rennen, überranten eine weitere Polizeikette und steurten dann gezielt Orte an, an denen sich regelmäßig Migranten treffen. An einem Park und einem Parkplatz hielten sich tatsächlich Menschen auf. Die wurden direkt mit Schlägen und Tritten angegriffen. Die Polizei war in der Situation sichtlich überfordert.
Zuvor hatte ja auch die AfD eine eigene Kundgebung
abgehalten. Gab es Überschneidungen mit der zweiten Demonstration?
Ja, die gab es auf jeden Fall. Bei der AfD-Kundgebung waren
neben dem üblichen, älteren "Pegida-AfD-Publikum" auch schon einige junge,
sportliche Herren dabei. Die sich nach der AfD-Kundgebung weiter im Stadtzentrum
aufgehalten und anschließend an der anderen Demo beteiligt haben.
Der Messerangriff fand in der Nacht auf Sonntag statt. Am
Sonntagnachmittag waren dann spontan bis zu 1000 Menschen auf der Straße. Wieso
ließen sich so schnell so viele Menschen mobilisieren?
Das ist in der Tat eine außergewöhnlich große Zahl für
Chemnitz. Wenn ich mich nicht irre, war das sogar der größte rechte Aufmarsch
der jüngeren Zeit in der Stadt. Bei lange angekündigten Demos kamen sonst
höchstens 600 bis 800 Teilnehmer. Das Mobilisierungspotential ist jetzt so groß
gewesen, weil dort auf die Solidarität der Fußball-Szene gepocht wurde. In der
Chemnitzer Fußball-Szene ist eine latent rechte Einstellung vorhanden. Und wenn
dann eine einigermaßen präsente und seit zehn Jahren aktive Ultra-Gruppe aufruft,
folgt da eine breite Masse.
Heute Abend geht es weiter. Rechtsextreme wollen erneut auf
die Straße gehen, auch eine antifaschistische Gegendemo ist angekündigt. Wie
schätzt du die weiteren Entwicklungen im Laufe des Tages ein?
Das ist schwierig zu sagen, weil es solche Situationen in
Chemnitz noch nicht gab. Das erinnert aber natürlich an die Krawalle in Heidenau,
wo Neonazis auch am zweiten und dritten Tag randalierten. Anhand der bisherigen
Mobilisierung werden es heute auf jeden Fall mehr Menschen, als gestern.
Es haben
sich jetzt schon mehrere Kader der Identitären Bewegung angekündigt und es wird
bundesweit im Neonazi- und Hooligan-Milieu mobilisiert. Ich habe bislang
beispielsweise gehört, dass Hooligans von Dynamo Dresden und Leute aus Cottbus
und Dortmund anreisen wollen. Was die Polizei dagegen macht, steht natürlich in
den Sternen, es ist aber zu befürchten, dass die das – wenn auch auf einem
anderen Niveau als gestern – erneut unterschätzen.