Greenpeace-Aktivist, Mitinitiator des Radentscheids Berlin – und in der CDU: Heinrich Strößenreuther.Bild: heinrich strößenreuther
Interview
Heinrich Strößenreuther ist eigentlich bekannt als Umweltaktivist. Dann trat er 2015 bei den Grünen aus und 2021 bei der CDU ein. Dort gründete er die parteinahe KlimaUnion – für "eine 1,5-Grad-Politik aus der Mitte der Union". Wie passt das zusammen?
10.02.2024, 08:4810.02.2024, 09:13
watson: Herr Strößenreuther, wir haben in Städten ein Platzproblem. Wie erklären Sie der mehrheitlich autofahrenden Wählerschaft der Unionsparteien, dass ihnen etwas zugunsten der Radfahrer:innen und Fußgänger:innen weggenommen werden muss?
Heinrich Strößenreuther: Je mehr auf Rad und Bus umsteigen, umso weniger Stau und Parkplatzprobleme. Das ist der Schlüssel zur Diskussion. Aber auch: Irgendjemand wird immer vergrault, anders geht es nicht. Denn Platz schaffen können wir nur, indem wir anderen etwas wegnehmen, oft halt Autofahrern. Und das muss man klar, aber empathisch benennen.
Verbotspolitik zieht bekanntermaßen nicht gut. Wie wollen Sie damit die Wählerschaft abholen – und sogar noch neue Wähler:innen hinzugewinnen?
Als unionsnaher Verein versuchen wir intern die Unionsparteien zu beraten und Befürworter für unser Vorhaben zu gewinnen. An die Wählerschaft tritt man dann am besten mit viel Verständnis heran, die Verlustängste um Fahrspuren und Parkplätze zu thematisieren. Danach lässt sich sachlich über Lösungen für das Miteinander sprechen. Dabei ist vor allem eine authentische Haltung wichtig. Und es geht auch darum, für Klimapolitik zu werben, ohne das Wort Klima in den Mund zu nehmen.
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Wie soll das gehen?
Indem wir die Geschichte anders erzählen. Wir versuchen zu verstehen, was die Menschen bewegt. In den östlichen Bundesländern begeistern wir bei unserer Ost-Tour beispielsweise für Klimaschutz, indem wir vorrechnen, wie viel Geld bei einem Umstellen auf Erneuerbare nicht mehr ins Ausland abfließt und den Landkreis belebt.
"Es gibt heute stabile gesellschaftliche und politische Mehrheiten, um den Kampf gegen die Erderhitzung aufzunehmen", schreibt die KlimaUnion auf ihrer Website. Warum ist Klimaschutz kein Kernthema der Unionsparteien, wenn es doch so klar ist?
Das, was heute in der CDU stattfindet, gab es 1998 bis 2005 schon mal. Damals hat man sich als Opposition auf eine Anti-Klimapolitik eingeschossen, aus der die Union viel zu spät herauskam. So leider auch heute wieder, aus einem billigen Oppositionsreflex. Parteien lernen zu langsam.
Warum?
Ein Lernmoment sind Wahlen. Am Wahltag liegen erste Ergebnisse gegen 15 Uhr bei den Parteien vor. Um 18 Uhr steigt die Wahlparty. Drei Stunden Zeit also, in denen eine Story zurechtgelegt wird, die nach außen gut aussieht – und die danach kein Lernen mehr zulässt. Die Bundestagswahl verlor die CDU wegen Klima, aber die Daten dazu interessierten nach dem Wahltag keinen mehr.
Die Glaubhaftigkeit der Grünen beim Thema Klimaschutz hat extrem abgenommen in den vergangenen Jahren. Es wäre doch DIE Chance für die CDU, jetzt anzugreifen. Warum hat die KlimaUnion nicht so gezündet, wie Sie es sich erhofft hatten?
Die Beharrungskräfte waren zu groß. Man tritt in die Nachwuchsorganisation ein, arbeitet sich hoch. Oben angekommen, haben die Parteispitzen Denkschablonen, ein geschlossenes Korsett von ideologischen, oft überalterten Glaubenssätzen – mit Fakten nur schwer veränderbar. Keine Krähe traut sich dann, der anderen noch das Auge auszuhacken. Diesen Timelag von 20 Jahren aufzubrechen, ist die schwierige Lern- und Innovationsaufgabe.
Welche Gründe gibt es noch?
Ich bin nicht in die Partei eingetreten, um Karriere zu machen, sondern als Klimalobbyist mit einer klaren inhaltlichen Aufgabe. Wir sollten der Union eine Sprache geben, mit der sie umgehen kann – und die nicht die gleiche ist, wie die der Grünen. Beispielsweise "Wirtschaftswunder" oder "erstes Industrieland, das klimaneutral wird". Vielleicht hätten wir da schärfer werben und deutlicher gegen die Plattitüden auftreten müssen.
"Die Grünen können das Wort Klima zwar gut buchstabieren, aber wenn es in die Fachpolitik geht, hört es zu oft zu schnell auf."
Die KlimaUnion hat ihre Strategie verändert, seit Sie nicht mehr im Vorstand sitzen. Sie agiert jetzt mehrheitlich im Hintergrund – und ist damit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.
Genau das war eigentlich der Grund, weshalb ich aus dem Vorstand ausgetreten bin. Wir hatten einen Disput darüber, ob man laut und offen oder gar nicht kritisieren sollte. Meiner Ansicht nach muss man nicht laut und offen kritisieren, wohl aber den Lärm systematisch lauter werden lassen.
Wie meinen Sie das?
Wenn jemand faktenbefreiten Blödsinn erzählt, sollte man kollegial und systematisch hinter den Kulissen anrufen und aufklären. Im nächsten Schritt kann man auch an die Öffentlichkeit gehen, aber auch da nicht zuerst das Schwert ziehen. So haben das auch die 15 Größen aus der CDU gefordert, die wir einzeln interviewt hatten. Der Vorstand der KlimaUnion war aber letztlich anderer Meinung. Das ist nicht mein Weg und ich beobachte, ob die andere Strategie mehr taugt.
Sie sind 2015 zugunsten der Parteilosigkeit für den Radentscheid in Berlin bei den Grünen ausgetreten. Bereuen Sie die Entscheidung manchmal?
Die Frage habe ich mir noch nicht gestellt. (zögert) Ich war auch verärgert wegen einer Situation aus 2013. Schäuble hatte damals den Vorschlag gemacht, die Energiesteuer zu erhöhen. Das hatten die Grünen klar abgelehnt. Rein aus oppositioneller Politik, wie die CDU andersherum heute oft. Das hat mich wirklich geärgert. Was aber inzwischen noch hinzukommt: Die Grünen können das Wort Klima zwar gut buchstabieren, aber wenn es in die Fachpolitik geht, hört es zu oft zu schnell auf. Man hört sogar aus den Reihen der Grünen: "Wegen Klima werden wir sowieso gewählt, darum brauchen wir uns nicht kümmern."
Könnten Sie nicht in einer anderen Partei mehr bewirken, als in der CDU?
Nein, noch lohnt es sich fürs Thema und für mich, in der CDU zu bleiben. Nicht, weil die Parteifunktionäre finden, ich wäre so ein cooler Typ. Im Gegenteil. Für die Aufgabe sind alle Parteien gefordert. Deshalb geht es vor allem darum, die Vernünftigen zu erwischen und zu stärken und die anderen besser rechts liegenzulassen: Grün denken, schwarz handeln.
"Friedrich Merz wird ohnehin nicht Kanzlerkandidat."
Wo stehen Sie bei der Union vor verschlossenen Türen?
Um etwas zu verändern, braucht es gar nicht so viele Stimmen. Die CDU hat sogar viele gute. Nur sind es leider nicht die lauten, und dann oft in den Kommunen und Bundesländern. Die Partei funktioniert hierarchisch – der Chef wird nicht kritisiert. Das ist nicht meine Art und das weiß die Partei mittlerweile sehr gut. Friedrich Merz twitterte mal: "Strößenreuther spricht nicht für die CDU". Es ist oft schwer, gegen diesen Denkdeckel für diese überlebenswichtige Verpflichtung zu werben.
Haben Sie schon mal in Erwägung gezogen, aus der Partei auszutreten?
Ich denke jeden Tag darüber nach.
Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie von CDU-Chef Friedrich Merz oder CSU-Chef Markus Söder Anti-Klima-Parolen hören?
Es ist wirklich frustrierend. Hoffnung macht, dass andere Unions-Ministerpräsidenten anfangen, gute Klimapolitik zu machen und die Messer rauszuholen. Bis es zum Show-Down kommt. Dabei wird es darum gehen, ob die CDU weiter in die rechtsradikale Ecke abdriftet oder einen Kurswechsel hin zu modernem Bürgertum und wirksamer Klimapolitik macht.
Sie sagten vor kurzem dem "Tagesspiegel", dass Sie jegliche Hoffnung verloren haben, dass Merz zum Klimapolitiker wird. Wäre es nicht ausschlaggebend, ihn zu bekehren?
Ja, denn die CDU sitzt im Bundesrat. Sie ist dort eine wichtige Größe – gegen die Partei lässt sich im Bundesrat nichts durchsetzen. Aber: Friedrich Merz wird ohnehin nicht Kanzlerkandidat. Hendrik Wüst oder Daniel Günther könnte ich mir hingegen sehr gut vorstellen. Beide würden in Sachen Klimaschutz mehr angeschoben bekommen als Merz.