Bezahlte Geschäftsreisen, Lobby-Tätigkeit für ein privates Unternehmen: Der Fall um den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor erschüttert das politische Leben in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft prüft inzwischen Ermittlungen gegen ihn, Amthor selbst verkündete am Freitagabend während einer Vorstandssitzung des CDU-Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern seinen Verzicht auf eine Kandidatur für den Vorsitz.
Schadet dieser Fall der Demokratie? Wie korrupt ist das politische System in Deutschland eigentlich? Und was muss getan werden, um Korruption besser zu verhindern? Watson hat darüber mit Norman Loeckel gesprochen, stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe Politik der Anti-Korruptions-NGO Transparency Deutschland.
watson: Herr Loeckel, wie schlimm ist das, was Philipp Amthor vorgeworfen wird?
Norman Loeckel: Das ist ein sehr schwerwiegender Fall. Was momentan gegen Herrn Amthor vorliegt, hat zwei Seiten: Zum einen hat er einen Interessenkonflikt zwischen seiner Tätigkeit für die Firma Augustus Intelligence und seiner Arbeit als Abgeordneter in einem Ausschuss nicht offengelegt. Aber dafür kann gegen Herrn Amthor leider kaum vorgegangen werden – weil Abgeordnete solche Interessenkonflikte bisher nicht offenlegen müssen. Ihnen drohen nämlich keine Sanktionen, wenn sie gegen die entsprechenden Regeln verstoßen. Die andere Seite ist wohl problematischer für ihn: Das ist die strafrechtliche. Es gibt starke Indizien dafür, dass hier Paragraph 108e Strafgesetzbuch greift: die Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgern.
"Es entspricht auch dem, was in der Politikwissenschaft unter Korruption verstanden wird."
Das heißt, es deutet aus Ihrer Sicht viel darauf hin, dass Philipp Amthor sich bestechen lassen hat?
Zumindest eine Hälfte dieses Straftatbestands hat er erfüllt: Er hat sich in seiner Rolle als Abgeordneter für die Firma Augustus Intelligence eingesetzt. Die entscheidende Frage ist jetzt: Hat er einen "ungerechtfertigten Vorteil" angenommen? Gab es also eine Absprache mit der Firma, dass Herr Amthor sich für diese einsetzt? Das wäre nämlich die zweite Hälfte der Bestechlichkeit. Und das ist jetzt zu klären. Klar ist: Dass er sich entschuldigt hat, reicht nicht aus. Herr Amthor muss diesen Vorwurf entkräften. Und wenn er das nicht selbst macht, dann muss es die Staatsanwaltschaft tun.
Ist das, was zwischen Herrn Amthor und der Firma Augustus Intelligence passiert ist, Korruption?
Unseren Maßstäben nach ja. Es entspricht auch dem, was in der Politikwissenschaft unter Korruption verstanden wird. Das Problem ist: Juristisch ist es schwierig, die Bestechung von Abgeordneten nachzuweisen. Da reicht Paragraph 108e Strafgesetzbuch momentan nicht aus. Deswegen braucht es aus unserer Sicht auch eine Gesetzesänderung. Anders gesagt: Wenn eine Firma jemandem, der im Parlament sitzt, größere Geldmengen zukommen lässt und wenn diese Person sich dann im Politikbetrieb für die Firma einsetzt, dann sollte das ausreichen für eine Verurteilung wegen Korruption.
"Durch solche schwarzen Schafe wird die Sicht auf die Politik verzerrt."
Verlieren durch Fälle wie den von Philipp Amthor die Menschen an Vertrauen in die Demokratie?
Sicherlich. In Deutschland sieht ein Großteil der Menschen Lobbyismus sehr kritisch, das ergeben Umfragen immer wieder – und zwar unabhängig davon, welcher Partei sie nahestehen. Solche Fälle schaden dem Ansehen des politischen Systems. Das Problem ist: Durch solche schwarzen Schafe wird die Sicht auf die Politik verzerrt. Auch deswegen muss man Korruption verhindern: Damit die ehrlichen Abgeordneten, die den weitaus größten Teil ausmachen, nicht in Verruf geraten.
Was würden Sie sagen: Wie korrupt ist die politische Landschaft in Deutschland heute im Vergleich zu früheren Jahrzehnten?
Wir sind in Deutschland definitiv sensibler gegenüber Korruption geworden. Auch im Vergleich zu anderen Ländern. Fälle wie der um Philipp Amthor wären in den USA überhaupt kein großes Thema, geschweige denn in Russland. Deutschland ist eine relativ korruptionsfreie Gesellschaft. Richtig große Korruptionsskandale wie die Flick-Affäre in den 1980er Jahren erleben wir inzwischen viel, viel seltener. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
"Philipp Amthor hat sich einfach ziemlich dumm angestellt."
Und was ist die andere?
Auf der anderen Seite hat der Lobbyismus einen Umfang erreicht, den wir in der Bonner Republik nicht hatten. Jeder größere Konzern hat inzwischen eine eigene Interessenvertretung in Berlin. Nebentätigkeiten von Abgeordneten sind viel zu lax geregelt. Man könnte den Fall Amthor ja auch so sehen: Philipp Amthor hat sich einfach ziemlich dumm angestellt. Hätte er die Lobbyarbeit für Augustus Intelligence nicht explizit als Abgeordneter geleistet, sondern nur in seiner Funktion als Angestellter der Firma, dann könnte er dafür wahrscheinlich gar nicht belangt werden. Wir haben also immer wieder Fälle, die aus politikwissenschaftlicher Sicht Korruption sind – aber eben nicht aus strafrechtlicher. Und das ist ein großes Problem.
Was müsste in Deutschland geschehen, um Korruption besser zu bekämpfen?
Bei der Lobby-Regulierung sind wir einfach im internationalen Vergleich hintenan. Es gibt bei uns immer noch kein verpflichtendes Register für Lobbyisten – in den USA, in Großbritannien und Frankreich hingegen schon. Nebentätigkeiten von Abgeordneten müssten deutlich stärker offengelegt werden, und zwar nicht nur die Entlohnung, sondern auch der Zeitaufwand, der damit verbunden ist. Es ist ja ein Unterschied, ob ein Abgeordneter 20.000 Euro bekommt und dafür 600 Stunden arbeitet – oder nur zehn Stunden. Leistung und Gegenleistung müssen da in einem angemessenen Verhältnis stehen, das regelt so auch das Abgeordnetengesetz. Aber momentan können wir eben gar nicht erfahren, wie lange die Arbeitszeit war. Und es gibt noch etwas, das man dringend ändern müsste.
Was meinen Sie?
Abgeordnete müssten dazu verpflichtet sein, ihre Interessenkonflikte eindeutig offenzulegen. Wer einen Interessenkonflikt hat, der sollte dann auch bestimmte Aufgaben im Parlament nicht wahrnehmen können – zum Beispiel in Ausschüssen, in denen es um die Interessen eines Unternehmens geht, mit dem ein Abgeordneter beruflich verbunden ist.
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