Angela Merkel wird im Herbst ihre politische Karriere beenden.Bild: Getty Images Europe / Pool
Interview
Ex-Kanzlerberater: "Merkel hat nie eine wirkliche Strategie dargelegt. Damit kam sie lange gut zurecht. Aber in der aktuellen Krise greift das zu kurz"
Angela Merkel wagt die Machtprobe mit den Ministerpräsidenten. So die Interpretation einiger Medien nach dem Interview in der Sendung von Anne Will am vergangenen Sonntag. Dort hatte Angela Merkel für ihre Verhältnisse recht klare Kritik an den Öffnungen in einigen Bundesländern geäußert und sich über die mangelnde Kooperation der Ministerpräsidenten beschwert.
Und prompt antworteten die Angesprochenen auch der Kanzlerin. Der NRW-Ministerpräsident und CDU-Vorsitzende Armin Laschet äußerte sich am Montagmorgen und wies die Kritik von Angela Merkel zurück, er würde die Notbremse nicht ordentlich umsetzen.
Derweil fordert Innenminister Horst Seehofer, mehr Kompetenzen in der Pandemie-Bekämpfung beim Bund zu bündeln und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will die Ministerpräsidentenkonferenz live übertragen lassen.
Wie soll es nun weitergehen mit der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten?
Watson hat jemanden gefragt, der bereits Helmut Kohl und Angela Merkel beraten hat. Werner Weidenfeld ist Professor für Politikwissenschaft und Herausgeber sowie Autor zahlreicher Standardwerke zu Politikwissenschaft und europäischer Einigung.
"Ich habe das eher als etwas empfunden, was einmal gesagt werden musste."
watson: Herr Weidenfeld, Sie kennen Angela Merkel schon eine ganze Weile und auch aus der Nähe. Welchen Eindruck hatten Sie von der Kanzlerin während ihres Auftritts bei "Anne Will"? Finden Sie nicht, sie wirkte etwas angeschlagen und mutlos?
Werner Weidenfeld: Nein. Sie wirkte souverän und hat dort entschieden ihre Position vertreten.
Wissen Sie, warum die Kanzlerin gerne zu Anne Will geht?
Dazu hat sich die Kanzlerin nie geäußert. Man kann nur vermuten, dass sie sich dort wohlfühlt. Das Gespräch macht den Eindruck, als würde man sich zu Hause bei einer Tasse Kaffee austauschen.
Also verstehen die beiden sich einfach nur sehr gut?
Genau. Sie kennt Anne Will gut und weiß, dass sie dort eine vertraute Gesprächsatmosphäre erwartet.
Denken Sie, dass es eine Rolle spielt, dass Anne Will eine Frau ist?
Nein. Das könnte genauso gut ein vertrauensvoller Mann sein.
Dann könnte sie ja auch zu Markus Lanz gehen…
Das ist dort aber eine andere Gesprächsatmosphäre. Dort herrscht eine schärfere und lautere Form.
Aber auch bei Anne Will wurde es konfrontativ. Sie kitzelte eine gewisse Kritik an den Ministerpräsidenten aus der Kanzlerin heraus.
Ich habe das eher als etwas empfunden, was einmal gesagt werden musste. Zumindest aus der Sicht von Angela Merkel. Der Föderalismus wurde bisher oft gelobt dafür, dass es verschiedene Lösungsansätze gibt. Nun steht er in der Kritik, weil keine klare Strategie erkennbar ist.
"Was mit entscheidend ist, ist die Deutungshoheit in so einer Situation."
Hat die Kanzlerin eine klare Strategie?
Der Kanzlerin ist in all den 16 Jahren viel gelungen. Aber sie hat nie eine wirkliche Strategie dargelegt. Damit kam sie lange Zeit gut zurecht. Aber in der aktuellen Krise greift das zu kurz. Nun bräuchte sie eine und das Defizit lässt sich nicht mehr verbergen.
Das heißt, sie ist von der Situation genauso überfordert wie die Bürger?
Wir leben in einem Zeitalter der Komplexität. Laut Umfragen geben über 70 Prozent der Befragten zu, dass sie die komplexen Zusammenhänge unserer Zeit nicht mehr verstehen. Faktisch sind das wahrscheinlich noch viel mehr. Ich nenne das das Zeitalter der Konfusion.
Politikberater Werner Weidenfeld (2.v.r.) neben der Kanzlerin.Bild: imago stock&people / Thomas Koeh ler/photothek.net
Wie kann man dieser Lage Herr werden?
Was mit entscheidend ist, ist die Deutungshoheit in so einer Situation. Wer die Situation auslegen kann, der hat die Macht, weil er Orientierung bietet. Deshalb ist es umso stärker spürbar, wenn das nicht gelingt, wie im aktuellen Fall der Kanzlerin.
Bisher war die Kanzlerin immer eher dafür bekannt Lösungen über Moderation zu suchen. Nun sucht sie aber die Konfrontation mit den Ministerpräsidenten. Erwartet uns da ein Machtkampf?
Das ist zumindest das, was an der Oberfläche geschieht. Mich wundert ihre Kritik an den Ministerpräsidenten aber nicht.
Es handelt sich ja aber auch um zwei CDU-Ministerpräsidenten, die sie direkt angegriffen hat und einer von ihnen – Armin Laschet – will sehr wahrscheinlich Kanzler werden.
Das ist noch nicht entschieden und hat auch noch viel Zeit. Ich bin immer wieder überrascht, wenn Medien meinen, dass das, was aktuell geschieht, die Wahl in mehreren Monaten entscheidet. Schauen Sie sich mal die Wellenbewegungen in den Umfragen der vergangenen Wochen an. Da kann sich noch viel drehen und wenden bis zur Bundestagswahl.
Über Markus Söder:
"Es gab noch nie einen erfolgreichen CSU-Kanzlerkandidaten."
Trotzdem hat man den Eindruck, die Ministerpräsidenten nutzen die aktuelle Situation, um sich zu profilieren.
Was sicherlich mit hineinspielt ist eine bestimmte Beliebtheit. Die Lockerungen in bestimmten Bundesländern heben die Zustimmungsquote der Ministerpräsidenten. Hier fehlt wieder die Deutungshoheit: Wenn die Maßnahmen strategisch genau begründet würden, würden das deutlich mehr Menschen einsehen. Aber so wirkt es immer ein bisschen willkürlich und die Lockerungen, die einige Bundesländer anstreben, sind daher beliebter.
Was würden Sie anders machen, wenn Sie Kanzler wären?
Ich würde keine Sekunde zögern, deutlich meine eigene Strategie zu kommunizieren. Dann würde ich einen Rat einrichten, bei dem alle relevanten Entscheidungsträger, Wissenschaftler und Experten zusammenkommen in einen Raum. Da wird dann so lange beraten, bis wir eine gemeinsame Lösung haben und das wird dann umfänglich und strategisch kommuniziert.
Ohne die Ministerpräsidenten?
Nein, natürlich mit. Die meine ich mit allen relevanten Entscheidungsträgern natürlich auch.
Wäre das dann nicht die Ministerpräsidentenkonferenz?
Nein. Da wird beraten und dann mitgeteilt, welche Beschränkungen gelten. Aber es wird überhaupt nicht erklärt, weshalb und warum.
Würde es da nicht helfen, die Ministerpräsidentenkonferenz live im Fernsehen oder Internet zu übertragen?
Das bringt nur etwas, wenn sie eine gemeinsame Linie haben. Wenn man überträgt, wie sich die verschiedenen Teilnehmer Dinge an den Kopf werfen, bringt das rein gar nichts.
Einer derjenigen, der sich bei den Ministerpräsidentenkonferenzen gerne profiliert, ist Markus Söder. Wohl auch, weil er Bundeskanzler werden will. Noch hat er seine Kandidatur aber noch nicht erklärt. Würden sie ihm raten, zu kandidieren?
Nein.
Weshalb nicht?
Es gab noch nie einen erfolgreichen CSU-Kanzlerkandidaten. Und sie dürfen nicht vergessen, dass Markus Söder so lange beliebt ist, wie er Ministerpräsident von Bayern ist. Als Kanzler könnte er aber nicht so eine Politik zum Wohle Bayerns betreiben und außerhalb von Bayern wäre er als Kanzler möglicherweise weit weniger beliebt.
Also gehen Sie nicht davon aus, dass er kandidiert?
Das habe ich nicht gesagt. Dummheit und Fehler macht ja jeder ganz gerne einmal. Aber Sie dürfen nicht vergessen: Wenn der CDU-Vorsitzende sagt, er kandidiert, dann hat er auch ein Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur. Der Vorsitzende der größeren Partei muss ja nicht vor der kleineren CSU auf die Knie gehen. So gesehen liegt der Ball noch bei Armin Laschet.
Über den Experten
Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München und Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg). Außerdem ist er Vizepräsident des Cyber-Sicherheitsrats Deutschland e.V. (Berlin).
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