Seit Jahrzehnten war das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA nicht mehr so angespannt. Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump sieht Deutschland weniger als Verbündeten denn als Gegner. Er hat beschlossen, tausende US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen, attackiert die deutsche Regierung regelmäßig, sein Verhältnis mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ist unterkühlt. Trump hat die USA außerdem im internationalen Kampf gegen den Klimawandel ins Abseits befördert: 2017 kündigte er den Austritt des Lands aus dem Pariser Klimaschutzabkommen an, der Anfang November 2020 wirksam wurde.
Wird das unter Präsident Joe Biden besser? Worin wird er sich von seinem Vorgänger Barack Obama unterscheiden?
Watson hat darüber im zweiten Teil des Interviews mit Evan Osnos gesprochen. Osnos ist Redakteur beim Magazin "New Yorker" – und hat eine Biografie über Joe Biden geschrieben. Unter dem Titel "Joe Biden – Ein Porträt" ist sie Ende Oktober auch in Deutschland erschienen.
watson: Herr Osnos, ein Thema, das vielen jungen Menschen – in Deutschland wie in den USA – enorm wichtig ist, ist der Kampf gegen den Klimawandel. Joe Biden hat im Wahlkampf versprochen, die USA auf den Weg zur Klimaneutralität zu bringen, Millionen grüner Arbeitsplätze zu schaffen. Wie ernst ist es ihm bei diesem Thema?
Evan Osnos: In der Klimapolitik ist Biden deutlich progressiver als bei der Gesundheitsversorgung oder bei den Themen Migration und Polizei. Und er meint das ehrlich. Biden versteht, dass der Klimawandel kein abstraktes Thema für die kommenden Generationen ist, sondern dass er heute schon stattfindet. Er sieht im Klimawandel eine Gefahr für die nationale Sicherheit und Stabilität der USA, eine zentrale Zukunftsfrage für dieses Land. Und allgemein glaubt Biden an die Wissenschaft. Es ist ja so: Die Tatsache, dass wir im Jahr 2020 überhaupt noch über dieses Thema reden müssen, zeigt, wie verzerrt die politische Debatte in den USA momentan ist.
Was kann er für den Klimaschutz erreichen?
Biden wird als Präsident schnellstmöglich dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beitreten. Sein Problem ist, dass sich die Republikaner gegen Gesetze für strengeren Klimaschutz stellen werden. Trotzdem kann er Fortschritte machen. Wenn ich mich mit Klimaschutzaktivisten in den USA unterhalte, dann sind sie deutlich zufriedener mit Biden als die aus anderen Bereichen.
Reden wir über Deutschland. In Ihrem Buch erwähnen Sie Deutschland ein einziges Mal: Sie schreiben, dass Bidens politischer Stil als Vizepräsident besser in Südamerika und im Mittelmeerraum ankam als hierzulande oder in Großbritannien. Was können Sie sonst noch über Bidens Sicht auf Deutschland sagen?
Joe Biden fühlt sich Deutschland ziemlich nahe. Für ihn ist es ein wichtiger Teil seiner mentalen Weltkarte. Er hat eine echte Beziehung zu Angela Merkel, beide respektieren einander. Es ist gut möglich, dass Bidens erster Besuch nach Deutschland führt. Aber sicher ist es nicht, er könnte auch zuerst nach Kanada oder Großbritannien kommen, das sind die üblichen ersten Stationen für einen US-Präsidenten. Biden sieht Deutschland als Stütze der freien Welt – gerade jetzt, da deren gesamte Vorstellung auf dem Spiel steht. Das liegt ja zum Teil auch an Trump. Biden sieht in Deutschland ein Beispiel dafür, wie man ein Land effektiv regiert – etwa bei der Reaktion auf das Coronavirus und den Beziehungen zu China. Obama hatte eine enge Beziehung zu Merkel, weil beide dieselbe Vorstellung von Regierungsarbeit und von Seriosität teilen. Bei Biden ist das ähnlich. Er fühlt sich sehr heimisch in Deutschland.
Einige deutsche und US-amerikanische Politikexperten sagen aber, dass sich die Außenpolitik der USA gegenüber Deutschland gar nicht so sehr verändern wird, weil viele Forderungen auch unter Präsident Biden bleiben: nach höheren Verteidigungsausgaben, nach dem Stopp der deutsch-russischen Gaspipeline Nordstream 2, nach einer ausgewogenen Handelsbilanz. Sind Sie da optimistischer?
Ich sehe da gar keinen Widerspruch. Ich würde unterscheiden zwischen der Haltung, mit der sich die beiden Länder begegnen – und ihren inhaltlichen Differenzen. Zwischen Merkel und Trump gibt es offensichtlich einen tiefen Graben. Das wird sich unter Biden bessern. Wahr ist aber auch, dass Biden von Trump einiges an Druckmitteln erben wird – nicht nur gegenüber Deutschland und Europa, sondern auch im Verhältnis zu China und anderen Ländern. Und es wäre ungeschickt von der Biden-Regierung, das aufzugeben.
Der letzte demokratische US-Präsident hat in Deutschland schon vor seinem Amtsantritt große Begeisterung ausgelöst. Als Barack Obama noch Präsidentschaftskandidat war, hielt er im Sommer 2008 in Berlin an der Siegessäule eine Rede vor 200.000 Zuhörern. Was glauben Sie, welchen Unterschied zu Obama werden die Menschen in Deutschland bei seinem ehemaligen Vize Biden am stärksten bemerken?
Biden unterscheidet sich in mancher Hinsicht sehr deutlich von Obama. Er entfacht nicht diesen fast schon euphorischen Glauben daran, was alles in der Zukunft möglich ist. Joe Biden ist ein Produkt seiner Erfahrung. Er ist Ausdruck unserer allgemeinen Hoffnungen. Aber er steht für etwas Ähnliches wie Obama: Nämlich, dass ein seriöser Politiker mit einem moralischen Kompass das Leben der Menschen ein bisschen besser, sicherer, gesünder machen und die Menschen etwas näher zusammenbringen kann, wenn er die Regierung anführt. Und das ist schon ein ziemlich großer Unterschied zur Welt in den letzten Wochen von Trumps Präsidentschaft.
Sie meinen, der größte Unterschied zwischen Obama und Biden ist, dass die Welt von 2008 eine ganz andere war als die von 2020?
Naja, es gibt schon große Unterschiede darin, wie beide auf andere Menschen wirken. Biden wird nie eine herzergreifende Rede halten, die Grenzen überwindet und in der sich Inhalte aus der literarischen und der politischen Gedankenwelt kreuzen – so, wie Obama das geschafft hat. Biden ist ein bescheidenerer, politischer Praktiker. Gut möglich, dass wir gerade genau so jemanden brauchen. Während meiner Recherchen für das Buch hat mir einer, der sowohl für Obama als auch für Biden gearbeitet hat, gesagt: "Vielleicht brauchen wir gerade einfach einen langweiligen Präsidenten." Da ist was dran. Ein Problem in den USA ist, dass Politik und Entertainment inzwischen fast komplett übereinstimmen. Wir erwarten mittlerweile von beiden dasselbe. Und das ist katastrophal. Biden ist kein Entertainer. Er zielt nicht darauf ab, Menschen auf Social Media zu unterhalten. Er sieht seine Aufgabe darin, verantwortungsvoll zu regieren. Dafür haben wir ihn gewählt.