Grünen-Chef Robert Habeck hat jüngst vorgeschlagen, das Wahlalter für die kommende Bundestagswahl auf 16 Jahre zu senken. Er möchte damit die "politische Reife" der jungen Generationen in der Corona-Krise würdigen.
Aber ist das eine sinnvolle Idee? Und warum ab 16 Jahren und nicht früher? Wolfgang Gründinger ist führender Generationen-Erklärer und Digital-Lobbyist sowie mehrfach preisgekrönter Autor.
Zuletzt erschien sein Buch "Alte Säcke Politik". Gründinger setzt sich schon länger für ein Wahlrecht für junge Menschen und mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen ein. Im Interview mit watson erklärt er, warum wir immer noch Politik für alte Menschen machen und Robert Habecks Vorschlag, auch 16-Jährige wählen zu lassen, nicht weit genug geht.
"Im Grundgesetz steht, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Da steht nicht, vom volljährigen oder erwachsenen Volk."
watson: Robert Habeck hat das Wahlrecht ab 16 Jahren gefordert. Ist das eine gute Idee?
Wolfgang Gründinger: Das ist längst überfällig. Im Grundgesetz steht, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Da steht nicht, vom volljährigen oder erwachsenen Volk. Auch Kinder und Jugendliche sind Teil des Volkes und unmittelbar von der Politik betroffen. Trotzdem dürfen sie nicht mitreden. Jeder der Bürgerin oder Bürger ist, muss auch mitbestimmen können.
Nach dieser Logik könnte man das Alter ja aber noch viel weiter heruntersetzen…
Perspektivisch müsste das auch kommen. Jeder, der wählen will, sollte das auch dürfen, egal wie alt oder jung er oder sie ist. Das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken, ist ein guter erster Schritt. Prinzipiell bin ich aber dafür, dass jeder wählen darf, der es möchte. Egal ob Digitalisierung, Verkehr oder Klima. Das betrifft junge Menschen noch deutlich länger als ältere. Es gibt keinen Grund, dass man 120-Jährige wählen lässt, aber keine Zwölfjährigen.
Robert Habeck hat diese Herabsetzung des Wahlalters damit begründet, dass sich die Jungen während der Corona-Krise solidarisch verhalten hätten. Sie hätten es sich sozusagen verdient. Ist das richtig?
Ein Wahlrecht ist keine Belohnung für irgendwas. Ein Wahlrecht ist Ausdruck der Menschenwürde und Wesen der Demokratie. Wenn es nach Verhalten ginge, müsste man sehr vielen Menschen das Wahlrecht eher aberkennen. Der Grundsatz in der Demokratie ist aber: ein Mensch, eine Stimme. Egal wie man sich vorher verhalten hat.
Während der Corona-Krise wurde allerdings häufig auf die junge Generation geschielt und kritisch hinterfragt, inwiefern sie auch mal verzichten könne. Wie haben Sie das erlebt?
Natürlich hat man junge Menschen in Parks gesehen, aber genauso auch ältere. Nicht jeder hat eine 120-Quadratmeter-Wohnung mit Balkon, in der man sich die ganze Zeit aufhalten kann. Da ist es nur logisch, dass man auch mal raus will. Das ist kein jugendspezifisches Phänomen, und das hat auch die Polizei bestätigt. Gerade Fridays for Future waren während der Krise solidarisch und haben dazu aufgerufen, Masken zu tragen, zu Hause zu bleiben und älteren Menschen Postkarten zu schreiben.
"Junge Menschen haben keine Lobby."
Trotzdem werden wohl wieder die jungen Menschen die Kosten der Krise tragen. Die Schulden, die jetzt gemacht werden, zahlen die Kinder, die jetzt in der Kita sind. Ist das fair?
Nein. Man türmt die Staatsverschuldung auf, weil man auch eben wieder die Industrien von Vorgestern fördert. Da wird wieder die Lufthansa und die Autoindustrie gerettet, wie bei der vergangenen Krise. Die neuen Industrien, wie Solarindustrie und Windindustrie werden liegen gelassen. Das ist eine absolut miese Balance. Man hat den Eindruck, viele wollen das Land einfrieren, damit man es nächstes Jahr wieder auftauen kann, wenn der ganze Spuk vorbei ist.
Und das ist falsch?
Ja. Man sollte die Krise lieber als Chance nutzen. Da haben sich viele neue Konzepte und Erfahrungen ergeben. Autofreie Innenstädte, Homeoffice, Pop-up-Radwege. Warum nutzt man nicht die Krise, um sich neu zu erfinden?
"Man versucht, das Bestehende zu konservieren, wie in einem Einmachglas."
Gute Frage. Warum ist die Politik so sehr von alten Themen dominiert?
Jeder dritte Wähler ist über 60 Jahre alt, das schlägt sich natürlich nieder in der Form und den Inhalten, wie Politik gemacht wird. Auch die Politiker sind in der Regel alt, genauso wie Gewerkschaftsmitglieder oder Vertreter anderer Interessengruppen. Junge Menschen haben keine Lobby. Und daraus entstehen dann alte politische Konzepte.
Man versucht, das Bestehende zu konservieren, wie in einem Einmachglas. Die Corona-Krise hat da im positiven Sinne für einen Ruck gesorgt, der das Bestehende ganz schön in Frage gestellt hat. Die Digitalisierung ist innerhalb von Wochen viel weiter fortgeschritten als in den vergangenen Jahren. Das sollte man nutzen und tut es nicht.
Lässt die Politik junge Menschen im Stich?
In meinen Augen schon. Vor einem Jahr hat man protestiert, weil die jungen Leute mit Fridays for Future auf die Straße sind und nicht in der Schule waren. Jetzt sind sie seit Wochen nicht in der Schule und man vergisst sie. Das ist sozial absolut ungerecht. Von Homeschooling profitieren nur die Kinder, die sowieso Unterstützung von zu Hause erhalten. Sozial schwache Kinder werden alleine gelassen. Man hat den Eindruck von der Politik: Euch sind Jugendliche nur dann etwas wert, wenn man sie kritisieren kann.
Wie kann man für mehr Generationengerechtigkeit sorgen?
Die Herabsetzung des Wahlalters ist ein erster guter Schritt. Insgesamt muss sich aber auch was tun im Politikbetrieb. Die Politik muss sensibler werden für die Lebensrealität von jungen Menschen. Viele Politiker haben da überhaupt keinen Einblick. Junge Menschen bewegen ganz andere Themen als ältere Generationen. Hier sind die Themen wie Umweltpolitik und Bildung viel präsenter. Das kommt bei den Spitzenpolitikern, wenn überhaupt, nur sehr verzögert an.
Das späte Echo des MeToo-Skandals bei der Linken: Gericht verhängt Urteil
Anmerkung der Redaktion inklusive Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir behauptet, der hier formulierte Urteilsspruch würde eine Frau betreffen, die sich gegenüber Medien als Betroffene zum MeToo-Skandal bei der Linken geäußert hatte. Das war inhaltlich falsch. Wir bedauern den Fehler und haben die entsprechenden Passagen korrigiert bzw. entfernt. Richtig ist: Verurteilt wurde eine Frau, die sich als Reaktion auf die damaligen Medienberichte auf Social Media zu dem Fall äußerte.