Sie haben 53 Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet und dafür gesorgt, dass sie sicher nach Italien kommen. Ihre Kapitänin Carola Rackete wurde deshalb von den italienischen Behörden festgenommen und ist erst seit Dienstag wieder auf freiem Fuß. Die übrigen Crewmitglieder sind noch immer an Bord der "Sea-Watch 3" – freiwillig. Sie wollen dafür sorgen, dass das Schiff möglichst bald wieder einsatzbereit und auf dem Weg zurück in die tödlichen Gewässer vor der libyschen Küste ist.
Der Sea-Watch-Einsatzleiter Philipp Hahn erklärt im watson-Interview, warum die Organisation gerettete Flüchtlinge nach Lampedusa und nicht nach Libyen bringt und warum er über Solidaritätsbekundungen aus der Politik nicht nur glücklich ist.
Wie geht es dir und der Crew gerade?
Uns geht es soweit gut. Wir sind natürlich alle sehr erschöpft. Wir waren 17 Tage lang mit den anfangs 53 und zum Schluss noch 40 geretteten Menschen auf dem Meer. Nach der Einfahrt nach Lampedusa sind wir jetzt im Hafen von Licata auf Sizilien angekommen, wo das Schiff jetzt erstmal beschlagnahmt ist.
Die "Sea-Watch 3" im Hafen von Lampedusa.Bild: REUTERS/Guglielmo Mangiapane
Carola Rackete drohen in Italien rechtliche Konsequenzen. Ihr wird die "Beihilfe zur illegalen Migration" vorgeworfen. Dem Rest der Crew auch?
Bisher ist noch nicht ganz klar, welches Ausmaß die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben. Im Moment sieht es aber nicht danach aus, dass gegen weitere Crewmitglieder ermittelt wird.
Und ihr seid weiterhin auf dem Schiff?
Genau, wir können weiter auf dem beschlagnahmten Schiff bleiben. Wir machen jetzt erstmal kleinere Reparaturen und sind gleichzeitig dabei, möglichst viele Informationen und Beweise an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Wir kooperieren mit denen, um möglichst deutlich zu machen, dass wir nach Recht und Gesetz gehandelt haben.
In der öffentlichen Wahrnehmung bekommt ihr viel Solidarität aus der deutschen Zivilgesellschaft. Aus Italien hört man vor allem die lauten Worte des Innenministers Salvini, der Carola Rackete hinter Gittern sehen will. Erfahrt ihr gerade auch in Italien Unterstützung?
Ja, auf jeden Fall. Salvini mag der Lauteste sein, der auch im Ausland dementsprechend wahrgenommen wird. Die öffentliche Meinung in Italien ist aber sehr gespalten. Wir erleben hier sehr viel Unterstützung und Solidarität von Privatpersonen, aber auch von Organisationen. Der gesamten Crew wurde die Ehrenbürgerschaft von Palermo angeboten. Das sind alles Zeichen, dass Italien viele Gesichter hat und nicht nur das von Matteo Salvini.
Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando (links), bei einer Solidaritäts-Demonstration für Carola Rackete und die Sea-Watch-Crew.Bild: imago images/Francesco Militello Mirto
In den vergangenen Tagen wurde weit mehr als eine Million Euro an Spenden für Sea-Watch gesammelt und es gibt jede Menge Unterstützungsbekundungen für eure Arbeit. Wie wirkt das auf euch?
Ich unterscheide da zwischen zwei verschiedenen Formen der Solidarität. Einerseits gibt es eine ganz große moralische und persönliche Stütze von Privatleuten, die uns schreiben und ihre Solidarität bekunden, die Solidaritätsaktionen in ihren Städten organisieren. Das finde ich großartig, genau wie den ganzen Aktivismus der Seebrücken-Bewegung. Das alles bestärkt uns darin, weiterzumachen.
Andererseits gibt es Solidaritätsbekundungen aus der hohen Politik, vor allem mit unserer Kapitänin Carola. Die hätten ihre Solidarität auch 17 Tage vorher bekunden können, als wir vor den italienischen Territorialgewässern waren. Die hätten jede Menge Zeit gehabt, eigentlich jahrelang, um etwas auf die Beine zu stellen, damit Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken, und Leute wie wir nicht kriminalisiert werden.
Blicken wir nochmal auf diese vergangenen Wochen zurück. Wie war die Situation an Bord der "Sea-Watch 3", bevor ihr in den Hafen von Lampedusa eingelaufen seid?
Nach der Rettung der Menschen vor der libyschen Küste haben wir erstmal abgewartet, ob die libyschen Behörden eine solide Lösung für die Ausschiffung der Geretteten anbieten können. Das konnten die natürlich nicht, in einem Bürgerkriegsland. Deshalb haben wir uns dann sofort in Richtung Italien begeben und lagen erstmal vor den italienischen Territorialgewässern. Wir waren schon drauf und dran, in den Hafen von Lampedusa hinein zu fahren, als uns die Nachricht erreichte, dass in Italien ein neues Gesetz in Kraft getreten sei. Das mussten wir für uns erstmal analysieren und haben abgewartet, um keinen Rechtsverstoß zu begehen, wenn sich das auch anders lösen lässt.
Unsere Kapitänin Carola Rackete und die Geretteten haben dann einen Eilantrag an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestellt, um Italien zu verpflichten, uns anlegen zu lassen. Den Antrag auf Sofortmaßnahmen hat das Gericht leider abgelehnt und Italien nur sehr vage dazu aufgerufen, auch weiterhin Nothilfe zu leisten. Dieses Urteil hat uns die Augen geöffnet, dass von europäischen Institutionen rein gar keine Hilfe zu erwarten ist.
Wie habt ihr darauf reagiert?
Wir sind daraufhin in die italienischen Gewässer gefahren. Es schien zunächst so, als hätte die Politik sich doch zu einer Lösung durchgerungen. Darum haben wir nochmal 60 Stunden gewartet, bis wir nach Lampedusa gefahren sind. Und in dieser Zeit wurde die Situation immer katastrophaler. Währenddessen gab es noch eine medizinische Not-Evakuierung durch die italienischen Behörden.
Kranke wurden aber auch vorher schon von Bord geholt und nach Italien gebracht…
Ja, ganz am Anfang, als wir noch in internationalen Gewässern waren, wurden schon zehn Leute von den italienischen Behörden evakuiert. Da sind unter anderem zwei Babys mit ihren Familien und schwangere Frauen von Bord gekommen. Später gab es, ebenfalls noch außerhalb der italienischen Territorialgewässer, eine weitere Evakuierung.
Ein Mann wird vor der Küste Lampedusas von der "Sea-Watch 3" evakuiert.Bild: sea-watch/reuters
Nach der letzten Evakuierung vor Lampedusa ist jedoch bei den verbliebenen Geretteten die Stimmung komplett zusammengebrochen. Für viele war klar: Man kommt nur von Bord, wenn man irgendeinen Notfall hat. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir große Angst, dass Leute sich selber was antun, dass sie ins Wasser springen, oder dass eine Situation entsteht, die wir nicht mehr kontrollieren können. Wir geben uns natürlich die größte Mühe, den Menschen die Zeit so angenehm wie möglich zu machen. Aber am Ende bist du eben doch mit 50 Leuten auf 60 Quadratmetern. Tagsüber schwitzt du und nachts liegst du nur mit einer Decke auf dem Boden. Mehr Komfort haben wir einfach nicht. Auch die sanitären Einrichtungen sind minimal. Es gibt ein paar Dixi-Klos und es ist so gut wie gar nicht möglich, zu duschen, weil wir dafür nicht genug Frischwasser haben.
An Bord der "Sea-Watch 3".Bild: GUGLIELMO MANGIAPANE/reuters
Das heißt, die Situation war sowohl für die Geretteten, als auch für die Crew, die 24 Stunden am Tag im Schichtdienst arbeitet, extrem schwierig. Und währenddessen standen wir auch noch dauerhaft mit den Behörden in Kontakt und haben sie über die Lage informiert, um irgendwie in den Hafen zu kommen. All dieser Aufwand hat aber nichts gebracht, deshalb mussten wir letztendlich einfach so reinfahren.
Die "Bild" berichtete über ein vertrauliches Papier der Bundesregierung, wonach die "Sea-Watch 3" den nächstgelegenen Hafen hätte ansteuern müssen – also Tripolis. Warum war das, ebenso wie Tunesien, keine Option für euch?
Libyen und Tunesien sind nicht nur für uns keine Option. Sie sind ganz einfach nach geltendem Recht keine Option. Das hat auch die italienische Richterin bestätigt, die den Haftbefehl gegen Carola Rackete aufgehoben hat. Die Menschenrechts-Gesetzeslage schreibt vor, dass ein Asylverfahren für die Geretteten möglich sein muss. Wir dürfen Menschen nur dort hinbringen, wo ihre Rechte gewahrt werden. In Tunesien ist ein Asylverfahren für die Geretteten nicht möglich. Und auch Grundrechte wie LGBT-Rechte werden dort nicht gewahrt.
Man kann nur ganz klar sagen: Die Leute gehören in Sicherheit. Und der nächste sichere Hafen ist Lampedusa.
Wie geht es für die Crew der "Sea-Watch 3" jetzt weiter?
Wir führen, wie gesagt, kleinere Reparaturen durch und versuchen, die Behörden bei ihrer Beweisaufnahme zu unterstützen. Und dann kommt eine neue Crew an und unsere Arbeit geht weiter.
Ihr geht also davon aus, dass die italienischen Behörden das Schiff nicht dauerhaft beschlagnahmen?
Das hoffen wir zumindest. Wenn wir vom schlechtesten Fall ausgehen, brauchen wir ein neues Schiff. Wenn wir vom besten Fall ausgehen, kann bald die nächste Crew eingeflogen kommen und wir können wieder ins Suchgebiet fahren und dafür sorgen, dass dort die Menschen gerettet werden.
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