Politik
Interview

Georg Kurz, Sprecher der Grünen Jugend, mit klaren Worten: "Unsoziale Unionstruppe"

Georg Kurz (Grüne Jugend / Bündnis 90/Die Grünen)
Georg Kurz ist der Bundessprecher der Grünen Jugend. Mit watson hat er über Koalitionen und den paritätischen Anspruch der Partei gesprochen.Foto: dirk lässig für watson
Interview

"Jetzt ist die Aufgabe, eine Regierung ohne die Union zu bilden": Georg Kurz, Sprecher der Grünen Jugend, über Koalitions-Verhandlungen

02.10.2021, 13:0903.10.2021, 12:37
Mehr «Politik»

Deutschland hat gewählt, und zwar so, dass sich die Grünen und die FDP nun in der Position von sogenannten Königs- oder Kanzlermachern sehen. Ohne sie lässt sich kaum eine neue Regierung bilden – zumindest nicht, wenn eine Neuauflage der großen Koalition vermieden werden soll.

Die Frage ist nun: Ampel (SPD, Grüne, FDP) oder Jamaika (Union, Grüne, FDP)? Olaf Scholz oder Armin Laschet? Die Sondierungsgespräche mit SPD und Union beginnen in den kommenden Tagen, Grüne und FDP sind bereits seit einigen Tagen in Kontakt.

Mit welchem Ergebnis rechnet die Jugendorganisation der Grünen? Darüber hat watson mit Bundessprecher Georg Kurz gesprochen. Und darüber, wie die Grünen dem Partitäts- und Diversitätsanspruch gerecht werden wollen.

watson: Am Freitagmittag haben sich Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner gemeinsam den Fragen der Journalisten gestellt, nachdem sie seit dem frühen Morgen mit ihren Sondierungsteams nach Brücken gesucht haben, wie sie es nennen, die die beiden Parteiprogramme verbinden könnten. Die größten Unterschiede sind bei der Finanzpolitik und bei der Wirtschaftspolitik zu finden, aber auch bei der Klimapolitik. Meinst du, es lassen sich genügend Gemeinsamkeiten für eine Koalition finden?

Georg Kurz: Ich glaube, der Wille dazu ist auf jeden Fall da. Am Ende wird die Aufgabe sein, nicht nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Stattdessen müssen die Menschen in ihrem eigenen Leben merken, dass es einen Regierungswechsel gibt – zum Beispiel dadurch, dass sie mehr Geld in ihrem Portemonnaie haben. Ich habe den Eindruck, Millionen von Menschen haben – seit ich politisch denken kann – nie die Erfahrung gemacht, dass Politik etwas Konkretes in ihrem Leben verbessern kann: Mieter:innen, Menschen im Niedriglohnsektor oder Menschen, die in Hartz 4 feststecken zum Beispiel. Am Ende müssen wir es also schaffen, das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen. Das wird nicht einfach sein. Und dafür braucht es das klare Bekenntnis aller Koalitionsparteien. Und am Ende muss natürlich das 1,5-Grad-Ziel die Basis allen Handelns sein.

"Man kann auch klimaneutral werden, indem man extrem unsozial einfach alles, was CO2 ausstößt, extrem teuer macht und die Klimawende dem Markt überlässt. Das ist für mich überhaupt keine Option"

Du meinst, das Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das ist für dich die wichtigste rote Linie in den Verhandlungen?

Zum einen das. Zum anderen muss die nächste Bundesregierung Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammenbringen. Man kann auch klimaneutral werden, indem man extrem unsozial einfach alles, was CO2 ausstößt, extrem teuer macht und die Klimawende dem Markt überlässt. So könnte nur noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, wer es sich leisten kann. Das ist für mich überhaupt keine Option.

Georg Kurz (Grüne Jugend / Bündnis 90/Die Grünen)
Georg Kurz beim großen watson-Doppelinterview im August.Foto: dirk lässig für watson

Die "Taz" beschreibt das Sondierungsteam der Grünen als "so divers wie eine Weißwurst", weil kein Politiker mit Migrationsgeschichte darin vertreten ist. Diversität ist aber eigentlich ein Anspruch der Partei. Warum findet sich dieser nicht im Spitzenteam wider?

Das Sondierungsteam ist natürlich nach Funktionen besetzt: Parteivorsitzende, Fraktionsvorsitzende und so weiter. Man darf nicht denken, dass Diversität etwas ist, das sich mit ein bisschen guten Willen über Nacht erledigt. Bis dieser Anspruch auf allen Ebenen von der Basis bis zur Spitze eingelöst ist, ist noch viel zu tun. Wir haben vor einem Jahr unser Vielfalts-Statut beschlossen, und arbeiten sehr hart daran, die Partei zu öffnen und Menschen mit Migrationsgeschichte einzubinden und zu fördern. Wir kommen unserem Ziel, die Gesamtgesellschaft abzubilden, näher, aber wir sind noch lange nicht angekommen.

"Er wurde abgewählt und seine ganze zukunftsfeindliche und unsoziale Unionstruppe von vorgestern wurde mit ihm abgewählt"

Wäre nicht aber Cem Özdemir, der mit einem überragenden Ergebnis sein Direktmandat geholt hat, auch ein geeigneter Kandidat für dieses Team?

Die aktuellen Sondierungen finden in kleiner Runde statt, die nach Funktionen besetzt ist. In die Koalitionsverhandlungen werden dann mehr Menschen eingebunden. Cem Özdemir ist ja auch nicht der einzige Mensch mit Migrationsgeschichte, der dafür in Frage kommt.

Ein Selfie hat uns alle in den vergangenen Tagen beschäftigt: Volker Wissing, Annalena Baerbock, Robert Habeck und Christian Lindner – also die Spitzen von Grünen und FDP – beim ersten Treffen zur Vorsondierung. Du hast auf Twitter mit einem gemeinsamen Selfie mit Anna Peters und Jessica Rosenthal, der Chefin der SPD-Jugendorganisation Jusos reagiert. Was wolltest du mit diesem Kommentar sagen?

Am Ende werden wir mit beiden Parteien zusammenkommen. Klar ist aber natürlich, dass wir mit den Jusos viele Gemeinsamkeiten haben und für die natürlich auch weiterhin eng zusammen einstehen.

Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit als die Koalition mit der SPD: Eine Regierung unter CDU-Mann Armin Laschet. Was fühlst du, wenn du daran denkst, dass er Kanzler werden könnte?

Kann er nicht.

"Ich finde es gibt jetzt wahnsinnig viele Potenziale, das alles anzugehen und gleichzeitig zu glänzen"

Nicht?

Er wurde abgewählt und seine ganze zukunftsfeindliche und unsoziale Unionstruppe von vorgestern wurde mit ihm abgewählt. Also ich weiß gar nicht, wie viel klarer ein Wahlergebnis noch sein könnte. Es gibt einen breiten Konsens, dass die 16 Jahre Union jetzt echt mehr als genug sind. Es ist aber nicht genug, die Union einfach nur auf die Oppositionsbank zu schicken. Vielmehr muss auch die neue Regierung mit voller Kraft nach vorne gehen, statt einfach nur weiterzumachen.

Das heißt in einer Ampel-Koalition müssen alle drei Partner glänzen dürfen?

Wir haben so viele Jahre das Pariser Klimaschutzabkommen verschleppt, wir haben so viele Jahre zugeguckt, wie sich immer mehr Reichtum bei immer weniger Menschen anhäuft. Wir haben so viele Jahre zugeguckt, wie man auf der Jagd nach der schwarzen Null einfach alles verfallen lässt. Ich finde es gibt jetzt wahnsinnig viele Potenziale, das alles anzugehen und gleichzeitig zu glänzen.

Du hast gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" der Jamaika-Koalition eine klare Abfuhr erteilt. Was machst du, wenn es am Ende der Verhandlungen doch dazu kommt?

Wird es nicht. Weil zum Glück auch allen Grünen klar ist, dass die Union abgewählt wurde und es jetzt die Aufgabe ist, eine Regierung ohne die Union zu bilden.

Für eine Ampelkoalition müssen sich SPD, Grüne und FDP zusammenfinden.
Für eine Ampelkoalition müssen sich SPD, Grüne und FDP zusammenfinden.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Wer diese Forderung aus Sicht der Grünen etwas komplizierter machen könnte, ist natürlich die FDP, die der Union viel näher steht als der SPD. Was müssten Sozialdemokraten und Grüne tun, um die FDP von einer Ampel zu überzeugen?

Ich glaube, auch die FDP weiß, dass die Union abgewählt wurde. Sie haben ja auch selbst von diesem Ergebnis profitiert. Für die Liberalen gibt es also auch nichts zu deuteln, es muss klar sein, dass eine Koalition mit der Union nicht auf der Tagesordnung steht. Und klar ist natürlich, dass es in den Koalitionssondierungen immer darum gehen wird, wie sich die Positionen der drei Parteien annähern. Natürlich gibt es viel Verhandlungsbereitschaft bei der Frage, wie man notwendige Ziele erreicht – also zum Beispiel, wie genau in welchen Sektoren die Klimaziele erreicht werden. Da gibt es natürlich immer Spielraum, sonst bräuchte man ja keine Politik mehr.

"Natürlich wird es auch paritätisch besetzte Regierungsposten geben"

Mal angenommen, FDP-Chef Christian Lindner verkündet im November wie schon 2017, er wolle lieber nicht regieren als falsch. Am Ende stünden wir erneut vor einer großen Koalition aus SPD und Union. Würdest du dich stattdessen für eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung einsetzen?

An diesem Punkt sind wir jetzt zum Glück einfach nicht. Ich glaube, dass alle drei Parteien, die jetzt die Ampel verhandeln, sich sehr bewusst sind, worum es geht und was jetzt auf dem Spiel steht.

Schon am Tag nach der Wahl wurde aus dem Umfeld der Grünen durchgestochen, Baerbock solle nun für Habeck zur Seite treten und Habeck werde Vizekanzler. Was hältst du von davon?

Nichts, weil es darum jetzt gar nicht geht. Wir haben eine dermaßen große Herausforderung, jetzt eine Regierung aufs Gleis zu bringen, die wirklich etwas ändert. Das muss jetzt verhandelt werden, danach guckt man, ob es dafür die Zustimmung in den jeweiligen Parteien gibt und dann verhandelt man über Ministerposten. Und zwar genau in der Reihenfolge!

Das Spitzenpersonal von FDP und von SPD ist vornehmlich männlich. Gehst du davon aus, dass die Personalentscheidungen der Grünen dem paritätischen Anspruch der Partei am Ende gerecht werden?

Wir haben jetzt alles paritätisch besetzt. Alle Teams, alle Verhandlungsgruppen. So wie das bei Grünen üblich ist. Natürlich wird es auch paritätisch besetzte Regierungsposten geben.

Was erwartest du dir denn vom kleinen Parteitag der Grünen, der am Samstag ansteht?

Da werden wir jetzt genau diese Schritte diskutieren. Mal schauen, was sich bis Samstag noch tut, ich bin selber sehr gespannt. Und dann werden wir mit breitem Rückenwind in die Sondierungen gehen. Es ist schließlich das beste Ergebnis, das die Grünen je hatten.

US-Wahl: Trump und Harris kämpfen auf Tiktok um die Gen Z

Jahrzehntelang war Google die Anlaufstelle Nummer 1 bei der schnellen Suche nach Informationen – nicht nur, wenn es um die US-Wahl geht. Doch dies beginnt sich zu ändern. Wer heute Antworten auf seine Fragen will, greift immer häufiger zu anderen Mitteln: Da wären etwa die zahlreichen KI-Bots.

Zur Story