Sein Homeoffice war die Fregatte Mecklenburg-Vorpommern: Leutnant zur See Friedrich Weishaupt. Bild: dpa/Deutsche Marine/Ingo Wagner/Marcel Kroencke/montage watson
Interview
Homeoffice Kriegsschiff: Wie Marinesoldat mit Isolation umgeht
Das Coronavirus zwingt uns alle, auf Abstand zu unseren Lieben zu gehen. Für viele eine völlig ungewohnte Erfahrung. Doch es gibt Berufsgruppen, die sich mit solchen Zuständen auskennen. Hier geben sie euch Tipps, wie ihr mit der neuen Situation umgehen könnt.
Was für ein Schock. Zwei Wochen lang, mindestens, sollen, nein dürfen, wir nicht mehr vor die Tür. Nur noch das nötigste ist erlaubt, etwa der Gang zum Arzt oder zum Lebensmitteleinkauf.
Mama und Papa sehen? De facto verboten. Der Freundin beim Umzug helfen? Sorry, das geht gerade nicht. Und unseren Großeltern sollen wir ja schon länger nicht mehr begegnen. Zu groß ist die Gefahr, dass wir uns gegenseitig anstecken, milder Verlauf hin, Riskiogruppe her. Wir sind eingesperrt worden in unseren eigenen vier Wänden und sollen hier nun bleiben, damit wir nicht kollektiv Hilfe eines Gesundheitssystems beanspruchen, das so einen Ansturm nicht bewältigen kann.
Die nächsten Wochen werden für viele hart werden, vielleicht für die allermeisten von uns. Kein Cornern im Park oder am Späti, keine Frühlingsfeste oder Biergärten, noch nicht mal Hauspartys oder Einladungen zum gemeinsamen Abendessen. Hochzeitsfeiern fallen aus, Geburtstagskerzen dürfen wir alleine auspusten. Keine sozialen Kontakte mehr, soweit es irgendwie geht.
Wir sind isoliert, sollen uns isolieren und werden von anderen isoliert. Und das auch noch nach einem dunklen Winter.
Da stellt sich für viele die Frage, wie umgehen mit so einer vollkommen neuen Situation? Zum Glück gibt es in unserer Gesellschaft Berufsgruppen, die sich durchaus mit solchen Situationen auskennen. Und nein, wir meinen nicht verknackte Einbrecher.
Homeoffice Kriegsschiff
Soldaten der Deutschen Marine zum Beispiel müssen für ihre Arbeit oft monatelange Isolation von Freunden und Familie in Kauf nehmen. Ihr Arbeitsplatz ist umgeben vom Ozean, nach Feierabend geht es in die Koje und nicht in die Kneipe.
Watson hat mit Leutnant zur See Friedrich Weishaupt gesprochen. Er ist Presseoffizier bei der Marine, 22 Jahre alt und war im Rahmen der Operation Sophia sechs Monate vor der Küste Siziliens im Einsatz, auch an den Weihnachtsfeiertagen. Von Sommer bis Dezember 2017 hat er seine Familie nicht gesehen, Freunde nur selten gesprochen und auf engstem Raum gelebt. Sein Homeoffice war ein Kriegsschiff, die Fregatte Mecklenburg-Vorpommern. Hier erzählt er euch, was er erlebt hat und wie er mit der Isolation von Geliebten umgegangen ist.
"Durch Routine vergehen die Tage deutlich schneller."
Watson: Herr Weishaupt, Sie waren sechs Monate auf See und konnten in der Zeit nur selten Kontakt mit Freunden und Familie aufnehmen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Friedrich Weishaupt: Die wichtigste Ablenkung von der Trennung meiner Freunde und Familie ist für mich ein geregelter Tagesablauf. An Bord wird täglich ein Tagesbefehl ausgegeben, an dem sich die Seeroutine eines Schiffes festmacht. Jeder Tag ist streng durchgeplant mit: Arbeitsschichten, Essen, Schlaf und ein bisschen Sport, wenn dazu Zeit ist. Neben dem täglichen Dienst wird auch jeden Tag fleißig geputzt. Bei der Marine nennen wir das „Reinschiffmachen“ und es findet jeden Nachmittag, bei Wind und Wetter, außer am Sonntag, statt. Da wird ausnahmsweise nur kurz „Deck gefegt“, um ein bisschen mehr, der schon knapp bemessenen, Freizeit zu schaffen. Durch die Routine vergehen die Tage deutlich schneller.
Können Sie ein wenig beschreiben, wie das Leben an Bord so läuft?
Wir leben an Bord mit vielen Menschen auf wenig Raum zusammen. Zehn Kameraden teilen sich ein „Deck“, also einen Raum von der Größe eines normalen WG-Zimmers. Der erste Tag fühlt sich ungewohnt an, wie der Sprung ins Kalte Wasser, eine ziemlich einzigartige Erfahrung. Irgendwann fängt man an, sich wohlzufühlen. Man passt sich der Enge, den Geräuschen, dem wenigen Platz und der Situation an und wird Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft. Es gibt meiner Erfahrung nach nichts, woran man sich nicht gewöhnen kann.
Das Ganze ist durchaus vergleichbar zu den Einschränkungen in der häuslichen Isolation. Man ist stark in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, das ist eine Belastung, ähnlich, wie wir alle sie gerade erleben.
"Legt euch einen strukturierten Tagesablauf zurecht, und zieht das durch."
Welche Gefühle empfinden Sie dabei?
Wenn man zum ersten Mal in so einen Einsatz geht, hat man davor natürlich ordentlich Respekt. Auf den Schiffen hängen Kalender, die zeigen, wie viele Tage man noch auf See ist. Anfangs, wenn die Zahlen noch im dreistelligen Bereich sind, kann das dem Einen oder Anderen ein wenig Bauchschmerzen bereiten, so lange von zu Hause getrennt zu sein. Wichtig ist, jeden Tag einzeln zu sehen und sich neben der Arbeit auch etwas Abwechslung zu gönnen, wie zum Beispiel: einen guten Film, ein spannendes Buch oder ein Fifa-Turnier mit den Kameraden.
Leutnant zur See Friedrich Weishaupt im Hafen von Kiel.Bild: Deutsche Marine / Marcel Kroencke
Sie sprechen von geregeltem Tagesablauf, von viel Arbeit und den Kameradinnen und Kameraden auf See. Viele von uns dürfen ja nun gerade keine Arbeitskollegen sehen, Freundinnen besuchen oder die Familie. Haben Sie einen Tipp, wie man mit Gefühlen von Isoliert-sein umgehen kann?
Legt euch einen strukturierten Tagesablauf zurecht, und zieht das durch, auch wenn es manchmal schwerfällt. Versucht, euch in neue Bereiche einzulernen, bildet euch weiter, frischt euer Englisch auf, probiert was Neues aus. Natürlich müsst ihr dafür ein bisschen Eigenantrieb entwickeln. Ansonsten bleibt ja auch noch Sport. Marinesoldaten sind Improvisationsmeister und können fast alles zu einem Sportgerät umfunktionieren, einen Tisch, Wasserflaschen oder Türrahmen, für Klimmzüge. Für die meisten an Bord ist das der wichtigste Ausgleich, um die Enge zu kompensieren.
Sogar auf das Internet kann man verzichten – in den Decks eines Schiffes, 500 Seemeilen von der nächsten Küste entfernt, gibt es kein Wlan und keine Funkmasten, die euch eine Verbindung nach Hause herstellen. Klar, es gibt Satellitentelefon, aber das ist auch nur eingeschränkt verfügbar.
"Zeigt, dass ihr füreinander da seid, dass es euch gibt, auch und vor allem trotz der räumlichen Trennung."
Sechs Monate auf See, kein Internet und nur selten Telefonieren. Kommt da nicht Heimweh auf? Wie halten Sie Kontakt zu Angehörigen und Freunden?
An jeden Soldaten im Ausland können Familienangehörige Post schicken, die dann von uns im Hafen abgeholt wird. Das ist ein ganz wichtiger Teil des Bordlebens, wenn man alle zwei Wochen ein Stückchen Zuhause in der Hand hält. Eine Art Direkt-Link zu der Familie oder dem Partner. Verschickt also Briefe oder Pakete, wenn ihr euren Lieben näher sein wollt. Fotos oder Süßigkeiten oder vielleicht eine Karte. Zeigt, dass ihr füreinander da seid, dass es euch gibt, auch und vor allem trotz der räumlichen Trennung. Aus der Erfahrung weiß ich, dass da sogar der stärkste 'Decksbulle' (der älteste Soldat im Deck) wieder zum kleinen Kind wird, wenn er nach drei bis vier Wochen anstrengender Seefahrt eine Karte oder ein Paket von zuhause in den Händen hält.
Gibt es eine Botschaft, die Sie unseren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben wollen?
Was wir gerade durchmachen, ist eine außerordentlich schwierige Aufgabe. Von Normalität kann hier keine Rede sein. Umso wichtiger ist es, dass wir in den nächsten Wochen Selbstdisziplin an den Tag legen, uns dazu verschreiben, zuhause zu bleiben und Gruppen zu meiden, damit wir im Sommer wieder alle gemütlich an der Spree sitzen, unser Feierabendbierchen im Freundeskreis trinken und den Sonnenuntergang genießen können.
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