Am Dienstag explodieren hunderte kleine sogenannte Pager gleichzeitig im Libanon. Dabei wird eine dreistellige Anzahl an Menschen verletzt, einige Personen sterben. Am Mittwoch folgt dann eine zweite Welle. Wieder explodieren elektronische Geräte, dieses Mal auch Walkie-Talkies.
Insgesamt sollen an beiden Tagen zusammen über 3000 Menschen verletzt und über 35 getötet worden seien. Einigen Opfern mussten infolge schwerer Verletzungen Arme oder Finger entfernt werden. Unter den Betroffenen sind viele Mitglieder der proiranischen Hisbollah, aber auch Zivilist:innen – zwei Kinder sollen gestorben sein.
Die Schiitenorganisation macht Israel für den mutmaßlich koordinierten Angriff verantwortlich.
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Die Schiitenorganisation Hisbollah entstand 1982 mit iranischer Unterstützung als Antwort auf die israelische Invasion im Bürgerkrieg im Libanon. Seitdem kämpft sie politisch, aber auch mit Gewalt gegen Israel.
Die Hisbollah ist auch im libanesischen Parlament vertreten. Sie gilt heute als einflussreiche politische Kraft in einem Land mit einem generell schwachen und durchweg korrupten Staat.
Sie ist auch sozialer Dienstleister, betreibt unter anderem eigene Krankenhäuser und Schulen. Ihre Macht stützt sich unter anderem auf ihre eigene Miliz, mit der sie ganze Gebiete kontrolliert, darunter die Region an die Grenze zu Israel.
Das erklärte Ziel der Hisbollah ist der Widerstand gegen den Erzfeind Israel. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor bald einem Jahr handelt sie nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der islamistischen Hamas in dem umkämpften Küstenstreifen.
Beide gehören zu Irans sogenannter "Achse des Widerstands" – einer Allianz gegen den gemeinsamen Feind Israel. Die Hisbollah will – ähnliche wie andere Milizen der Widerstandsachse – ihre Angriffe gegen Israel erst einstellen, wenn die "Aggressionen gegen Gaza und das palästinensische Volk" gestoppt werden. Israel greift im Gegenzug immer wieder Ziele im Libanon an.
Israel will durch militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Hisbollah-Miliz wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht.
Die als Pager bekannten kleinen Funkempfänger trugen das Logo der Firma Apollo. Das in Taiwan ansässige Unternehmen hat eine Verbindung zu dem Vorfall aber von sich gewiesen. Auf Nachfrage erklärte Gold Apollo, eine in Ungarn ansässige Firma habe die Geräte entworfen und gefertigt. Die bestreitet das.
Sicherheitskreisen zufolge stammten viele der Pager aus einer Lieferung, die erst kürzlich im Libanon eintraf. Die "New York Times" berichtete unter Berufung auf Regierungsvertreter, israelische Agent:innen hätten die Geräte vorher abgefangen und mit kleinen Mengen Sprengstoff samt einem Code versehen. Mit diesem Code seien die Geräte dann zur Explosion gebracht worden.
Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und seine Anhänger:innen befürchten seit langem, über den Einsatz von Smartphones vom israelischen Militär oder Geheimdiensten geortet werden zu können und damit zum leichten Ziel zu werden.
Zur Kommunikation nutzen sie schon seit Jahren die kleinen Pager, da sie schwieriger zu orten sind. Allerdings haben sie andere Schwachstellen. Am zweiten Tag soll es sich um klassische Funkgeräte wie Walkie-Talkies gehandelt haben, hieß es aus Hisbollah-Kreisen. Zunächst war darüber wenig bekannt.
Die Hisbollah und ihr wichtigster Verbündeter Iran wie auch die libanesische Regierung machen Israel für den mutmaßlich koordinierten Angriff verantwortlich. Offiziell hat Israel sich bisher nicht geäußert. Ein technisch so anspruchsvoller Angriff trägt aber die Handschrift von Israels Geheimdiensten, die mehrfach ähnlich komplexe Attacken durchführten, um hochrangige Feinde zu töten.
1996 wurde der Hamas-Militärchef und Bombenbauer Jihia Ajasch durch Sprengstoff in seinem Mobiltelefon getötet, gezündet durch einen Anruf aus der Ferne. Israel sei damals – soweit bekannt – das erste Land gewesen, das ein Kommunikationsgerät für ein Attentat genutzt habe, schrieb der israelische Geheimdienstexperte Ronen Bergman.
Auch bei der Tötung des Hisbollah-Militärkommandeurs Fuad Schukr oder des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in Teheran, die Israel zugeschrieben wurde, dürften Kommunikationsmittel entscheidend gewesen sein, um den Standort der Opfer zu bestimmen.
Israels Armee und die Hisbollah liefern sich seit Beginn des Gaza-Kriegs immer wieder schweren Beschuss. Mit dieser Attacke, die Experten als beispiellos beschreiben, kann Israel erneut seine technische Überlegenheit gegenüber der Hisbollah demonstrieren.
Sollte die Miliz etwa mit großem Raketenbeschuss auf Israel antworten, würde sie nur beweisen, dass sie selbst zu keiner solch anspruchsvollen Attacke fähig ist. Der frühere CIA-Offizier Robert Baer sagte CNN, der Angriff sei "verheerend für die Hisbollah" und zeige gleichzeitig Israels außergewöhnliche technische und geheimdienstliche Fähigkeiten.
Nach Einschätzung von Expert:innen hat Israel hier offenbar versucht, möglichst viele Hisbollah-Mitglieder "punktuell" zu treffen, ohne dass Zivilist:innen zu Schaden kommen. Israel wirft der Organisation – ähnlich wie der Hamas im Gazastreifen – immer wieder vor, sich hinter der Bevölkerung zu verstecken. Allerdings sind unter den Opfern nach libanesischen Angaben durchaus auch Zivilist:innen.
Zudem sagten ehemalige israelische Militärs dem "Wall Street Journal", das Vorgehen ziele wahrscheinlich darauf ab, die Hisbollah zu zwingen, ihre grenzüberschreitenden Angriffe einzustellen. Yossi Kuperwasser, ehemaliger Leiter der Forschungsabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, sagte der Zeitung etwa:
Wegen der fast täglichen militärischen Konfrontationen zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär mussten Zehntausende Bewohner auf beiden Seiten der Landesgrenze ihre Wohnorte verlassen.
Am Donnerstagnachmittag reagierte die Miliz. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah warf Israel versuchten "Völkermord" und ein "Massaker" vor. "Innerhalb von zwei Tagen und binnen einer Minute pro Tag hat Israel darauf abgezielt, mehr als 5000 Menschen zu töten", sagte der Generalsekretär bei einer im Fernsehen übertragenen Rede.
Die Aktionen kämen laut ihm einer Kriegserklärung gleich. Israel habe alle roten Linien überschritten. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Hisbollah einen schweren Schlag erlitten habe. Dieser sei "in der Geschichte unseres Widerstands und vielleicht in der Geschichte des Konflikts mit dem Feind beispiellos", so Nasrallah.
Zuvor hatte die Hisbollah bereits Vergeltung für die "sündige Aggression" Israels geschworen.
Expert:innen schätzen den Angriff auf die Kommunikationsgeräte vieler Hisbollah-Mitglieder als herben Schlag für die Miliz ein, die auch ihren Kampfgeist schwächen dürfte. Einige ihrer wichtigsten Kommunikationsmittel sind nun gestört oder nicht mehr brauchbar.
Die Hisbollah befinde sich in einer vertrauten und zeitgleich herausfordernden Situation, schreibt die libanesische Nachrichtenseite "L'Orient Today". Die Miliz sei unter Druck, auf diesen großen Angriff zu reagieren, ähnlich wie es der Fall nach der Tötung des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukrs in Beirut war.
Eine gewaltsame militärische Vergeltung könnte Israel demnach den Vorwand liefern, einen umfassenden Krieg zu beginnen, den zumindest die Hisbollah eigentlich vermeiden will.
UN-Generalsekretär António Guterres ist allerdings einer anderen Auffassung: Er hält es für möglich, dass Israel jetzt selbst einen größeren Angriff startet und die Explosionen sozusagen dazu nur der Auftakt waren. "Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun", sagte Guterres in New York.
(dpa/afp/dr)