Das Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag seine erste bahnbrechende Entscheidung zum Klimaschutz getroffen. Es ist eine Entscheidung, die vermutlich krasse Auswirkungen haben wird. Und das ist eine gute Nachricht. Die Verfassungsrichter machen deutlich: Entschlossener Klimaschutz ist eine Aufgabe, an der keine Bundesregierung und keine Mehrheit im Bundestag mehr vorbeikommen wird.
Die Richter haben festgestellt, dass das Klimaschutzgesetz, auf das sich Union und SPD 2019 geeinigt hatten, teilweise gegen das Grundgesetz verstößt. Und zwar deshalb, weil es jungen Menschen eine zu große Last auf die Schultern packt.
Gegen das Gesetz hatten Umweltaktivisten mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt. Zu den Klägern gehörte Luisa Neubauer, die bekannteste Vertreterin der Klimaschutzbewegung Fridays for Future in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht gibt ihr und ihren Mitklägern in einem entscheidenden Punkt recht.
In der Begründung der Entscheidung steht nämlich, kurz gesagt: Wer heute auf effektiven Klimaschutz verzichtet, der verletzt die Freiheitsgrundrechte junger Menschen. Ihre Argumentation: Weil das aktuelle Klimaschutzgesetz nicht schon heute klarmacht, wie viel Treibhausgas nach 2030 eingespart werden muss, werden später junge Menschen eine viel zu schwere Last tragen müssen. Und das bedroht ihre Freiheit zu stark. So, wie das Klimaschutzgesetz bisher formuliert ist, schreiben die Richter, verlagere es die Pflicht zur Einsparung von Treibhausgasen einseitig in die Zukunft.
In anderen Worten: Die Bundesregierung und die Abgeordneten der großen Koalition haben sich mit dem Klimaschutzgesetz viel zu wenig darum gekümmert, dass Menschen auch noch in 20, 30 und mehr Jahren ein Leben in Freiheit haben können.
In der Entscheidung steckt außerdem eine deutliche Antwort an diejenigen Politiker, die heute von "Ökodiktatur" reden, wenn jemand strengeren Klimaschutz fordert – oder so tun, als wäre ein flächendeckendes Tempolimit ein Anschlag auf die Freiheitsrechte.
Die Verfassungsrichter sehen ein ganz anderes Problem: Die Freiheit schützt nach ihrem Verständnis nicht, wer heute erlaubt, dass Menschen weiter bedenkenlos und günstig ihre Autos mit Benzin volltanken und billiges Fleisch kaufen können. Sie schreiben stattdessen, dass schon viel früher drastisch weniger Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen werden müssen, damit morgen noch ein freies Leben möglich ist.
"Praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit" sei gefährdet, schreiben die Richter. Das sind selten klare Worte. Sie argumentieren: Wenn das aktuelle Klimaschutzgesetz in Kraft bliebe, dann wäre nach 2030 kaum noch Zeit, um die Emissionen so stark zu drosseln, dass Deutschland schnell genug klimaneutral werden kann.
Bis Ende 2022 muss nach der Entscheidung der Verfassungsrichter ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet werden, in dem geregelt wird, wie Treibhausgase auch nach 2030 reduziert werden.
Das ist schon heute eine der wichtigsten Hausaufgaben für die nächste Bundesregierung. Das gilt unabhängig davon, welche Parteien ihr nach der Bundestagswahl im Herbst angehören werden.
Denn die Verfassungsrichter stellen außerdem klar: Das Grundgesetz verpflichtet jeden, der dieses Land in Zukunft regieren wird, dazu, Deutschland in die Klimaneutralität zu führen.
In den Leitsätzen zur Entscheidung steht:
Artikel 20a steht seit 1994 im Grundgesetz, er verpflichtet den deutschen Staat zum Umweltschutz. Und zu dieser Verpflichtung, daran lassen die Richter keinen Zweifel, gehört auch, dass das Land klimaneutral wird, dass es nicht mehr CO2 und andere klimaschädliche Gase ausstößt, als gespeichert werden können.
Wichtig an dieser Entscheidung der Verfassungsrichter ist auch, was ganz am Schluss steht: "Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen." Das Grundgesetz verpflichtet zum Klimaschutz: Keine Verfassungsrichterin und kein Verfassungsrichter widerspricht dieser Einschätzung heute mehr.
Vielleicht wird dieser 29. April 2021 einmal als der Tag gelten, an dem Klimaschützer in Deutschland ihren mächtigsten Verbündeten gewonnen haben: das Grundgesetz.