Mit ihrem Rückzug setzt Annegret Kramp-Karrenbauer für die CDU viel aufs Spiel. Bild: ap
Meinung
Annegret Kramp-Karrenbauer zieht die Konsequenzen. Aus dem Dauerfeuer der Kritik, das ihr seit Wochen und, wenn wir ehrlich sind, schon seit Monaten entgegengebracht wird. Nun hat sie angekündigt, den Parteivorsitz abzugeben. Sie werde zum Sommer den Prozess der Kanzlerkandidatur organisieren, die Partei weiter auf die Zukunft vorbereiten und dann als CDU-Chefin zurücktreten, so der Plan.
Die richtige Entscheidung, könnte man denken. AKKs Beliebtheitswerte waren im Sinkflug. Zuletzt befanden laut Infratest Dimap nur 23 Prozent der Befragten, dass sie ihre Arbeit gut mache. Auch hat Kramp-Karrenbauer viele Fehler gemacht, angefangen bei dem Karnevalswitz über das dritte Geschlecht, der ihren Umfrage-Niedergang erst einleitete.
In der jüngsten Thüringen-Krise machte sie einen mehr als unglücklichen Eindruck, konnte sich nicht gegen den Landesvorsitzenden Mike Mohring durchsetzen, weder vor noch nach der Ministerpräsidentenwahl. Kramp-Karrenbauers Autorität war, gelinde gesagt, angekratzt. Es wäre nicht leicht und nicht schön geworden für AKK in den kommenden Wochen.
Alles richtig. Dennoch ist AKKs Rückzug die falsche Entscheidung – aus mehreren Gründen.
AKK bringt die CDU auf den SPD-Irrweg
Die Stärke der CDU beruht auf Verlässlichkeit. Während die SPD ihre Vorsitzenden in den vergangenen Jahren in ähnlicher Frequenz wie ihre roten Unterhosen wechselte – wir erinnern uns besonders an Martin Schulz und Andrea Nahles –, hat die CDU das nicht getan.
Das ist einer der Kerngründe, warum die Christdemokraten heute in Umfragen noch immer verhältnismäßig gut da stehen – im Vergleich zur einstigen Volkspartei SPD, die mittlerweile fast um die Zweistelligkeit kämpft.
AKK bringt die CDU mit ihrem Rücktritt nun auf den SPD-Irrweg. Bei Problemen einfach die Vorsitzende verschleißen – damit ist noch nichts gewonnen.
AKK gibt zu früh auf
Kramp-Karrenbauer hatte zwar fatale Umfragewerte. Sie hatte jedoch auch nicht die Geduld, abzuwarten, bis sich diese Werte durch kluges politisches Handeln wieder verbessern.
Umfragewerte sind selten konstant, verlaufen manchmal in Zyklen: Mal gibt es ein Hoch, mal ein Tief, danach folgt häufig wieder ein Hoch. Markus Söder war am Anfang als CSU-Chef unbeliebt, ein Jahr später ist er plötzlich einer der populärsten Ministerpräsidenten. Selbst Dauer-Umfrage-Liebling Angela Merkel war zwischendurch in der Beliebtheit abgerauscht (Stichwort Flüchtlingskrise), mittlerweile ist sie längst wieder obenauf.
AKK war Anfang 2019 in Umfragen sogar die beliebteste Politikerin in ganz Deutschland nach Merkel. Sie hat also das Potenzial, viele Menschen zu begeistern. Gut möglich, dass ihr Umfrage-Tief sich wieder umgekehrt hätte. Bis zum regulären Bundestagswahl-Termin hätte sie noch eineinhalb Jahre gehabt. Das ist viel Zeit in der Politik.
AKK hatte erst vor kurzem noch die volle Rückendeckung der CDU bekommen
Auf dem Leipziger Parteitag im November hatte AKK alles riskiert. Nachdem sie auch dort schon in der Kritik stand, stellte sie den Delegierten die Vertrauensfrage und bot ihren sofortigen Rückzug an: "Wenn ihr der Meinung seid, dass dieser Weg, den ich gemeinsam mit euch gehen möchte, nicht der Weg ist, den ihr für den richtigen haltet, dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns heute auch beenden. Hier und jetzt und heute."
Doch die Revolte blieb aus. Stattdessen erhielt AKK langen Applaus und volle Rückendeckung im Saal. Darauf hätte sie jederzeit verweisen können. Stattdessen warf sie keine drei Monate später nun das Handtuch.
AKK setzt für die CDU viel aufs Spiel
AKK ist jetzt eine "Lame Duck". Nicht nur, weil das Thüringen-Chaos noch immer nicht gelöst ist, ist dieses Machtvakuum riskant. AKK selbst hat im Präsidium darauf verwiesen, dass manche in der CDU ein ungeklärtes Verhältnis zur AfD und zur Linkspartei hätten. Inmitten dieser Ungeklärtheit den Rücktritt anzutreten, ist riskant.
Die AfD wittert dementsprechend schon ihre Chancen. Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland meldete sich gleich zu Wort, will eine Zusammenarbeit mit der CDU. "Ihre parteiinterne Politik der Ausgrenzung gegenüber unserer demokratischen Bürgerpartei hat sie nicht durchsetzen können", sagt sie über AKK.
Tatsächlich droht der CDU nun wohl eine erneute Richtungsauseinandersetzung. Die Folgen für die Große Koalition in Berlin sind dabei völlig unvorhersehbar.
Boris Pistorius (SPD) ist seit Januar 2023 Bundesverteidigungsminister unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er gilt als einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.