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FDP-Bundesparteitag: Der Streit um Freiheit, der bei den Liberalen schwelt

Deutschland, Berlin , 14.05.2021 FDP-Bundesparteitag Foto: FDP-Vorsitzender Christian Lindner, bei seiner Rede digitale Fotos der Uebertragung FDP-Bundesparteitag *** Germany, Berlin , 14 05 2021 FDP  ...
Was meint er genau? FDP-Chef Christian Lindner bei seiner Rede auf dem digitalen Bundesparteitag. Bild: www.imago-images.de / Sepp Spiegl
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Die FDP hat noch nicht geklärt, was sie mit "Freiheit" meint

Zum Start des Parteitags spielen Parteichef Lindner und sein Vize Kubicki ein bisschen guter Cop und böser Cop. Das Problem für die Liberalen ist: Das reicht nicht, um den größten Widerspruch in der Partei aufzulösen.
15.05.2021, 15:4002.09.2021, 14:13
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Fast eine Stunde hat Christian Lindner gesprochen, dann sagt er diesen Satz:

"Ich war niemals motivierter als jetzt, die FDP zurückzuführen in Gestaltungsverantwortung für unser Land."

Lindner spricht fast eineinviertel Stunden auf diesem letzten (und natürlich pandemiekompatiblen, digitalen) FDP-Parteitag vor der Bundestagswahl im September. Einen guten Teil der Zeit redet er freihändig, mehrmals geht er vom Rednerpult ein paar Schritte nach vorne und dann wieder zurück. Hinter ihm, auf der digitalen Wand im Messezentrum Station in Berlin-Kreuzberg, leuchtet der Wahlkampfslogan der FDP: "Nie gab es mehr zu tun." "Wir wollen nach der Wahl im Bund mitregieren", das will der FDP-Chef damit sagen.

Die Frage ist nur: Welche Art von Politik will die FDP in die nächste Bundesregierung bringen? Für welches Verständnis von Freiheit steht diese Partei im Jahr 2021?

Lindner interpretiert Freiheit freundlich, Kubicki als Abwehrkampf

Wie unterschiedlich man Freiheit interpretieren kann, das zeigen schon die Reden der beiden prominentesten FDP-Politiker zu Beginn des Parteitags. Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki spielen ein bisschen guter Cop, böser Cop.

Lindner, der gute Cop, spricht über die Gewalt im Nahen Osten und kritisiert die Coronapolitik der Bundesregierung. "Nicht im Sinne einer Anklage", meint er, "aber um daraus zu lernen". Und dann nimmt er, Lindner, die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Schutz, tatsächlich. "Bei mancher Herabwürdigung scheint, trotz des Jahres 2021, Alter und Geschlecht eine Rolle zu spielen." Klar, er greift die Grünen danach an, warnt vor Verboten, fragt, ob Baerbock sich auch von der Linkspartei zur Kanzlerin wählen lassen würde. Aber es bleibt doch eine recht freundliche Rede, auch gegenüber CDU-Chef Armin Laschet ("klug, wenn wir ihn mit den Grünen nicht alleine lassen") und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ("eine respektable Persönlichkeit mit Erfahrung").

Ganz anders macht es Kubicki, der in diesem Spiel der böse Cop ist. Er spricht zweimal, erst ganz zu Beginn des Parteitags, dann vor seiner Wiederwahl zum Parteivize mit starken 88 Prozent der Stimmen. In seiner ersten Rede spricht Kubicki von einem "Kampf", den die Liberalen geführt hätten. In beiden Reden meint er, dass Politiker der Regierungsparteien bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie die Freiheitsgrundrechte angriffen. Es ist eine kämpferische Rede, in der Kubicki die FDP als tapfere Verteidigerin der bedrohten Bürgerrechte darstellt. "Wenn die Verteidiger der Freiheit und des Rechtsstaats mit Populisten verglichen werden, dann sollte uns das nicht irritieren", meint Kubicki in seiner Eingangsrede. Und dann: "Wenn das Populismus ist, dann will ich Populist sein."

14.05.2021,Berlin,Deutschland,GER,Bundesparteitag der FDP.Wolfgang Kubicki *** 14 05 2021,Berlin,Germany,GER,Federal Party Congress of the FDP Wolfgang Kubicki
Freiheit als Abwehrkampf: Wolfgang Kubicki.Bild: www.imago-images.de / STEFAN ZEITZ

So unterschiedlich die Reden Lindners und Kubickis sind: Inhaltlich sind die beiden nicht wirklich weit auseinander. Der viel bedeutendere Konflikt innerhalb der FDP verläuft woanders.

Das wird deutlich, als kurz nach dem 69-jährigen Kubicki sein 30 Jahre jüngerer Parteikollege Johannes Vogel ans Rednerpult tritt. Vogel wird am Freitag zu einem von drei Vize-Parteichefs gewählt. Der Sozialpolitiker aus Nordrhein-Westfalen lobt in seiner Rede die beiden Gründer des Impfstoffherstellers Biontech, Özlem Türeci und Uğur Şahin, als Beispiele für Aufstieg in der deutschen Gesellschaft. Er kriegt es hin, die beiden Namen fehlerfrei auszusprechen, mit dem weichen "c" in Türeci und dem stummen "ğ" in Uğur. Das ist im deutschen Politikbetrieb des Jahres 2021 immer noch bemerkenswert.

Vogel spricht als erster Redner überhaupt an diesem Tag das Thema Alltagsrassismus an und fordert, dass die FDP das "Aufstiegsversprechen" erneuern solle.

Worum soll es gehen: "Aufstiegsscouts" oder Nein zur "Cancel Culture"?

Es gibt zwei Arten von Freiheitsverständnis in der FDP: Das von Wolfgang Kubicki und den Liberalen, denen er aus dem Herzen spricht, meint vor allem die Freiheit vom Staat. Die Freiheit, auch in einer Pandemie auf möglichst wenig verzichten zu müssen. Die Freiheit davon, nicht mit gendergerechter Sprache oder Fragen nach dem eigenen Fleischkonsum belästigt zu werden. Der Staat soll demnach vor allem eines tun: die Menschen in Ruhe lassen.

In der Freiheit, die Liberale wie Johannes Vogel meinen, spielt der Staat eine aktivere Rolle, er soll sich auch um Menschen kümmern. Er soll es Menschen ermöglichen, frei von rassistischer Diskriminerung zu leben und ihnen, unabhängig vom Elternhaus, Aufstiegschancen zu bieten. In der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale (Julis) finden sich relativ viele Vertreter dieses Freiheitsbegriffs. Der aktuelle Juli-Chef Jens Teutrine ist einer von ihnen, seine Vorgängerin Ria Schröder sowieso. Schröder hat kurz vor dem Parteitag in einem "Zeit"-Interview zu erkennen gegeben, dass sie einer Koalition der FDP mit den Grünen besonders viel abgewinnen könnte.

Auf dem FDP-Parteitag werden beide Freiheitsbegriffe sichtbar: Es gibt Änderungsanträge der Jungen Liberalen, die "Aufstiegsscouts" an Schulen und eine intensivere Betreuung psychisch Erkrankter fordern.

Und es gibt andererseits die Anträge von FDP-Vertretern aus ostdeutschen Bundesländern, die gerne ein Bekenntnis zur Ablehnung der sogenannten "Cancel Culture" im Wahlprogramm hätten. "Cancel Culture", das ist der Kampfbegriff, den Konservative, Rechte und andere besorgte Menschen gerne verwenden, wenn ihnen jemand vorwirft, etwas Rassistisches gesagt zu haben.

Momentan schwelt der Konflikt zwischen diesen Freiheitsbegriffen unter der Oberfläche, FDP-Politiker sprechen darüber nur vertraulich. Die Umfragewerte sind ja momentan auch traumhaft gut für die Partei, sie liegt stabil im zweistelligen Bereich.

Das Problem für die FDP ist: Ab einem gewissen Punkt geraten diese beiden Verständnisse von Freiheit in Konflikt zueinander. Vielleicht schon, wenn es um das Wahlprogramm geht, spätestens aber, wenn ein Koalitionsvertrag auf dem Tisch liegt.

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