Kennt ihr einen Blondinen-Witz? Oder sogar mehrere? Ich bin ganz ehrlich: ich auch.
Obwohl mein eigenes Haar von Geburt an die entsprechende Farbe trägt und meine Eltern mir trotzdem – man mag es kaum glauben – das Gefühl gaben, etwas erreichen zu dürfen in dieser Welt, sind sie bis heute präsent.
Jene wenig durchdachten und schon gar nicht witzigen Anekdoten über "die Blondinen", die eigentlich nur dazu dienen, das Geschlecht Frau, vor allem aber norm-schöne Frauen kleinzuhalten und ihnen jegliches Existenzrecht abzusprechen. Kein räumliches Verständnis, große Brüste, dumm wie Brot eben – hihi, haha.
Die aktuelle Debatte um die Vorsitzende der Grünen Jugend, Jette Nietzard, gleicht einem Blondinen-Witz. Blonde Frauen, das sind in den Augen vieler Männer noch immer dumme Wesen, die dominiert werden wollen oder aufgrund ihrer geistigen Zurückgebliebenheit müssen. In Pornos beispielsweise und damit natürlich auch beim "anständigen" Hetero-Sex, in ihren Entscheidungen sowieso und wahlweise auch in den feuchten Träumen von AfD-Politikern.
Jette Nietzard stand direkt zum Jahresbeginn wegen eines Tweets zu Silvester in der Kritik, in dem sie über männliche Hybris und zugehöriges Karma in Bezug auf Verletzungen mit Silvesterböllern geschrieben hatte. An die Kritik anknüpfend entschuldigte sie sich wenig später, zeigte sich reumütig gegenüber ihrer vielfach als drastisch bezeichneten Formulierung.
Vielleicht war dieser Tweet etwas unüberlegt, in keinem Fall aber war dieser oder auch die anschließende Reaktion Nietzards dumm. Denn anstatt große mediale Berichterstattung oder offene Briefe abzuwarten, nahm sie interne Kritik direkt ernst und setzte sie um. Listen, liebe politische Konkurrenz, hier könnt ihr was lernen.
Aber anstatt eine Entschuldigung einfach zur Kenntnis zu nehmen, wird seit Tagen auf Nietzard und einem Zweizeiler herumgeritten, der besagte, dass Männer häufig Frauen schlagen, dass sie dafür ihre Hände brauchen und dass das nach einer Böller-Verletzung nur noch eingeschränkt möglich wäre.
Seit Tagen stellt sich mir die Frage: Warum? Die Antwort: Weil Hass auf Frauen und vor allem auf erfolgreiche Frauen in unserer Gesellschaft eben absoluter Standard ist und eher zu- als abnimmt. Allein die Delikte im Bereich der Digitalen Gewalt nahmen im vergangenen Jahr laut Bundesinnenministerium um 25 Prozent zu.
"32 Mails, 170 DMs, 900 Kommentare unter meinem neusten Instagram Post. Alle gefüllt mit Hass", bilanzierte Nietzard schon am 2. Januar zu ihrer persönlichen Lage. Darunter offenbart sie übelste Androhungen. Dass Böller ihre Tampons ersetzen sollten, ist nur eine davon.
All das wäre für mich persönlich Grund genug, diesen eigentlich so wichtigen Job, den Jette Nietzard da macht, an den Nagel zu hängen. Sie wäre bei weitem nicht die erste Frau, die man auf diese Weise herausekelt. Erst seit wenigen Wochen ist Nietzard Bundesvorsitzende der Grünen Jugend und der Großteil der Berichterstattung um ihre Person dreht sich nicht um die seitdem von ihr vertretene Politik, sondern um einen Tweet in der Silvesternacht.
Oder um ihren Körper. Viral geht vor allem in rechten Kreisen nämlich gerade ein Instagram-Foto von Nietzard im Bikini. Da kann man als AfD-ler schonmal Schnappatmung bekommen, wenn sich eine 26-jährige (blonde!) Frau dazu erdreistet, in die Politik zu gehen, dann auch noch gut auszusehen und beides öffentlich zu machen.
So geschehen bei Fabian Küble. Sein genaues Alter ist nicht bekannt, dafür hat das Mitglied der AfD-Jugendorganisation glücklicherweise seinen Beziehungsstatus auf Facebook notiert: Single. Kaum verwunderlich, eine potenzielle Partnerin hätte ihn sonst wahrscheinlich davon abgehalten, sein Frauenbild in Form von Hass-Tweets gegen Jette Nietzard in die Welt zu blasen.
Die entsprechenden Sätze müssen hier nicht wiederholt, der Kontext nicht erläutert werden. Nur ein kleiner Einblick in die Sinnlosigkeit der von ihm geführten Debatte: "Wo werden wir Jette als Nächstes sehen?", fragt der strammrechte Politiker in einer Umfrage auf X. Antwortmöglichkeiten: PornHub, OnlyFans oder, Zitat, "JungleCamp".
Zumindest kannte er bei den Pornoseiten die korrekte Schreibweise – da bin ich froh. So ist es immerhin um seine Masturbation besser bestellt als um seinen Verstand.
Und das alles hat er am Ende dann doch wieder den Blondinen zu verdanken. Viele von denen, darunter Jette Nietzard, hätten für ihr Durchhaltevermögen übrigens einen Preis verdient, keinen Witz.