Es ist schon erstaunlich. Kaum hatte Juso-Chef Kevin Kühnert angekündigt, als Vize-Vorsitzender der SPD auf dem anstehenden Parteitag zu kandidieren, wurde der Ton grundsätzlicher.
So kurz vor der Macht sei er umgefallen, eingeknickt, plötzlich vom Groko-Gegner zum Befürworter geworden, so der Tenor. Von "Kehrtwende", von "Merkel-Imitator" war zu lesen. Auslöser war ein Interview der Rheinischen Post, aus dem Kühnert-Kritiker herauslesen wollten, dass dieser jetzt kein GroKo-Kritiker mehr sei.
Dabei hat er eigentlich nur gesagt hat, was er immer sagt: "Mein Votum zu dieser Koalition hat sich seit dem Eintritt vor eineinhalb Jahren nicht geändert, weil ich es immer prinzipiell begründet habe. Aber das Groko-Mitgliedervotum von damals gilt." Kurz: Kühnert bleibt kein Freund der Großen Koalition, hält sich aber an den Pro-GroKo-Mehrheitsbeschluss der Basis. Was soll er auch anderes sagen.
Und es ist ja irgendwie verständlich, dass jetzt, da mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zwei SPD-Hinterbänkler die SPD-Spitze mit Unterstützung der Jusos um Kevin Kühnert erobern, die politischen Beobachter etwas genauer hinschauen wollen. Weniger verständlich aber ist der Unterton, der sich dann in solchen Beobachtungen nicht selten Bahn bricht.
Zum Beispiel fiel dem Direktor des Thinktanks "Global Public Policy Institute" eine Passage in einem "Bild"-Artikel mit dem Titel "Bild erklärt Juso-Chef Kevin Kühnert (30) – Der Möchtegern-Kanzler" ganz besonders ins Auge:
Die "Bild" schreibt etwa: "Kein Beruf, kein Examen – er versteckt sich als Mitarbeiter bei Berliner-Regional-Abgeordneten. Wenig Geld, viel Zeit für Politik. Wo andere malochten oder Familien planten, hatte er Zeit fürs Strippenziehen."
Und man fragt sich nach der Lektüre, was genau eigentlich der Vorwurf ist? Dass Kühnert von und für die Politik lebt? Und dafür dann zu wenig Geld bekommt? Oder dass er sich mutmaßlich nicht einer traditionellen Familienplanung verschrieben hat?
Es ist dieser Grundton, diese Grundstimmung, die dem Juso-Vorsitzenden auch in den Sozialen Medien entgegengebracht wird. Dort ist Kühnert längst auch Feindbild: Ein Studienabbrecher, der nie gearbeitet hat, in seiner Berliner Blase lebt und vom echten Leben im Grunde keine Ahnung hat.
Dabei erinnert der Umgang mit Kühnert gerade auf Facebook und Co. oftmals an den Umgang mit Greta Thunberg. Dass sich gerade dort junge, politisch engagierte Menschen schnell Anfeindungen gegenüberstehen, scheint irgendwie Programm. Vielleicht, weil sie zu viel oder zu schnell Veränderungen wollen. Vielleicht auch, weil die Schimpfenden um ihre Privilegien fürchten.
Vielleicht, weil Kühnert dafür steht, den Klimaschutz künftig per Gesetz regeln zu wollen und mehr Tempo bei der Erfüllung der Pariser Klimaziele fordert. Oder weil er laut darüber nachgedacht hat, den Besitz von Immobilien in Deutschland zu beschränken. Erinnert sei auch an Kühnerts Kollektivierungsthesen. Der "Zeit" hatte er gesagt, dass er für eine Kollektivierung großer Unternehmen "auf demokratischem Wege" eintrete. Ohne sie sei "eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar". Die SPD hatte sich davon später distanziert.
Ob und wie Kühnert seine Klimapolitik- und Kapitalismuskritik auch als Vize-Vorstand in die Partei einzubringen gedenkt, wird tatsächlich entscheidend. Es gibt also jenseits der Frage, ob der Juso-Chef in seinem Leben überhaupt schon einmal richtig gearbeitet hat, genügend inhaltliche Ansätze für eine kritische Auseinandersetzung.
(ts)