Geleaktes Papier zeigt: Die Autoindustrie diktiert der CDU ihre Argumente
Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich Großes vorgenommen. In Brüssel will er dem Verbrennerverbot das Stöckchen in die Räder halten – und dieses Stöckchen hat der VDA geschnitzt. Das zeigt ein geleaktes Positionspapier – ein Glanzstück politisch-lobbyistischer Gruppenarbeit.
Es handelt sich um ein Schriftstück, das noch im Überarbeitungsprozess steckte, die Datei "Entwurf_Textbausteine_AG03", welche dem "Spiegel" vorlag. Und in diesem finden sich neben Überarbeitungswünschen von Tilman Kuban (oder seinem Büro) auch welche vom Verband der Automobilindustrie (VDA).
Dieser gab fleißig Formulierungshilfen, gut sichtbar dank lila Markierungen. Manche lesen sich wie Lobeshymnen: "Weltweit investieren die Hersteller und Zulieferer insgesamt 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung sowie weitere 220 Mrd. Euro in den Auf- und Umbau von Werken". Andere sind klare Forderungen: "Zusätzliche Mittel aus Sondervermögen Infrastruktur zur Modernisierung der Autobahnen und Bundesstraßen nutzen."
Politik und Kapital: ziemlich beste Freunde
Schockierend ist das Papier nicht – selten aber wird Lobbyeinfluss so sichtbar. Von außen betrachtet wirkt es wie Coaching, ein motivierender Klaps auf den Po, bevor sich Merz bei seinem Auswärtsspiel in Brüssel so richtig verausgabt.
Kapitalinteressen bestimmen seit jeher die Politik – auch in Demokratien. Diese werden aber meist hinter verschlossenen Türen eingebracht, etwa in Form von Beratungen, auf Tagungen oder auch durch vergebene Posten an Wirtschaftsakteur:innen.
Das Muster ist altbekannt, doch etwas hat sich verändert. Früher reagierte man immerhin noch mit gespielter Empörung, wenn Lobbyverbindungen aufflogen – man denke an Joe Laschets Maskenaffäre während der Corona-Pandemie. Heute winkt die CDU ab.
Auf Anfrage des "Spiegel" wollen sich die Christdemokraten nicht zu dem Papier direkt äußern. Man sei sich keines Problems bewusst. Der VDA spricht hingegen von einem normalen, demokratischen Vorgang. Es ginge schlicht darum, Expertise einzubringen.
Die Datei "Positionspapier_final" ist offensichtlich nicht einsehbar, vielleicht existiert sie in der Form noch nicht. Merz' Vorhaben, in Brüssel hart gegen das Verbrennergesetz vorzugehen, zeigt aber eine sprachliche Überschneidung.
Es spricht zudem Bände, dass andere Expert:innen offensichtlich nicht stattfanden, etwa solche, die vom Verbrenner aus ökologischer (Umwelt) wie ökonomischer (Innovation) abraten.
Schreibwerkstatt mit dem VDA: So geht Regierung
Und da könnte die CDU durchaus selbstkritischer sein. Das geleakte Papier wäre dafür ein guter Anlass. Schreibwerkstatt mit dem VDA ist doch ohnehin mehr als peinlich für diejenigen, die sich als befähigt genug sehen (und verkaufen), einen Nationalstaat zu führen.
"Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter", wirkt da nicht wirklich staatsmännisch. Vielmehr trotzig. Doch das gab es auch schon bei Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche, die laut "TableMedia" ihren Zehn-Punkte-Plan für die Energiepolitik fleißig von Eon und RWE abgeschrieben hat. Ihr Ministerium reagierte darauf verhalten und wich Fragen aus.
Vielleicht ist das Ganze ja wirklich nur ein "normaler demokratischer Vorgang", wie der VDA sagt. Es mag üblich sein, bleibt aber dennoch ein Übel: Wenn es ernst wird, diktiert die Industrie – und die Politik tippt brav ab. So geht Regierung!