Die Brent-Spence-Brücke verbindet die beiden Bundesstaaten Kentucky und Ohio. Sie ist ein bedeutender Bestandteil der amerikanischen Infrastruktur, und sie ist auch seit Jahrzehnten ein Sorgenkind. Nicht nur kann sie die Masse von Personen- und Lastwagen, die sie täglich überqueren, nicht mehr bewältigen, sie ist auch so baufällig, dass sie eine echte Gefahr für Leib und Leben darstellt.
Das Problem ist seit Jahren bekannt. Schon Präsident Barack Obama wollte die Brücke sanieren, ebenso Donald Trump. Beide sind gescheitert. Nicht so Joe Biden: Er hat vor ein paar Tagen der Zeremonie zum Baubeginn einer neuen Brücke beigewohnt. Dabei wurde er begleitet von Mitch McConnell, dem republikanischen Minderheitsführer im Senat und Mike DeWine, dem republikanischen Gouverneur von Ohio.
Die Zeremonie an der Brücke zeigte Biden in Hochform. Trotz des bitteren Streits zwischen den beiden amerikanischen Parteien ist es ihm gelungen, ein überfälliges und notwendiges Projekt endlich zu realisieren. Die Brücke steht dabei symbolisch für eine ganze Reihe überparteilicher Erfolge Bidens: Er hat die Covid-Hilfe durch den Kongress gepeitscht, ebenso einen Mini-Green-New-Deal und ein Gesetz, das die amerikanische Chip-Herstellung massiv unterstützt. Er hat gar, was bisher unmöglich schien, ein schärferes Waffengesetz erzwungen.
Auch außenpolitisch hat Biden gepunktet. Der Truppenabzug aus Afghanistan war zwar chaotisch, aber längst überfällig. All diejenigen, die darin ein Zeichen der Schwäche der USA sahen, wurden bitter enttäuscht, allen voran Wladimir Putin. Biden ist es gelungen, eine geeinte Front des Westens gegen den brutalen russischen Überfall auf die Ukraine zu orchestrieren. Er hat die von Donald Trump mit Füßen getretene Nato wieder vereint und durch zwei neue Mitglieder, Schweden und Finnland, ergänzt. In Asien ist es ihm gelungen, Japan und Südkorea zu Verteidigungspartnern gegen China zu einen und das Verhältnis zu Indien zu verbessern.
Nach den für die Demokraten erfolgreichen Zwischenwahlen kann Biden nun die Früchte ernten. Er wird weitere bedeutende Infrastrukturprojekte einweihen. Der amerikanische Mittelstand wird sich freuen, dass dank Biden endlich die überhöhten Medikamentenpreise, vor allem für das Insulin, sinken; und mit ein bisschen Glück wird sogar die Wirtschaft weich landen.
Die Republikaner hingegen befinden sich in der schlimmsten Krise seit langem. Die Wahl zum Speaker des Abgeordnetenhauses hat nicht nur gezeigt, dass bei der Grand Old Party (GOP) die Insassen des Irrenhauses die Macht übernommen haben. Sie hat auch überdeutlich gemacht, dass die Partei führerlos ist. Selbst Donald Trump ist es nicht gelungen, die Rebellen zur Räson zu bringen, ja, seine Hardcore-Fans behandeln ihn zunehmend wie einen alt gewordenen Patriarchen, der leicht gaga ist, den sie zwar nach wie vor lieben, ihn aber nicht mehr ernst nehmen.
Trumps Einfluss schmilzt wie ein Schneeball in der Hölle, und die Tatsache, dass er unzählige Strafverfahren gegen sich hat und wohl auch angeklagt werden wird, stärken seine Macht nicht wirklich. Eine Alternative zu Trump ist jedoch weit und breit nicht in Sicht.
Schon vor beinahe hundert Jahren hat der Komiker Will Rogers den legendären Spruch geprägt: "Ich bin kein Mitglied einer organisierten politischen Partei. Ich bin Demokrat." Lange Zeit hat dieser Spruch den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Demokraten waren für innerparteilichen Streit und Chaos berüchtigt. Doch derzeit trifft das Gegenteil zu: So standen sie geschlossen hinter ihrem neuen Anführer Hakeem Jeffries, dem Nachfolger von Nancy Pelosi.
Ein beeindruckender Leistungsausweis, eine zerstrittene Opposition: Was bitte sollte Joe Biden davon abhalten, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren? Der gesunde Menschenverstand. Der US-Präsident ist bekanntlich nicht mehr der Jüngste. Dazu kommt, dass die zweite Amtszeit eines Präsidenten in der Regel mühsamer ist als die erste. Der Reiz des Neuen ist vorbei. Große Würfe sind nicht mehr möglich, denn die Opposition beherrscht eine oder gar beide Kammern des Kongresses.
Dazu kommt, dass sich niemand eine Wiederholung des Duells Biden gegen Trump wünscht. "Es wäre ein Kampf, der die gesamte Nation in eine Depression stürzen würde", stellt Peggy Noonan im "Wall Street Journal" fest. "Es gibt einen riesigen Hunger, dieses Kapitel endlich abzuschließen."
Selbst wenn es Trump – was immer unwahrscheinlicher wird – gelingen sollte, Präsidentschaftskandidat der GOP zu werden, würde sich Biden mit einer Kandidatur für eine zweite Amtszeit keinen Gefallen tun. Die Demokraten haben genug Kandidaten, die jedem republikanischen Herausforderer die Stirn bieten können, der bereits erwähnte Jeffries beispielsweise, oder die nach wie vor einflussreiche Senatorin Amy Klobuchar oder Ro Khanna, ein brillanter Abgeordneter aus dem Silicon Valley, oder Gretchen Whitmer, die Gouverneurin aus Michigan, oder ...
Ein ebenfalls legendärer Spruch in Washington lautet: Wenn es zur Sache geht, dann "verlieben sich die Demokraten und die Republikaner schließen die Reihen". (Der Spruch funktioniert leider nur auf Englisch: "Democrats fall in love, and republicans fall in line.") Auch das stimmt heute nicht mehr. Die Demokraten haben endlich den Wert einer pragmatischen Politik erkannt und geschnallt, dass sie die Republikaner besiegen können, wenn sie geschlossen auftreten.
Joe Biden sollte diese Einsicht nutzen und auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere Platz für eine:n Jüngere:n machen – und sich darin sonnen, als großer US-Präsident in die Geschichte einzugehen.