Er macht eine Pause, bevor er von den Bomben erzählt.
Eigentlich ist Patrick ein Mensch, der fast ohne Punkt und Komma reden kann. Das tut er auch – am Telefon. Doch als er von den beiden Bomben erzählt, die auf die ukrainische Hauptstadt Kyjiw geschossen wurden, stockt seine Stimme.
Und Patrick, der viel und schnell redet, gern witzelt und mit ironischen Sprüchen die Stimmung lockert, spricht von jetzt auf gleich langsam, bildlich, fast malerisch.
"Wir standen ungefähr 80 Kilometer außerhalb von Kyjiw und mussten auf eine finale Bestätigung warten, bevor wir eine evakuierte Dame aus Konotop in die Stadt bringen konnten", erzählt der 28-Jährige. "Dann wurden zwei Bomben auf Kyjiw abgeworfen und wir haben das aus dieser Entfernung gesehen. Nicht, dass wir die Explosion wie einen Feuerball gesehen hätten, aber eben diesen roten Schein, der geleuchtet hat, als würde dort gerade die Sonne aufgehen."
Patrick Münz ist für die Organisationen STELP und "Leave no one behind" in der Ukraine unterwegs. Er verteilt Hilfsgüter und evakuiert Menschen aus umkämpften Gebieten. Seit fast drei Wochen ist er bereits wieder vor Ort. Es ist schon seine zweite Reise dorthin, seit Russland am 24. Februar den Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat.
Etwa 4.500 Kilometer legen Patrick, sein Team und andere Helferinnen und Helfer in dieser Zeit zurück. Dabei fahren sie quasi durch die gesamte Ukraine. Sie starten in Lwiw im Westen, über Kyjiw nach Tschernihiw im Nordosten. Dann wieder Kyjiw. Von dort geht es Richtung Osten: Dnipro – Kramatorsk – Slowjansk – Dnipro – Kramatorsk – Slowjansk – Lyssytschansk – Sjewjerodonezk – Slowjansk – Dnipro – Kramatorsk – und wieder Dnipro.
Von Dnipro aus geht es weiter nach Konotop im Nordosten: Dort evakuieren sie eine alte Frau, die wegen ihrer Diabetes-Erkrankung in Lebensgefahr steckt, sie hat kaum noch genügend Insulin übrig. Sie bringen sie über Kyjiw nach Lwiw. Von dort geht die Flucht der Frau weiter nach Deutschland.
Patrick und sein Team arbeiten nach Auftrag. Menschen, die evakuiert werden möchten, oder deren Familien, die sie aus den umkämpften Gebieten rausholen wollen, melden sich bei der E-Mailadresse rescue@stelp.eu – hier sammelt die Organisation Hilferufe und organisiert die Rettungsaktionen.
Rettungsaktionen, die auch den Helferinnen und Helfern das Leben kosten können:
Patrick ist gerade auf dem Rückweg von Tschernihiw nach Kyjiw, als er von dem Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk erfährt.
Er erzählt:
Der Bahnhof in Kramatorsk wird am Morgen des 8. April von mindestens einer Rakete getroffen. Nach ukrainischen Angaben gibt es mindestens 50 Tote. Moskau und Kyjiw schieben sich bis heute gegenseitig die Schuld für den Angriff zu. Russland behauptet, der Angriff sei von ukrainischer Seite aus inszeniert. Dafür gibt es allerdings kaum Anhaltspunkte, wie ein Faktencheck der Nachrichtenagentur dpa zeigt.
Für Patrick ist schnell klar, dass er nach diesem Angriff in Kramatorsk Menschen evakuieren muss. Ein Kollege vor Ort habe ihm zudem den Hinweis gegeben, dass dort dringend Hilfe benötigt werde.
Er organisiert noch während der Fahrt nach Kyjiw einen Konvoi mit insgesamt 36 Fahrzeugen, die sich am nächsten Tag auf den Weg Richtung Osten machen.
Sie wissen um die Gefahr: Ein so großer Konvoi fällt auf. Ein dankbares Ziel für mögliche Angriffe. Also trennen sich die vielen Fahrzeuge ab der Stadt Dnipro, die etwa 250 Kilometer von Kramatorsk entfernt liegt. Fahren unterschiedliche Routen.
Circa 320 Menschen, sagt Patrick, werden an diesem Tag evakuiert. Ohne Verluste, ohne Angriffe.
Doch das soll noch nicht alles gewesen sein.
Zufall oder ein gezielter Angriff auf zivile Rettungsaktionen?
Patrick kann es nicht sagen. "Es könnte sein, dass russische Aufklärungstrupps unseren Konvoi ausfindig gemacht haben und gezielt geschossen haben", meint er. Er sagt es ganz trocken, ohne viel Emotion.
In Sjewjerodonezk geraten sie unter massiven Artilleriebeschuss. "Der Kollege von uns, der dort schon eine Weile gearbeitet hat, sagte uns, dass der Beschuss an diesem Tag so heftig war wie noch nie." Für ihn ein Zeichen dafür, dass man sich von russischer Seite auf einen Vorstoß vorbereitet.
Trotzdem fahren Patrick und sein Team weiter in die Stadt hinein. Er weiß, worauf er sich einlässt, sagt er. Man könne unterscheiden, ob der Beschuss Kilometer weit entfernt sei oder eben ganz nah. Ihm sei klar, dass das Team permanent Artilleriebeschuss hören muss. "Nur wenn man dann hört, dass es nur wenige hundert Meter entfernt ist und man dann schon in einen Keller rennen muss, wenn man nicht weiß, landet das das jetzt vor den eigenen Füßen oder hat man da noch ein bisschen Luft: Dann bekommt man es schon mal ganz kurz mit der Angst zu tun."
Sie schaffen es in die Stadt Sjewjerodonezk, ihre großen Fahrzeuge lassen sie allerdings stehen: nicht wendig genug. Die jüngsten "Gäste", wie sie Patrick nennt, sind zwei, drei Jahre alt und die älteste Dame 92.
In diesen drei Wochen evakuieren Patrick und sein Team eigenen Angaben zufolge 395 Menschen und verhelfen ihnen zur Flucht. Insgesamt, seit Kriegsbeginn, sind es 421.