Wenn man Moritz Körner zuhört, könnte man meinen, er spricht über seinen Partner, Neffen oder etwa sein Hobby. Stattdessen handelt es sich um eine Liebeserklärung an Europa. Denn der FDP-Politiker spricht über seine Arbeit. Er sitzt seit 2019 im Europäischen Parlament.
Doch es ist nicht gesetzt, dass er weitermachen darf. Körner steht – wie bereits 2019 – auf Platz vier der Europaliste seiner Partei. Die Wahlprognosen sehen für die Freien Demokraten in Deutschland nicht besonders rosig aus. Zwischen 3 und 4 Prozent liegen sie dort derzeit. 2019 hat sich die FDP in Deutschland mit 5,4 Prozent fünf Sitze im Parlament gesichert.
Jetzt könnte es knapp werden für Moritz Körner, das ist ihm auch bewusst. Darüber nachdenken will er aber lieber nicht.
Stattdessen verteilt der 33-jährige Wahl-Düsseldorfer am Vatertag im Berliner Mauerpark mit der FDP-nahen Nachwuchsorganisation Junge Liberale (JuLis) Pankow und einigen anderen Parteikolleg:innen Flyer zur Europawahl. Was viele nicht wissen: Der 9. Mai ist auch Europatag.
"Sorry, ich darf hier nicht wählen", antwortet ihm eine junge Frau, der er zuvor einen der Flyer entgegengestreckt hatte. Eine Männergruppe, die sich augenscheinlich anlässlich des Feiertags mit einigen Kisten Bier und diversen Trinkspielen eingedeckt auf der Wiese niedergelassen hatte, ruft dem liberalen Trupp entgegen: "Wer seid ihr?" "Freie Demokraten", antwortet Körner laut. "Sag' ich euch doch!", sagt einer der jungen Männer. Und: "Nee, dann nicht" in Richtung der FDP-Politiker:innen.
"Vor ein paar Jahren war es mal besser", murmelt Körner etwas resigniert. Der Trupp um ihn setzt sich samt eines pink-gelben Bollerwagens, auf dem eine Europaflagge einen Kasten alkoholfreies Bier vor der Sonne schützen soll, wieder in Bewegung. Immerhin: Ein paar Wahlflyer werden sie an dem Tag noch los.
"Die Leute reden eher mit uns, wenn es gut läuft", lautet Körners selbstkritische Analyse. Alle paar Jahre gebe es die "Todeszeiten" der FDP, dann sei sie wieder da – ein Auf und Ab der Zustimmungswerte. Jetzt gilt umso mehr: Es ist Wahlkampf angesagt – trotz Umfragen auf Tiefstand-Niveau.
Körner will alles geben. Würde er ohnehin, sagt er, aber sein Traum, eine weitere Legislaturperiode im Parlament zu arbeiten, droht in diesem Jahr zu platzen. Daher schwingt auch immer eine gewisse Wehmut in seinen Worten mit. Und ein besonderer Tatendrang.
Ende April war die letzte Sitzung im Europäischen Parlament für den 33-Jährigen. "Ein bisschen melancholisch werde ich da schon, wenn ich daran zurückdenke", sagt er. "Man macht sich schon Gedanken." Ein neues Herzensprojekt, das er angehen will – sollte das Wahlergebnis der FDP für ihn nicht reichen – hat Körner nicht im Kopf. Es gibt nur Plan A. Er vergleicht es mit Verliebtsein. "Wenn du schon verliebt bist, ist es schwer, sich gleichzeitig in jemand anderen zu verlieben."
Während er über seine Arbeit im Parlament spricht, angelt er sich ein alkoholfreies Bier aus dem Kasten im Bollerwagen. Schnell noch ein Foto für Instagram. "Hier braut sich was zusammen" steht auf einem schwarz-weißen Ausdruck, den die JuLis für ihre Wahlkampfaktion auf die Flaschen geklebt haben.
Körner fühlt sich wohl in Brüssel und Straßburg. Dort ist er immer für mehrere Tage am Stück in den Sitzungswochen, die restliche Zeit verbringt er mit seinem Partner in Düsseldorf. "Man kann so viel bewirken im Parlament", sagt er.
Der Europaabgeordnete vergleicht die Arbeit im EU-Parlament gegenüber der Bundespolitik gerne mit einer anderen Sportart, die betrieben wird. Soll heißen: Sie ist eigentlich nicht vergleichbar.
Als einen wesentlichen Unterschied, den Körner so schätzt, nennt er die fraktionsübergreifende Arbeit. Die Macht liegt im Parlament bei den einzelnen Fraktionsmitgliedern, nicht etwa bei den Vorsitzenden. Denn für Themen und Projekte, die den Abgeordneten wichtig sind, können sie sich im Parlament ihre Mehrheiten selbst zusammensuchen. Ein großer Unterschied zur Bundespolitik.
Eines dieser Themen, das Körner besonders wichtig ist, ist die Chatkontrolle. Genauer gesagt: ihre Verhinderung.
Zum Hintergrund: Im Mai 2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen vorgelegt – die Chatkontrolle. Also das anlasslose Auslesen von privaten Inhalten, um Hinweisen auf sexualisierte Gewalt gegen Schutzbefohlene nachgehen zu können.
Die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich lange Zeit nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Vor wenigen Wochen hat das Parlament dann abgestimmt und den Vorschlag der Kommission abgeschwächt. "Ein Erfolg", wie Körner sagt. Denn das entspricht auch den Positionen der FDP, die als Freiheitspartei dagegen ist. Nun steht weiterhin die Position des Rats aus, bevor es in die sogenannten Trilog-Verhandlungen gehen kann.
Körners Tage in Brüssel oder Straßburg sind immer vollgepackt. Von Montag bis Donnerstag heißt es dann: durchziehen. Es passiert ständig etwas. Im Parlament sind die Fristen sehr viel kürzer als im Bundestag, erklärt der FDP-Politiker. Teilweise haben die Abgeordneten nur zwei Tage oder weniger für Änderungsanträge. Danach sei Körner oft platt. "Mein Freund sagt dann immer: Jetzt erst mal durchatmen."
Sein Partner und sein Neffe bringen den 33-Jährigen runter. Privat ist Moritz Körner wenig hektisch. Seine Stimme: beruhigend. Bei all dem Enthusiasmus für seine Arbeit, merkt man ihm eine Grund-Entspanntheit, eine Abgeklärtheit, an. Körner bewertet die Dinge mit etwas Abstand und einer guten Portion Realismus.
Im hellen Hemd und Jeans trifft man ihn auf Terminen, im Parlament im Anzug. Schwer vorzustellen, dass Körner in seiner Freizeit gerne in Karaoke-Bars zu Backstreet Boys performt und mit Leidenschaft als Bass im Chor singt, wie er erzählt. Doch die Zeit ist auch nach Feierabend knapp. "Ein Freizeit-Problem hat man als Generalsekretär der FDP NRW und als Europaabgeordneter wirklich nicht", sagt Körner.
Zwischendrin schaut er auf sein Handy, stellt etwas enttäuscht fest: "Damian hat mir gar nicht geantwortet." Körner meint seinen Abgeordneten-Kollegen Damian Boeselager, der als einziger Kandidat für Volt im Parlament sitzt. Sie treffen sich auch privat. Gerne hätte Körner ihn bei seinem Wahlkampfbesuch in Berlin gesehen. Deshalb trifft er auch eine eher unübliche Aussage: "Einen Abgeordneten darf Volt ruhig ins Parlament bekommen."
Bei seinem nächsten Termin an diesem Tag, einem Kiezspaziergang der Europa-Union mit Fokus auf europäische Geschichte durch den Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, kommt Körner noch mal auf die Backstreet Boys zurück. Er höre sie vermutlich so gerne aufgrund ihrer besonders kraftvollen Musik. Denn der FDP-Politiker zeigt sich beeindruckt von den Erzählungen eines Berliner Pfarrers aus der DDR-Zeit.
Die Zeit nach dem Mauerfall sei ebenso kraftvoll gewesen, meint Körner. Damals habe man gedacht, alles werde demokratisch und frei – selbst China. Ein Trugschluss. "Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, mich in dieser Zeit politisch zu engagieren", murmelt Körner nach den Ausführungen des Pfarrers. "Deshalb ist es umso wichtiger, die Demokratie heute mit allen Mitteln zu verteidigen."