Der Krieg in der Ukraine belastet auch die innerpolitische Lage in Russland schwer. Der Machthaber Wladimir Putin geht seit Beginn der russischen Invasion zunehmend gegen Andersdenkende im Land vor.
Wer sich gegen das Regime stellt, lebt gefährlich: Verhöre, Festnahmen oder mysteriöse Tode können in Russland die Folge von öffentlicher Meinungsäußerung sein.
Nun bringt Russland neue Maßnahmen gegen eine Gruppe auf den Weg, die so formell nicht existiert. Expert:innen werten dies als eine Maßnahme, die die Nervosität des Kreml zeigt. Putin sorge sich vor Unruhen und Aufständen im Land.
Russland versucht, die "antirussische Separatistenbewegung" zu verbieten, wie das russische Exilmedium "Nowaya Gazeta" berichtet. In einem Antrag an den Obersten Gerichtshof Russlands fordert das russische Justizministerium, die Bewegung als "extremistische Organisation" einzustufen. Die Begründung: Sie zerstöre "die multinationale Einheit und territoriale Integrität Russlands". Doch die sogenannte Bewegung existiert nicht, wie die Zeitung weiter berichtet.
Noch sei es zu früh, zu sagen, gegen wen sich die neue Einstufung konkret richten soll, sagt Rechtsanwältin Valeria Vetoshkina dem Medium. Dass der Klage stattgegeben wird, daran hat sie jedoch "keinen Zweifel". Sie geht davon aus, dass das Ausmaß der Verfolgung breit gefächert sein wird. Die Anwältin mutmaßt, dass damit die Verfolgung all jener einhergehen wird, die nach Meinung des Kreml "antirussische" und "separatistische" Ansichten vertreten.
Auch die Rechtsanwältin Anastasia Burakova äußerte sich zu dem Plan. Demnach könnte dieses Verbot etwa jeden treffen, der die besetzten Gebiete der Ukraine – einschließlich der Krim und der Regionen Donezk und Luhansk – nicht als "zu Russland gehörend" betrachtet.
Konkret sagt sie der Zeitung: "Die Anerkennung dieser Gebiete als ukrainisch könnte als 'Separatismus' gelten." Mit möglicherweise drastischen Konsequenzen: Die Anwältin vermutet, die Behörden könnten damit beginnen, Menschen auch wegen der Wörter "besetzt" und "annektiert" strafrechtlich zu verfolgen.
Die Russland-Expertin Margarita Assenova von der US-Denkfabrik "Jamestown Foundation" sagt zu dem Vorhaben auf X: "Der Kreml hat Angst, dass das Moskauer Imperium infrage gestellt wird." Ein Trugschluss Putins, wie sie klarstellt. Ihrer Meinung nach sei die wahre Gefahr für Russlands Einheit seine eigene repressive Politik "und die Tatsache, dass Russland ein gescheiterter Staat ist".
Offenbar nimmt in Russlands Führungsriege die Sorge vor Unruhen und Aufständen im Land zu. "Ende Dezember 2023 schufen die Behörden in drei russischen Regionen neue Zentralen zur Verhinderung von Separatismus, Nationalismus, Extremismus, Massenunruhen und Straftaten extremistischer Art", schreibt etwa das russische Exilmedium "Meduza".
Die unabhängige "Moscow Times" berichtet über die Spekulationen von Beobachter:innen. Demnach könnte die Einstufung der "separatistischen Bewegung" als extremistisch auch dazu führen, dass Menschen, die sich für die Rechte indigener Völker und für die Entkolonialisierung einsetzen, stärker ins Visier genommen werden.
Erst nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wird laut Vetoshkina klarer sein, was konkret in dem Land als Extremismus gilt. Sie werde für den 7. Juni erwartet. Doch das Urteil werde die genauen Vorgaben nur grob festlegen. Ähnlich, wie dies bereits bei vergleichbaren Verboten war.
So wurde im November die "internationale LGBT-Bewegung" als extremistisch eingestuft, ohne dass diese formell existierte.
Damit ging Russland gegen homosexuelle und queere Menschen vor. Das Putin-Regime hat seit dem Urteil die Verfolgung der queeren Gemeinschaft verschärft. Ähnlich könnte es nun bei politisch Andersdenkenden sein.