Er gilt als extremistisch. Er gilt als aufrührerisch, als kriminell. Zumindest in Russland. In Deutschland wird der Oppositionspolitiker und Anti-Korruptionsaktivist als Held gefeiert. Auch, wenn seine politischen Ansichten in einigen Fällen mehr als fraglich sind.
Die Rede ist von Alexej Nawalny. Der sitzt seit 2021 im russischen Straflager fest. Das Urteil: Wegen mehrerer angeblicher Vergehen – darunter Betrug und Veruntreuung – muss er für insgesamt neun Jahre in einem russischen Straflager festsitzen und schuften.
Seit wenigen Tagen sitzt er erneut vor Gericht. Ihm drohen weitere 20 Jahre Haft.
Nur selten hört man von Nawalny. Oft wird es seinen Anwält:innen und auch Familienangehörigen verboten, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Doch hin und wieder schafft auch Nawalny es, eine Message an die Welt zu senden.
Gerade hat sich Putins größter Widersacher auf Twitter gemeldet – und zwar mit einer äußerst kuriosen Geschichte.
Die Hauptrollen spielen: er, ein Roboter und ein "Psycho".
"Ich habe eine Eilmeldung für euch, Freunde. Der Psycho hat angefangen zu reden. Das ist eine tolle Geschichte", leitet der verurteilte Russe in seine Story ein. Dann folgt ein insgesamt zehnteiliger Thread, in dem er – wie in einem Tagebucheintrag – berichtet. Seine Geschichte erzählt von den Zuständen im russischen Knast. Von der Propaganda im Land. Und davon, wie er Stück für Stück von allem und jedem abgeschirmt wird.
Vor ein paar Monaten, schreibt Nawalny, habe das russische Radio berichtet, dass in Russland ein Roboter-Zentaur erfunden worden sei. Er schreibt:
Sein Einwand habe sich zu einem zehnminütigen Dialog entwickelt. Die Wachen hätten geschimpft, ihm mit Strafen gedroht, weil er ihre Befehle nicht befolgt habe. Doch seinen Angaben zufolge hat er sich davon nicht abwimmeln lassen. "Ich erzählte ihnen immer wieder von dem Roboter-Zentauren und sagte, dass sie im Radio niemals lügen würden."
Natürlich ist der letzte Teil dieses Satzes eine ironische Anspielung auf die Propaganda, die seit Jahrzehnten die Medien in Russland beherrscht. In vielen Fällen wurde bereits handfest bewiesen, dass russische Medien kremltreu berichten – und dass das Lügen ein fester Bestandteil russischen "Journalismus" ist.
Nawalny erzählt, das Thema des Roboter-Zentauren habe die Wachen "wirklich wütend" gemacht. "Sodass ich es in den nächsten Tagen immer wieder in jedem Gespräch erwähnte." Auch in der Strafkommission habe er gesagt, dass niemand mehr Strafarbeit benötige, "weil in naher Zukunft überall in der Wirtschaft Roboter-Zentauren eingeführt würden".
Irgendwann sei ihm mit dieser Story aber dann doch langweilig geworden, meint er. Ein paar Monate vergingen, er sprach nicht mehr davon.
In der Zwischenzeit habe man den Gefangenen in seiner Umgebung das Radio abgestellt. Das einzige, das noch aus den Lautsprechern komme: Auszüge aus der Verfassung, interne Vorschriften, klassische Musik und abends die Rede Putins.
Doch damit fand die Geschichte noch nicht ihr Ende. Der letzte Protagonist wurde schließlich noch gar nicht eingeführt: der "Psycho".
Nawalny schreibt:
Wer der "Psycho" ist, darüber verliert Nawalny kein Wort. Doch offenbar – so interpretiert es Nawalny zumindest – nutzen die Wachen des Straflagers einen psychisch kranken Gefangenen, um dem Oppositionspolitiker das Leben schwer zu machen. "Es gibt hier viele Höfe, aber sie bringen ihn immer auf den Hof neben meinem, damit mir nicht langweilig wird", schreibt er.
Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches.
Denn der Mann, der eigentlich nur unverständlich herumbrüllt, schwieg plötzlich. "Der Verrückte hörte auf zu heulen und sprach mit menschlicher Stimme", schreibt Nawalny.
"Nachbar, hallo Nachbar", habe er gesagt.
"Was?", antwortete Nawalny.
Dann habe der "Psycho" folgendes geantwortet:
"Eines Tages", rekapituliert Nawalny, "werde ich eine Top-Liste mit meinen besten Momenten im Gefängnis erstellen. Und dieser wird definitiv in die Top 5 kommen."