Die russischen Angriffe in der Ukraine nehmen aktuell wieder Fahrt auf, besonders im Süden und Osten. Sie haben unter anderem die Stromversorgung des Landes schwer getroffen. Die Ukraine zeigt trotz massiver russischer Luftangriffe auf Kraftwerke und andere Infrastruktur ungebrochen Kampfeswillen. Russland wolle das Energiesystem der Ukraine zerstören und das Nachbarland noch mehr leiden lassen. "Aber dies mobilisiert nur die internationale Gemeinschaft, uns noch mehr zu helfen und noch mehr Druck auf den Terrorstaat auszuüben", betonte der Präsident Wolodymyr Selenskyj.
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Kiew hat Russland vorgeworfen, absichtlich die Weiterfahrt von rund 165 Frachtschiffen aus der Türkei zu verzögern, die in ukrainischen Häfen Getreide laden sollen. Russische Inspekteure hätten "die Überprüfung von Schiffen erheblich verlängert", erklärte das ukrainische Außenministerium am Montag. Deswegen "stecken mehr als 165 Schiffe in einer Warteschlange nahe der Bosporus-Meerenge fest", hieß es weiter. Die Zahl der wartenden Schiffe steigt demnach "täglich".
Die Ukraine und Russland hatten am 22. Juli in Istanbul unter Vermittlung der Türkei und der UNO Vereinbarungen zur Wiederaufnahme der Getreidelieferungen auf den Seeweg unterzeichnet. Festgelegt wurde, dass sichere Korridore im Schwarzen Meer für die Transporte geschaffen werden. Die Schiffe warten nun darauf, die in den Vereinbarungen festgelegten Inspektionen zu durchlaufen.
Seit das Abkommen Anfang August in Kraft trat, sind nach Angaben des eigens eingerichteten Koordinationszentrums mehr als 6,9 Millionen Tonnen Getreide nach Europa, den Nahen Osten und Afrika verschifft worden.
Verteidigungsminister Christine Lambrecht (SPD) hat sich nach russischen Regierungsäußerungen über Szenarien mit einer radioaktiven "schmutzigen Bombe" in der Ukraine tief besorgt gezeigt. Der Westen müsse geschlossen zum Ausdruck bringen, dass jeder Einsatz derartiger Nuklearwaffen ein "Überschreiten von roten Linien" wäre, sagte Lambrecht am Montag im baden-württembergischen Calw bei einem Besuch beim Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr.
"So etwas darf nicht geschehen", fügte die Verteidigungsministerin hinzu. Sie betonte zugleich, dass solche Drohungen "keine Auswirkungen" auf die deutsche Unterstützung für die Ukraine hätten. "Wir stehen weiter hinter der Ukraine."
Die Ukraine hat Moskauer Unterstellungen scharf zurückgewiesen, sie bereite den Einsatz einer sogenannten schmutzigen, nuklear verseuchten Bombe vor. Die Behauptung lege den Verdacht nahe, dass Moskau selber etwas Schmutziges vorhabe, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag.
Vorangegangen waren Telefonate des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu mit den Ministern der Nato-Staaten Großbritannien, Frankreich und der Türkei. Darin hatte er am Sonntag behauptet, die Ukraine wolle eine mit Atommaterial verseuchte konventionelle Bombe werfen, um dies Russland in die Schuhe zu schieben. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace und US-Außenminister Antony Blinken erklärten dies für unglaubwürdig.
Ungewöhnlich war, dass Schoigu und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Sonntag zum zweiten Mal in drei Tagen miteinander telefonierten. Nach Pentagon-Angaben nahmen Austin und Wallace nach den Anrufen Schoigus auch untereinander Kontakt auf. Experten schlossen nicht aus, dass Moskau wegen militärischer Misserfolge selbst den Einsatz eines solchen Sprengsatzes erwägen könnte.
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste bereitet Russland mit großem Aufwand die Verteidigung seiner besetzten Gebiete in der Ukraine vor. Dies solle mutmaßlich rapide ukrainische Gegenoffensiven abwehren, hieß es am Sonntag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums auf Twitter.
Der Chef der Söldnereinheit "Wagner", Jewgeni Prigoschin, habe Mitte Oktober online angekündigt, mit seinen Teams eine abgesicherte "Wagner-Linie" aufzubauen, um die besetzte Region Luhansk zu verteidigen. Den Angaben Prigoschins zufolge sei es wahrscheinlich, dass auch der Fluss Siwerskyj Donez in diese Verteidigungszone integriert werden solle, hieß es von den Briten. Auf veröffentlichten Bildern sei ein Abschnitt mit neu errichteten Panzerabwehrsystemen und Gräben südöstlich der Stadt Kreminna in der Region Luhansk zu sehen.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) sieht im Wiederaufbau der Ukraine nach dem Ende des Angriffskriegs Russlands eine jahrzehntelange Aufgabe der Weltgemeinschaft. "Wir werden sehr viel investieren müssen, damit das gut funktioniert", sagte Scholz in seinem am Samstag veröffentlichten Video-Podcast vor Wiederaufbaukonferenzen für die Ukraine an diesem Montag und Dienstag in Berlin. Das könnten die Ukraine und auch die Europäische Union nicht allein. Er ergänzte: "Das kann nur die ganze Weltgemeinschaft, die jetzt die Ukraine unterstützt. Und sie muss es für lange Zeit tun."
Es sei "wichtig, dass wir jetzt nicht nur ganz konkret feststellen, was alles gemacht werden muss, wo überall investiert werden muss, wie man den Wiederaufbau organisieren kann, sondern dass wir auch darüber nachdenken, wie über viele, viele Jahre, ja, Jahrzehnte ein solcher Wiederaufbau auch finanziert werden kann von der Weltgemeinschaft", sagte Scholz. Zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe er deshalb als Präsident der G7-Runde der sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte zu einer internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau des Landes am Dienstag eingeladen. "Es geht darum, dass wir jetzt ein Zeichen der Hoffnung setzen, mitten in dem Grauen des Krieges, dass es wieder aufwärts geht."
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sieht die Hauptstadt am Rande ihrer Möglichkeiten bei der Aufnahme von Geflüchteten. "Gerade wir Stadtstaaten und besonders Berlin als Hauptanziehungspunkt haben unsere Kapazitäten (...) mittlerweile nahezu ausgeschöpft", sagte sie der "Bild am Sonntag". So seien 340 000 Ukrainer in Berlin erstversorgt worden, 100 000 hätten ihren Wohnsitz inzwischen in der Hauptstadt.
Giffey forderte: "Wir brauchen dringend weitere Immobilien des Bundes, um Menschen gut unterzubringen, finanzielle Unterstützung für die immensen Kosten und eine gerechte Verteilung im Bundesgebiet."
Olena Selenska, die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, hat am Samstag auf der Frankfurter Buchmesse betont, dass es bei dem Krieg in ihrer Heimat keine "Zwischentöne" gebe. "Wir kämpfen um unser Leben", sagte sie am Abend auf einer Veranstaltung der Zeitschrift "Brigitte". "Man muss die Wahrheit darüber erzählen, was uns tagtäglich passiert." Darin sehe sie auch ihre Aufgabe bei Auftritten als First Lady.
Auch am Samstag habe es in Kiew wieder Luftangriffe gegeben und ihre Gedanken seien bei ihren Kindern, sagte sie. "Unser Planungshorizont ist vielleicht ein oder zwei Tage - wir wissen nicht, was morgen oder übermorgen ist." Gleichzeitig setze eine gewisse Routine ein: "Das Herz rast nicht mehr so, wenn die Sirenen heulen. Wir gehen in den Luftschutzkeller."
Russland hat nach ukrainischen Angaben am Samstag erneut Infrastruktur der Energieversorgung im Westen der Ukraine angegriffen. Bei den Raketenangriffen seien mehrere Energieanlagen getroffen worden, meldete der Versorger Ukrenergo. Das Ausmaß der Schäden sei "mit den Folgen der Angriffe vom 10. bis 12. Oktober vergleichbar oder könnte diese sogar noch übertreffen", erklärte Ukrenergo in den Online-Netzwerken. Beamte in mehreren Regionen berichteten von Stromausfällen.
Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben eine "unparteiische" UN-Untersuchung der Berichte über Lieferungen iranischer Drohnen an Russland gefordert. Sie seien "zutiefst besorgt über den Transfer unbemannter Luftfahrzeuge (UAV) vom Iran nach Russland", erklärten die UN-Botschafter der drei Staaten in einem gemeinsamen Schreiben an den UN-Sicherheitsrat und UN-Generalsekretär António Guterres am Freitag."
Diese UAV werden von Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine für Attacken auf zivile Infrastruktur und Städte in der Ukraine eingesetzt, was zum Tod unschuldiger Zivilisten führt", heißt es in dem Schreiben weiter. Die Ukraine hat seit Mitte September nach eigenen Angaben mehr als 200 iranische Drohnen über dem Land abgeschossen. Die USA warfen dem iranischen Militär am Donnerstag zudem vor, Russland von der Krim aus bei Drohneneinsätzen gegen die Ukraine unterstützt zu haben. Der Kreml bestreitet den Einsatz iranischer Drohnen in der Ukraine. Auch der Iran weist die Berichte als "unbegründete Behauptungen" zurück.
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(mit Material von dpa/afp)