Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Freitag in einem völkerrechtswidrigen Akt die Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja unterzeichnet. International wird dieser Schritt nicht anerkannt.
Ungeachtet der jüngsten Annexionen versucht die Ukraine weiter, den besetzten Teil ihres Landes zu befreien. Jüngst verzeichnete Kiew mehrere Erfolge, die für Ernüchterung in Russland sorgen: Nach der bitteren Niederlage in der Schlacht um die strategisch wichtige Stadt Lyman im Osten der Ukraine gärt in Moskau die Wut.
In der ostrussischen Region Chabarowsk sind nach Angaben des Gouverneurs Michail Degtjarew etwa die Hälfte mehrerer Tausend Männer, die im Zuge der russischen Mobilmachung einberufen wurden, wieder nach Hause geschickt worden. Die Männer hätten Einberufungsbescheide erhalten, seien dann aber im Rekrutierungsbüro abgewiesen geworden, sagte er am Montag in einem Video in seinem Telegram-Kanal.
Zur Begründung erklärte Degtjarew, dass die Betroffenen die Auswahlkriterien für einen Eintritt in den Militärdienst nicht erfüllten. Der Militärkommissar der Region, Juri Laiko, sei entlassen worden.
In den von Russland annektierten Gebieten in der Ukraine stehen Moskaus Truppen weiter unter massivem Druck angesichts des Vormarsches der Streitkräfte Kiews. Aus den Gebieten Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk berichteten die russischen Besatzer am Montag von zahlreichen Versuchen der Ukraine, Frontlinien zu durchbrechen.
Der Separatistenführer Denis Puschilin in Donezk zeigte sich im Staatsfernsehen am Montag zuversichtlich, dass sich die Lage an der Front zugunsten der Besatzer entwickeln werde. Durch die Teilmobilmachung komme neues Personal und auch neue Technik in die Kampfgebiete, sagte er.
Deutschland, Dänemark und Norwegen finanzieren gemeinsam die Produktion von 16 slowakischen Haubitzen für die Ukraine. Wie das Bundesverteidigungsministerium mitteilte, hat das Projekt einen Gesamtwert von 92 Millionen Euro. Die drei finanzierenden Länder teilen sich die Kosten demnach zu gleichen Teilen.
Beschafft werden den Angaben zufolge 16 Radpanzerhaubitzen vom Typ Zuzana 2 aus slowakischer Produktion. "Mit der Lieferung an die Ukraine wird im Jahr 2023 begonnen", hieß es weiter.
Wie mehrere europäische Länder hat auch Deutschland den russischen Botschafter einbestellt. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es am Sonntag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, der Botschafter Sergej Netschajew sei "zeitnah ins Auswärtige Amt einbestellt" worden. Die Bundesregierung reagiert damit auf die weitere Eskalation des russischen Krieges in der Ukraine und die Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland. Auch in Italien wurde der dortige Botschafter für Montag einbestellt, in Belgien geschah das schon am Freitag.
Papst Franziskus hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin gebeten, die "Spirale der Gewalt" in der Ukraine zu stoppen. Auf dem Petersplatz in Rom bedauerte er während des sonntäglichen Gebets die Annexion der vier ukrainischen Regionen durch Moskau, die internationalem Recht widerspreche.
Es war das erste Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine am 24. Februar, dass sich der argentinische Papst in einer Rede direkt an Präsident Putin wandte.
Der ukrainische Präsident Selenskyj reagierte mit Spott auf die russische Niederlage in Lyman und den Ärger in Moskau. Dort, wo die Russen zuvor ihre "Pseudoreferenden" abgehalten hätten, wehe nun wieder die ukrainische Flagge, sagte der 44-Jährige am Samstag in seiner täglichen Videoansprache. Zugleich teilte er mit, dass in Lyman noch gekämpft werde.
"Übrigens haben sie dort schon angefangen, sich gegenseitig zu beißen: Sie suchen nach den Schuldigen, beschuldigen einige Generäle des Versagens", kommentierte Selenskyj die verärgerten Reaktionen aus Moskau auf den Rückzug in Lyman. Es sei nur der erste Warnschuss für alle diejenigen, die sich an Putins Krieg beteiligten. Bis sie nicht das Problem mit dem einen lösten, "der diesen für Russland sinnlosen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, werden Sie einer nach dem anderen getötet und zu Sündenböcken gemacht", prophezeite er.
Auf russischer Seite sorgt die erneute Niederlage für erbitterte Kommentare: Die einflussreiche Bloggerin und ehemalige PR-Chefin des Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin, Anastassija Kaschewarowa, forderte Antworten von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow.
Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow wiederum verlangte, den für den Frontabschnitt verantwortlichen Generaloberst Alexander Lapin abzusetzen, zu degradieren und als einfachen Soldaten an die Front zu schicken. Die Probleme in Lyman seien schon vor zwei Wochen gemeldet worden.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat am Samstag überraschend die Ukraine besucht. In der Hafenstadt Odessa traf sie mit ihrem ukrainischen Kollegen Oleksij Resnikow zusammen, wie das Bundesverteidigungsministerium mitteilte. Bei ihrem Besuch in der Ukraine dürfte es insbesondere um deutsche Waffenlieferungen gehen. Zur Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen im Krieg gegen Russland hat die Bundesregierung bisher vor allem Artillerie und Flugabwehr-Systeme geliefert. Moderne Panzer vom Typ Leopard und Marder, wie sie Kiew fordert, verweigert Berlin bislang.
Russland hat in einer weiteren Niederlage gegen die ukrainische Armee die strategisch wichtige Stadt Lyman im Gebiet Donezk aufgegeben. Die Streitkräfte seien wegen der Gefahr einer Einkesselung abgezogen worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Samstag in Moskau. Zuvor hatten ukrainische Behörden von rund 5000 eingekesselten russischen Soldaten gesprochen.
Die ukrainischen Behörden haben der russischen Armee vorgeworfen, beim Beschuss einer zivilen Autokolonne nahe der Stadt Kupjansk 20 Menschen getötet zu haben. Die Zivilisten hätten versucht, sich vor russischen Angriffen in Sicherheit zu bringen, teilte der ukrainische Gebietsgouverneur Oleh Sinegubow am Samstag im Nachrichtenkanal Telegram mit. "Das ist eine Grausamkeit, die keine Rechtfertigung hat." Die Angaben zu den Toten seien vorläufig. Ermittler und Experten seien zu der Stelle im Gebiet Charkiw gefahren, um den Fall zu untersuchen, teilte Sinegubow weiter mit.
Das Gebiet wird auch nach dem Rückzug der russischen Truppen, die dort im September eine schwere Niederlage hinnehmen mussten, weiter heftig beschossen. Das bestätigen auch die Angaben des russischen Verteidigungsministeriums zum Krieg gegen die Ukraine. Zu dem Fall nahe Kupjansk gab es zunächst keine Informationen aus Moskau. Die ukrainischen Angaben waren von unabhängiger Seite nicht überprüfbar.
Die ukrainischen Truppen haben in der strategisch wichtigen Stadt Lyman im Gebiet Donezk nach eigenen Angaben rund 5000 russische Soldaten eingekesselt. Das sei der Stand am Samstagmorgen, teilte der ukrainische Verwaltungschef für Luhansk, Serhij Hajdaj, mit. "Die Okkupanten haben ihre Führung gebeten, nach Möglichkeit herauszukommen, woraufhin sie eine Abfuhr erhielten", sagte er. "Sie haben jetzt drei Handlungsmöglichkeiten: Entweder können sie versuchen auszubrechen oder sie ergeben sich. Oder sie sterben alle zusammen. Da sind von ihnen etwa 5000, eine genaue Zahl gibt es nicht." Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat angesichts der russischen Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen vor einer Lähmung des Westens gewarnt und zur weiteren Unterstützung der Ukraine aufgerufen. Die Drohungen würden von der Bundesregierung ernst genommen und sehr besorgt beobachtet, sagte die SPD-Politikerin am Samstag in Chisinau in Moldau nach einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Anatolie Nosatii."
Da gilt es, sehr aufmerksam zu sein. Aber da gilt es auch, sich von solchen Drohungen nicht lähmen zu lassen", warnte Lambrecht. Sie ergänzte: "Das darf nicht dazu führen, dass man nachlässig in der Unterstützung für die Ukraine wird." Es gelte nun, "wachsam zu sein, sehr besonnen zu reagieren und auch, dafür zu sorgen, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommt". Die Ukraine müsse weiterhin konsequent unterstützen werden.
Der Chef des von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerks Saporischschja, Ihor Muraschow, ist nach ukrainischen Angaben von Moskauer Truppen entführt worden. Das teilte der Präsident der Betreibergesellschaft Enerhoatom, Petro Kotin, am Samstag mit. Der Generaldirektor des größten europäischen Kernkraftwerks wurde demnach am Vortag von einer russischen Patrouille am AKW-Standort Enerhodar auf der Straße gestoppt, aus dem Auto gezerrt und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht. Eine Erklärung von russischer Seite gab es zunächst nicht. Russland hält das AKW seit Anfang März besetzt.
Nach Meinung des externen Beraters des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, ist es nicht undenkbar, dass Moskau im Krieg gegen die Ukraine auch Atomwaffen einsetzen könnte. "Angesichts der inneren Panik in der Russischen Föderation und der zunehmenden militärischen Niederlagen steigt das Risiko dafür", sagte Podoljak der "Bild" (Samstag).
Anders sieht das laut dem Bericht der Außenpolitik-Experte Wolfgang Ischinger. "Mit einem nuklearen Ersteinsatz wäre die höchste denkbare Eskalationsstufe erreicht", sagte der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz der Zeitung. Diese sei aber Russland zufolge nur für "existenzielle Bedrohungen" vorgesehen. Der Kreml hat in Verbindung mit dem Angriffskrieg in der Ukraine wiederholt indirekt auch mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.
Wenige Stunden nach der Annexion mehrerer Gebiete durch Russland hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Erfolge seiner Armee im Osten des Landes verkündet. "Jeder hat gehört, was in Lyman passiert", sagte Selenskyj in einer Videoansprache in der Nacht zum Samstag mit Blick auf die strategisch wichtige Kleinstadt im gerade erst von Moskau einverleibten Gebiet Donezk. Zuvor hatte bereits der Donezker Besatzungschef Denis Puschilin die fast komplette Einschließung russischer Truppen in Lyman durch ukrainische Soldaten eingestanden.
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