Mit Spionage kennt sich der russische Präsident Wladimir Putin gut aus. Er selbst arbeitete Jahre lang für den sowjetischen Geheimdienst. Auch jetzt, an der Spitze des Landes, weiß er, die Macht des Abhörens und Ausspähens für sich zu nutzen – weltweit, auch in Deutschland, direkt im Bundestag.
Das zeigt zumindest eine tiefgreifende Recherche von "The Insider" in Zusammenarbeit mit dem "Spiegel".
Im Mittelpunkt der investigativen Arbeit steht der Ukrainer Wladimir Sergijenko. Der 52-Jährige arbeitet als Berater des AfD-Abgeordneten Eugen Schmidt. Brisant: Laut Nachforschungen soll er ein Einflussagent mit engen Kontakten zum russischen Geheimdienst FSB sein.
Dem Bericht zufolge erhält Sergijenko seine Anweisungen direkt aus Moskau. Seine Mission: Die deutschen Hilfen an die Ukraine im Krieg gegen Russland verhindern.
Auf die Schliche kam man Sergijenko durch die angebliche E-Mail- und SMS-Korrespondenz mit dem mutmaßlichen FSB-Agenten "Alexei". Sein richtiger Name ist angeblich Ilya Vechtomov und es kann wohl bestätigt werden, dass er ein Offizier des Fünften Dienstes des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) ist. Der FSB ist eine der Nachfolgeorganisationen des KGB aus der Sowjet-Ära.
Laut der Recherchen sollen Sergijenkos Kontakte nach Russland beziehungsweise zum "Fünften Dienst" des FSB, dessen Einflussagenten auf die politische Destabilisierung von Ländern spezialisiert sind, eng verstrickt sein. Er selbst weist die Vorwürfe von sich.
In einem Statement gegenüber dem "Spiegel" streitet Sergijenko jegliche Verbindungen zum russischen Geheimdienst oder zu Vechtomov ab. "Die besagten Verbindungen nach Russland sind frei erfunden und die besagte Kontaktperson, Ilja Vechtomov, existiert für mich nicht. Die Anschuldigungen, wonach ich ein Einflussagent Moskaus sei, sind unbegründet und entsprechen nicht der Realität."
Aber Sergijenkos Kommunikation mit Vechtomov erzählt wohl eine andere Geschichte. Auch seine pro-russische Einflussnahme sticht hervor.
So griff er etwa dem AfD-Bundestagsabgeordneten Schmidt sowie anderen AfD-Leuten unter die Arme, Reden zu schreiben. Und die sind bekannt für ihren pro-russischen Ton: Ablehnung der Europäischen Union und der NATO sowie Kritik an den Hilfen für die Ukraine.
Unter anderem setzte sich Sergijenko auch für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein. Darin wurde gefordert, dass Ukraine-Hilfen die Zustimmung des Bundestages erfordern. Die AfD reichte die Klage im Juli ein. Im Enthüllungsbericht heißt es zudem:
Bei der Veranstaltung schlug er etwa vor, jede:r deutsche:n Politiker:in, der oder die sich für Sicherheitshilfe für die Ukraine einsetzt, "aus der politischen Landschaft zu rasieren". Auch zeigten seine Reiseunterlagen, dass er Russland öfters besuche.
Seit Beginn des Krieges soll Sergijenko 18 Mal nach Russland geflogen sein. Er flog sogar am 23. Februar 2022, einen Tag vor Beginn der Invasion, nach Moskau. Am 6. Juni 2023, arrangierte Vechtomov für Sergijenko und einen hochrangigen AfD-Aktivisten, Bernhard Ulrich Oehme, eine eintägige Reise nach Sotschi. Die Reise wurde bis heute nicht öffentlich bekannt gegeben, heißt es.
Und dieser Mann hatte freien Zugang zum Deutschen Bundestag durch einen Hausausweis. Laut des Berichts seien Sicherheitsbehörden über den Vorgang alarmiert – offenbar zurecht. Denn: Laut eines ehemaligen Mitarbeiters eines anderen Bundestagsabgeordneten habe Sergijenko sowohl formellen als auch informellen Zugang zu einer Fülle von privilegierten Informationen über die deutsche Politikgestaltung gehabt.
"The Insider" zitiert die Quelle, die anonym bleiben möchte:
Westliche Geheimdienste gehen davon aus, Sergijenko könnte im Auftrag Russlands Einfluss auf die AfD nehmen, auch durch finanzielle Mittel. Nach "Spiegel"-Informationen hat der Zoll im April und im Juni nach zwei von vielen Russlandreisen jeweils 9000 Euro Bargeld bei Sergijenko entdeckt.
Sergijenko weist den Vorwurf auf "Spiegel"-Anfrage zurück, dass er die AfD finanziell unterstütze. Auch den Verdacht, "ich könnte im Auftrag staatlicher Stellen Propaganda verbreiten", weist er zurück. "In meiner Tätigkeit agiere ich stets unabhängig und bin ausschließlich meinem Gewissen verpflichtet", wird er in dem Bericht weiter zitiert.
Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Schmidt äußert sich zu den Anschuldigungen.
Schmidt bestätigt auf "Spiegel"-Anfrage, dass Sergijenko für ihn arbeitet. Laut ihm sei er auf einer "120-Euro-Stelle" als Übersetzer und in der Medienarbeit für sein Büro tätig, "was die begrenzte Natur seiner Aufgaben widerspiegelt". Schmidt ist ein russlanddeutscher Politiker geboren im zentralasiatischen Kasachstan. In der AfD-Bundestagsfraktion ist er "Beauftragter für Russlanddeutsche" und fiel in der Vergangenheit als Befürworter des Kreml-Chefs Putin auf.