Gemeinsam mit Ex-Vizekanzler und Grünen-Politiker Joschka Fischer, dem Entwicklungshelfer Kilian Kleinschmidt und der Journalistin Kristin Helberg diskutierte Moderator Markus Lanz am Donnerstagabend über die erneute Flüchtlingskrise und die Lage an der türkisch-griechischen Grenze. Doch am Ende ging es nicht nur um den Rückblick auf die Laufbahn Fischers, sondern auch über seine klare Meinung zu Gerhard Schröder und den Linken.
"2015 darf sich nicht wiederholen" – Mit dieser Aussage eröffnet der ehemalige Umweltminister die Diskussion und spielt damit auf die Hochphase der vergangenen Flüchtlingskrise in Europa an. "Wir haben die Konsequenzen eines unkontrollierten Zugangs gesehen. Deshalb brauchen wir eine kontrollierte Zuwanderung, bei der die Menschen ihre Würde behalten und ihre Grundrechte wahrnehmen können."
Mit Konsequenzen meint der 71-Jährige auch destabilisierende Effekte, die die unkontrollierte Einwanderung mit sich gebracht haben. Insbesondere das Erstarken von rechter Gewalt. Und er wird sehr deutlich:
"Ich bin alt geworden über die Frage, wann wir endlich ein Einwanderungsgesetz bekommen", fügt Fischer noch hinzu. Als er von Lanz mit dem Satz konfrontiert wird, es sei einfacher illegal nach Deutschland zu kommen als legal, wirkt das frühere Mitglied einer linksradikalen Gruppierung, fast resignierend: "Ich verstehe es einfach nicht."
Doch eine richtige Lösung hat der Ex-Vizekanzler auch nicht parat. Er glaubt, dass sich Europa militärisch in Syrien nicht einmischen sollte, weil sonst ein Krieg mit Russland provoziert würde. Gleichzeitig glaubt er aber auch, dass stärkere Sanktionsmaßnahmen gegen Russland keine Mehrheit im Bundestag fänden. Doch er ist sich sicher, dass Deutschland auch wirtschaftlich begründete Zuwanderung brauche – insbesondere Fachkräfte in der Pflege.
Währen die Nahost-Expertin und Journalistin Kristin Helberg Fischer größtenteils zustimmt, ist sie jedoch noch anderer Überzeugung: Sie ist der Meinung, dass Europa Schreckensbilder der Flucht absichtlich publiziere und an den Verhältnissen nichts ändere, weil es die Menschen vor einer Flucht abschrecken wolle. "Wir wollen keine Bilder, die einladend wirken. Keine Selfies mit der Kanzlerin", sagt die Journalistin zu derzeitigen eskalierenden Lage auf griechischen Inseln.
Kilian Kleinschmidt, der frühere Krisenmanager der UN, hat kein Verständnis dafür, wie solche Lager wie auf den griechischen Inseln überhaupt existieren können: "Ich verstehe nicht, wie man eine solche Situation haben kann. 40.000 Menschen, das sind eigentlich keine Zahlen."
Mit seiner Erfahrung, die er als Manager des größten Flüchtlingscamps der Welt in Jordanien mitgebracht hat, ist er der festen Überzeugung, dass vernünftige Camps der erste Schritt in die richtige Richtung sind: "Wir müssen vernünftig investieren und funktionierende Systeme bauen. Camps müssen wie Städte aufgebaut sein."
Er war Messdiener, dann Linker, später Grüner und ist davon überzeugt, dass ihn seine eigene Mutter niemals gewählt hat. Der 71-Jährige blickt auf eine lange politische Laufbahn zurück. Er erzählt, wie er als damaliger Außenminister dem früheren Verteidigungsminister der USA, Donald Rumsfeld, erklären musste, dass Deutschland nicht an der Seite der USA in den Irak einmarschieren wird. "Wir waren der festen Überzeugung, dass das zu einer gewaltigen Destabilisierung in der Region führen würde", sagt er auch heute noch. Das war ein erster Bruch mit Amerika in der neueren deutschen Geschichte.
Und dann wird es persönlich: Fischer erzählt von seiner Familie und dass bei ihnen zu Hause die Mutter das Sagen hatte. Dann erwähnt er seinen Vater, der Metzger war:
Beide starben, als er 18 Jahre alt war. Sein Vater an einem Hirnschlag, seine Schwester an einer unheilbaren Nierenkrankheit. Doch er hat auch einiges Erhellendes zu erzählen. Wie er beispielsweise einfach ohne Abitur an die Universität nach Frankfurt gegangen ist: "Es hat mich ja keiner gefragt: 'Was machst du denn hier?'." Bevor er in den Bundestag wechselte, arbeitete er als Taxifahrer: "Im Taxi bin ich zum Realo geworden."
Ob Robert Habeck, der Bundesvorsitzende der Grünen, der nächste Kanzler werden könne, will Lanz von ihm wissen. Doch darauf antwortet er bloß: "Ich finde ihn und Annalena Baerbock hervorragend. Ich werde mich dazu nicht näher äußern. Ich bin doch nicht deppert!"
Am Ende gibt er noch zu verstehen, dass er sich nicht für eine rot-rot-grüne Regierung ausspricht: "Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Die Links-Partei muss erst wesentliche Dinge und Position klären. Mit dieser Russland-Seligkeit und dieser Ideologie kann man Deutschland nicht regieren."
Ganz am Ende geht es noch um sein Verhältnis zu Gerhard Schröder, mit dem er viele Jahre gemeinsam in der Regierung saß. "Haben Sie Kontakt zu Schröder?", fragt Lanz. "Selten. Dann und wann." Warum selten?", hakt Lanz nach. "Weil es sich nicht häufiger ergibt." Sein Verhältnis zu ihm beschreibt er als nicht freundschaftlich, dazu seien beide zu "egomäßig geartet". Es sei eine "emotional getönte, gute Zusammenarbeit" mit ihm gewesen.