Nach dem großen Shutdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wird in Deutschland ganz langsam der Betrieb wieder hochgefahren. In einem ersten Schritt dürfen Teile des Einzelhandels unter Auflagen wieder öffnen. Darauf haben sich vergangene Woche die Minister und die Bundesregierung geeinigt.
Wie das Ganze umgesetzt wird, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Gastronomie hingegen bleibt weiter geschlossen. Ob das nachvollziehbar ist, oder es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte, diskutierte am Mittwochabend Markus Lanz mit seinen Gästen – und der Moderator stellte einen gewagten Vergleich an: Sind Shoppingmalls nichts anderes als Großveranstaltungen?
Während sich die meisten Länder mit der Bundesregierung auf eine 800-Quadratmeter-Regelung bei der Öffnung des Einzelhandels geeinigt haben, gehen manche Bundesländer einen Sonderweg. So dürfen beispielsweise in Berlin auch Einkaufszentren wieder öffnen – auch wenn diese deutlich mehr als 800 Quadratmeter groß sind. Die Quadratmeter-Regelung bezieht sich dann auf die Geschäfte in der Mall.
Berlins Bürgermeister Michael Müller rechnete das bei Lanz vor: Wenn sich in einer Berliner Mall 100 Shops à 400 Quadratmeter Ladenfläche befänden, ergebe sich eine Fläche von 40.000 Quadratmetern. Bei einer Person à zehn Quadratmeter Fläche, wie es in anderen Bundesländern gehandhabt wird, könnten sich bis zu 4000 Menschen in einem Shoppingcenter aufhalten.
Bei dieser Zahl muss auch Markus Lanz erst einmal schlucken, denn das käme ja einer Großveranstaltung gleich. Aber Müller führt weiter aus: Wichtig sei, "wie begegnen sich die 4000 Leute", denn sonst könne man auch ein Volksfest zulassen. Deshalb habe man sich in Berlin, Bayern und Hessen für weitere Restriktionen entschieden. Statt eine Person auf zehn Quadratmetern zuzulassen, wie es in den Gesprächen mit der Bundesregierung beschlossen wurde, habe man sich dazu entschieden, schärfer vorzugehen, und lediglich eine Person auf 20 Quadratmetern zu erlauben.
"Das ist sehr restriktiv", meint Müller. So dürfen maximal 2000 Leute in eine große Mall – in Lanz' Augen immer noch eine große Zahl.
Der Moderator hakt nach: "Massenveranstaltungen sind ja gerade verboten. Das ist eine Großveranstaltung." Müller sieht das anders. Es gebe ja bereits Restriktionen beim Einlass in die Mall und dann nochmal bei der Verteilung auf die Geschäfte.
Eine Person pro Quadratmeter und dafür die Shopping-Malls öffnen: Ob das eine Regelung ist, die aus epidemiologischer Sicht vertretbar sei, wollte Lanz von Prof. Dr. Gérard Krause, dem Abteilungsleiter Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig wissen. Und der positionierte sich überraschend klar pro dieser Regelung und gegen Lanz' Großveranstaltungen-Vergleich.
Denn aus epidemiologischer Sicht sei erst einmal wichtig, ob Abstände eingehalten werden können und da sei es egal, was da verkauft werde. Er merkt außerdem an, dass es Menschen auch besser nachvollziehbar könnten, wenn die Abläufe und Entscheidungen wissenschaftlich gut begründet würden. Es gehe bei der Bekämpfung der Pandemie "immer nur um Reduktion". Krause erklärt:
Er glaubt, dass die Menschen in Deutschland das verstehen und es deshalb auch funktionieren kann. Deshalb würde Krause bei den Lockerungen nicht nach Branchen sortieren, sondern danach, ob man die Hygienevorschriften erfüllen kann – egal, ob Gastronomie oder Einzelhandel.
Dieser Ansicht kann sich auch die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Bayern, Angela Inselkammer, nur anschließen. Sie ist sich sicher, dass sie "viele Maßnahmen, an denen wir ganz angestrengt arbeiten, schon durchführen" könne. Zwar könne man die vielfältige Branche nicht über einen Kamm scheren, dennoch sei es eben eine Branche, "die gelernt hat, Hygienemaßnahmen einzuhalten, und wir haben strenge Auflagen. […] Wir sind ja schon sehr gut geschult".
Das große Problem: Die Gastronomen würden gar nicht in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden. Wenn man mal mit ihnen redete, dann könne man auch darüber sprechen, wer oder was wieder aufmachen könne und unter welchen Bedingungen, meint Inselkammer. Sie kritisiert, dass in der Politik nicht das Vertrauen herrsche, dass die Hotellerie und Gastronomie das im Griff hätte – "und das tut weh".
Abgesehen von den Existenzen, die durch den Shutdown in Gefahr sind, sieht Inselkammer noch ein weiteres Problem: Gastronomie gehöre auch zur Lebensqualität und zur Lebenskultur. Die wolle man langsam ein Stück zurückhaben. Denn: "Ein Treffen von Menschen ist nun mal ein essenzielles Bedürfnis von Menschen", appelliert sie. Und im Gegensatz zur Bundesliga, die nun über Fußballspiele ohne Fans nachdenkt, könne man "einen Geisterbiergarten" nicht aufmachen.
(jei)