Es gibt einiges, was sich der ehemalige US-Präsident Donald Trump in den vergangenen Jahren zuschulden kommen lassen hat. Etwa regelmäßig Beleidigungen oder schockierende Aussagen. Doch auch mit Vergehen, die rechtlich geahndet werden können, sorgte er für Aufsehen.
Gegen ihn laufen etliche Gerichtsverfahren, unter anderem wegen Verschwörung gegen die USA. Keiner der ehemaligen Präsidenten hatte in der Geschichte der Vereinigten Staaten so viele juristische Probleme wie Donald Trump.
Doch der Supreme Court verschaffte dem Ex-Präsidenten kürzlich Immunität für offizielle Handlungen: ein Urteil, das die Zukunft der Politik in den USA maßgeblich beeinträchtigen könnte.
Und zwar äußerst negativ, wie der Harvard-Jurist Laurence Tribe jetzt warnt.
Der ehemalige Berater von Barack Obama zeigt sich in einem Interview schockiert über das Urteil. Demnach genießen US-Präsident:innen nun Immunität für Amtshandlungen, was Amerika seiner Meinung nach an den Rand einer Diktatur bringe. Er malt ein düsteres Bild von der Zukunft der Vereinigten Staaten.
Tribe vergleicht die aktuelle Situation mit dem Jahr 1933 in Deutschland, als Adolf Hitler durch das Ermächtigungsgesetz diktatorische Vollmachten erhielt. Obwohl das Urteil des Supreme Courts nicht buchstäblich die Verfassung außer Kraft setze, nähere es sich diesem Zustand gefährlich an, erklärt Tribe im Interview mit dem "Spiegel". "Es nimmt unserem System die Möglichkeit, selbst die schwersten Straftaten eines Präsidenten zu kontrollieren und zu verfolgen", betont Tribe.
Präsident Joe Biden äußerte seine Besorgnis und sagte, dass es künftig "keine Grenzen mehr gibt für das, was ein Präsident tun kann". Tribe hält diese Aussage keineswegs für übertrieben: "Das Einzige, was einem Präsidenten jetzt noch Grenzen setzt, sind sein Charakter und sein Moralbewusstsein."
Tribe hebt hervor, dass der Impeachment-Prozess in der Vergangenheit oft versagt habe. Er verweist auf den Fall von Donald Trump, der trotz schwerwiegender Gesetzesbrüche, wie dem Versuch, die Wahlergebnisse zu kippen, im Amt blieb. "Das Amtsenthebungsverfahren hat sich als wirkungslos erwiesen", so Tribe. Der entscheidende Faktor war stets die Aussicht auf strafrechtliche Verfolgung, die Präsidenten eingeschränkt habe.
Chief Justice John Roberts, der das Urteil verteidigte, war einst Tribes Student. Tribe zeigt sich überrascht über die radikale Entwicklung seines ehemaligen Schülers. "Er war konservativ, aber kein Radikaler. Die drei von Trump ernannten Richter haben ihn offenbar weiter nach rechts getrieben", meint Tribe und bezieht sich damit auf Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett.
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, ebenfalls Harvard-Professoren und Autoren des Buches "Wie Demokratien sterben", zweifeln an der demokratischen Legitimation des Supreme Courts. Sie sprechen von einer "Tyrannei der Minderheit", da die Republikanische Partei in den vergangenen 30 Jahren nur einmal die absolute Mehrheit der Stimmen gewann, aber sechs der neun Richter:innen ernannte. "Es ist die Minderheit derer, die über den größten Reichtum und die besten Beziehungen verfügen", warnt Tribe im Interview weiter.
Im Vergleich zu anderen Nationen, wo die Macht der Regierungschefs durch Parlamente begrenzt wird, habe der US-Präsident nun fast uneingeschränkte Befugnisse, so Tribe. "In der Innenpolitik kann er im Grunde agieren, wie er will, ja sogar strafbare Handlungen begehen, ohne dass das Konsequenzen hat", erläutert er.
Die größte Besorgnis besteht darin, dass diese extreme Machtfülle unmittelbar Donald Trump zugutekommen könnte, der bereits öffentlich angekündigt hat, als Diktator zu handeln, sollte er erneut ins Amt kommen. "Aber selbst ein George Washington wäre mit dieser Entscheidung zu mächtig", fügt Tribe hinzu. Die Auswirkungen könnten Generationen betreffen: "Meine Enkel sind zwischen einem und 20 Jahre alt. Ich fürchte um ihre Zukunft."