Sie sind wütend.
Eine Wut, die junge Menschen dazu bringt, ihre Universitäten als Lautsprecher zu nutzen. Sie besetzen Gebäude, schlagen ihre Zelte auf dem Gelände auf und schwingen dabei die palästinensische Flagge.
Am 17. April errichteten Studierende der Columbia University auf dem Campus in Manhattan ein Protest-Camp. Kurz darauf breiteten sich die Proteste auch an anderen Universitäten in den USA aus. Es wächst eine neue Studentenbewegung, die das Land intensiv beschäftigt.
Was wollen sie?
Ein Ende des Blutvergießens in Gaza. Dabei richtet sich ihre Wut vor allem gegen Israel und die Biden-Regierung, die sich hinter den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu stellt. Die konkrete Forderung der Demonstrierenden an der Columbia University: Die Universität solle Verbindungen zu Unternehmen und Institutionen beenden, die Israel unterstützen.
Zur Erinnerung: Am 7. Oktober 2023 überfiel die Terrororganisation Hamas Israel und ermordete etwa 1200 Israelis, darunter auch Frauen und Kinder. Hunderte Menschen wurden nach Gaza verschleppt. Als Reaktion darauf begann Israel eine Militäroperation im Gazastreifen.
Seither ist die Lage in Nahost extrem angespannt. Vor allem Israels Erzfeind Iran mischt kräftig mit. Mittlerweile ruft US-Präsident Joe Biden Israel zu mehr Besonnenheit auf. Eine Eskalation sei nicht im Sinne der USA und schon gar nicht ein direkter Krieg mit dem Mullah-Regime.
Für Netanjahu steht aber fest: Israels Waffen ruhen erst vollkommen, wenn die Hamas "ausgelöscht" ist. Israel kämpfe um sein Existenzrecht in der Region. Das sehen junge Menschen in den USA offenbar anders. Sie klagen die zahlreichen Todesopfer durch Israels Luftangriffe auf Gaza an – darunter sollen sich Tausende Kinder befinden.
Die humanitäre Lage in Gaza bleibt weiterhin katastrophal für jene, die überlebt haben. Nach dem brutalen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober leide auch die Zivilbevölkerung in Gaza unter den Folgen des Terrors der Hamas, schreibt das Auswärtige Amt.
Die Basisversorgung für die Zivilbevölkerung sei zusammengebrochen und es fehle dort Hunderttausenden Menschen – unter ihnen vielen Kindern – am Allernötigsten, wie etwa Lebensmittel, Wasser und medizinischer Versorgung.
Auf den US-Campussen solidarisieren sich junge Leute mit der Zivilbevölkerung in Gaza. Sie fordern unter anderem eine sofortige Waffenruhe. Auf den Köpfen und um den Hals tragen sie palästinensische Tücher, skandieren Sprüche, die als antisemitisch gelten, wie etwa: "from the river to the sea, Palestine will be free", also vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein.
Sprich: Sie fordern damit ein Palästina ohne Israel. Und das seien laut Kritiker:innen "antisemitische Ansichten". Also, eine klare antisemitische Vernichtungsfantasie gegen den jüdischen Staat. Diese Haltung bekommen zunehmend auch jüdische Studierende sowie Professor:innen auf dem Campus zu spüren.
Laut US-Medien berichten Juden und Jüdinnen von zunehmender Diskriminierung, sie werden von den Demonstrierenden nicht mehr auf das Universitätsgelände gelassen. Eltern sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kinder. Die Fronten verhärten sich, ein Austausch erscheint unmöglich.
Die Wut spaltet die US-Gesellschaft und mitten drin steht US-Präsident Biden, der jede Stimme für seine Wiederwahl im November benötigt.
"Biden braucht die Stimmen des jungen, gebildeten Amerika. Die Proteste stellen für ihn also ein großes politisches Problem dar", sagt USA-Experte Thomas Greven vom Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Auf watson-Anfrage führt er aus, dass es sich hierbei um ein "hausgemachtes Problem" handle.
Denn laut Greven hat man zu lange weggesehen – auch schon vor dem Überfall der Hamas. Zudem hätte Biden die US-Hilfen an mehr Bedingungen knüpfen müssen. "Insofern zahlt er nun möglicherweise den politischen Preis für viele Jahre der Vernachlässigung der Belange der palästinensischen Bevölkerung."
Andererseits sei es angesichts der prekären Situation Israels auch nicht ganz einfach, harte Bedingungen an US-Militärhilfe zu stellen: "Man stelle sich vor, Israel hätte sich nicht effektiv gegen den Angriff Irans verteidigen können", meint Greven.
Deshalb ist es dem Experten zufolge völlig unklar, ob die auf dem Uni-Campus Protestierenden – insbesondere die polarisierten pro-israelischen und pro-palästinensischen Hardliner sich von Bidens Kursänderung gegenüber Israel beeindrucken lassen.
Derzeit beschränke sich Bidens Handhabe auf die Erhöhung des Drucks auf Israel, bei den Einsätzen im Gazastreifen (und im Westjordanland) völkerrechtliche und menschenrechtliche Prinzipien einzuhalten.
Und wenn es um die Uni-Proteste vor der Haustür geht?
Biden kann laut Greven erstmal nicht viel ausrichten. Denn die Vorgänge auf dem Campus obliegen der Verantwortung der Universitätsleitungen. "Den Rufen nach Einsatz der Nationalgarde wird Biden mutmaßlich widerstehen. Aber auch hier wären zunächst die Gouverneure am Zug", führt der USA-Experte aus. Allerdings wissen die Republikaner schon, die Uni-Proteste im Land für sich zu nutzen.
Laut Greven versuchen die Republikaner seit längerem, mit einem klar pro-israelischen Kurs die jüdischen US-Amerikaner:innen auf ihre Seite zu ziehen. Diese wählen traditionell überwiegend demokratisch.
Greven prognostiziert: "Bricht diese Wählergruppe signifikanter Weise weg und bleiben gleichzeitig muslimische Amerikaner der Wahl fern, hat Biden insbesondere in Michigan ein Problem." Diesen US-Bundesstaat hat er 2020 nur knapp gewonnen.
Mutmaßlich brauche Biden die Stimmen der muslimischen Community, um dies 2024 zu wiederholen, sagt Greven.