Trotz vieler Differenzen haben sich die Nato-Staaten bei ihrem Gipfel zum 70. Gründungsjahr der Organisation auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt. Darin erneuern die Verbündeten ihre gegenseitige Beistandsverpflichtung und positionieren sich erstmals zum militärisch aufstrebenden China, ohne das Land ausdrücklich als Bedrohung einzustufen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump zogen am Mittwoch eine demonstrativ positive Bilanz des Londoner Gipfels zum 70. Geburtstag der Allianz. Trump lobte die stark steigenden Militärbudgets der europäischen Nato-Staaten: "Das ist beispiellos und wird die Nato stärker machen."
"Das Signal war eins der Gemeinsamkeit, deshalb bin ich auch sehr zufrieden", sagte Merkel bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem US-Präsidenten. Es sei über verschiedene Strategien für die Zukunft der Nato gesprochen worden.
Seine Dauerkritik an den deutschen Militärausgaben wiederholte Trump nur in sehr milder Form. Deutschland sei "ein bisschen unter dem Limit" des Nato-Ziels von zwei Prozent der Wirtschaftskraft.
Bei der Steigerung der Verteidigungsausgaben sehen die Nato-Länder "gute Fortschritte", wollen aber "mehr tun". Trump hatte wiederholt insbesondere Deutschland wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben scharf kritisiert.
Das zweitägige Treffen in London und im britischen Watford habe "einmal mehr gezeigt, dass die Nato der einzige Ort bleibt, an dem Europa und Nordamerika jeden Tag gemeinsam diskutieren, entscheiden und handeln", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Alle 29 Staats- und Regierungschefs hätten bekräftigt, dass sie zur kollektiven Beistandsklausel des Nordatlantikvertrages stünden nach dem Motto "Alle für einen und einer für alle."
Doch. Das hat er. Die Türkei bereitete dem Gipfel tatsächlich Probleme. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte vor dem Treffen gedroht, Beschlüsse zu blockieren, wenn die Nato-Länder die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien nicht als Terrororganisation einstuften. Schon vor dem Treffen hatte Ankara wegen des Streits ein Veto gegen die weitere Verstärkung der Nato-Verteidigung in den baltischen Staaten und Polen gegenüber Russland eingelegt.
Dieser Konflikt wurde nun gelöst, wie Merkel sagte. Das Nato-Vorgehen in Osteuropa wurde demnach "von der Türkei akzeptiert". Macron betonte, er sehe im Bündnis keinen Konsens, die YPG als "Terrororganisation" anzuerkennen. Die Nato sei dazu "nicht bereit". Was Erdogan zum Umdenken bewog, ist derzeit nicht bekannt.
Nein. Der Konflikt ist wohl nur vertagt: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beharrt auf seiner Einschätzung zum "Hirntod" der Nato und verlangt eine Strategiedebatte. Seine ebenso aufsehenerregende wie vernichtende Diagnose habe eine "unentbehrliche" Diskussionen angestoßen, behauptet der französische Präsident. Auf deutsche Initiative hin wird nun immerhin ein "Reflexionsprozess" angestoßen.
Die Staats- und Regierungschefs gaben Stoltenberg nun den Auftrag, einen Vorschlag "für einen zukunftsorientierten Reflexionsprozess" einzuleiten, "um die politische Dimension der Nato (...) weiter zu stärken".
Merkel sagte, die Nato bleibe der "Grundpfeiler" der Verteidigung Europas, auch wenn es eine "europäische Säule" gebe. Nun müsse im Rahmen des Reflexionsprozesses auch überlegt werden, ob besser die Nato oder Europa sich verstärkt in Afrika und insbesondere im Sahel-Gebiet im Kampf gegen den Terrorismus engagieren sollten. Hier gebe es "noch kein klares Bild".
Die Staats- und Regierungschefs machten klar, dass sie den Anti-Terrorkampf ausweiten wollten. "Wir waren uns heute auch einig, dass der Terrorismus der größte Feind ist", sagte Merkel gar. Diese Aussage bekräftigte auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. "Russland ist kein Feind mehr", twitterte er. Russland bleibe eine Bedrohung, sei bei gewissen Themen aber auch ein Partner.
Die Abschlußerklärung kritisierte jedoch erneut die "aggressiven Aktionen Russlands". Kritisiert wurde auch die Stationierung neuer atomar bestückbarer Mittelstreckenraketen in Europa. Die westlichen Verbündeten wollen aber gleichzeitig weiter den Dialog mit Russland suchen.
Zu China hieß es in der Abschlusserklärung, die Nato-Länder seien sich bewusst, dass dessen Politik und wachsender Einfluss "sowohl Chancen als auch Herausforderungen» biete. Beim Aufbau der 5G-Mobilfunknetze, an dem auch der chinesische Huawei-Konzern beteiligt ist, fordert die Nato "sichere und widerstandsfähige Systeme", die nicht abgehört werden können.
(cma/hd/afp)