Niemand steht über dem Gesetz, nicht einmal Donald Trump. Das bekam der 77-Jährige nun hautnah zu spüren: Zwölf zufällig ausgewählte US-Amerikaner:innen fällten das Urteil über den Angeklagten im Schweigegeldprozess: "Schuldig in allen Anklagepunkten" (guilty on all counts).
Trump ist offiziell ein verurteilter Verbrecher, der als Präsidentschaftskandidat der Republikaner ins Weiße Haus einziehen will. Mit hoher Wahrscheinlichkeit tritt er im November erneut gegen den Demokraten Joe Biden an.
Trumps Schuldspruch versperrt ihm nicht den Weg, an der US-Wahl teilzunehmen – es könnte aber steiniger werden und ihn Wahlstimmen kosten.
Davon geht zumindest der republikanische Stratege Karl Rove aus. Im Gespräch mit dem konservativen US-Sender Fox News warnt er: Der Schuldspruch gegen Trump könnte ihn wichtige Swing States kosten, darunter Wisconsin, Michigan und Pennsylvania.
Bei den sogenannten "Wackelstaaten" oder "Schaukelstaaten" weiß man nie so genau, ob sie demokratisch oder republikanisch wählen. Bei einem Duell zwischen Trump und Biden prognostizieren Expert:innen erneut ein knappes Ergebnis – die Swing States sind daher für einen Wahlsieg entscheidend.
"Wenn er für schuldig befunden wird, sollten wir nicht unterschätzen, dass es ein Problem gibt“, meint der Analyst Rove. Denn bis zu elf Prozent der Wählenden würden im Falle einer Verurteilung eher nicht für ihn stimmen.
In einem knappen Rennen bedeuten elf Prozent ein Erdrutschsieg.
USA-Experte Thomas Greven wagt hingegen noch keine Prognose. "Welche Auswirkungen das Urteil auf die mutmaßlich wenigen Wähler hat, auf die es in der Handvoll Swing States am Ende wahrscheinlich ankommt, ist unmöglich zu sagen", meint er auf watson-Anfrage.
Die meisten US-Amerikaner:innen haben sich eine Meinung über Trump gebildet, sie lieben oder hassen ihn, führt der Politikwissenschaftler vom Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin aus.
Das Urteil wirft nun allerhand Fragen auf, sollte Trump die Wahl im November gewinnen: Darf ein verurteilter Präsident etwa strenggeheime Papiere einsehen? Laut Greven wird Trump durch den Rechtsstaat geschützt, den er verachtet: Die vermutlichen Berufungsverfahren werden womöglich Jahre dauern. Demnach müsse man noch gar nicht so weit voraussehen.
Jedoch stellt sich derzeit die Frage, ob Trump nach dem Schuldspruch bei der US-Wahl noch wählen darf. Denn: In den USA verlieren verurteilte Straftäter:innen das Wahlrecht. Allerdings handhabt das jeder US-Staat anders.
Laut USA-Experte Dominik Tolksdorf kommt es darauf an, in welcher Gerichtsbarkeit das Urteil gefällt wurde. Der Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik führt aus: "In New York dürfen rechtkräftig Verurteilte, die nicht inhaftiert sind, an der Wahl teilnehmen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Trump seine Stimme abgeben darf."
Das heißt: Florida richtet sich bei der Stimmabgabe nach dem Gesetz des Staates, in dem die Verurteilung erfolgte. In New York dürfen Schwerverbrecher also wählen, es sei denn, sie sind zum Zeitpunkt der Wahl inhaftiert. Sofern Trump am Wahltag nicht im Gefängnis sitzt, darf er wählen, schreibt der US-Sender NBC 4 New York.
Vermutlich werde Trump das Urteil anfechten; was er erst kann, wenn das Strafmaß feststeht, sagt Greven. "So lange ein Berufungsverfahren läuft, hat er das aktive Wahlrecht in Florida."
Die Zustimmung in der eigenen Partei werde Trump nicht verlieren, meint Tolksdorf auf watson-Anfrage. "Wie die Reaktionen der meisten führenden republikanischen Politiker:innen zeigen, schwächt das Urteil Trumps Position in der Partei nicht", sagt er. Es werde auch seine Nominierung als Präsidentschaftskandidat nicht gefährden.
Aber: Tolksdorf zufolge lässt sich bisher nicht absehen, ob und inwiefern das Urteil die Sichtweise vieler unabhängiger Wähler:innen beeinflussen könnte. Schließlich spielen sie im November wahrscheinlich eine große Rolle, meint er.
Bei einem Biden-Sieg warnt Greven allerdings vor politischer Gewalt in größerem Ausmaß.
"Durch die konstant gesäten Zweifel an der 'Integrität des Wahlsystems' ist ein wachsender Teil des Maga-Lagers gewaltbereit", führt er aus. Maga steht für Trumps Wahlspruch "Make America Great Again" unter dem sich ein regelrechter Kult gebildet hat.
Nun kommen die gezielt gesäten Zweifel am Rechtsstaat und am Justizsystem hinzu. "Um seine eigenen Interessen zu fördern und seine Haut zu retten, ist Trump dazu bereit, den Kult um seine Person bis aufs Äußerste zu treiben", meint Greven.
Trump schrecke nicht davor zurück, die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen der USA zu untergraben – ja sie sogar nachhaltig zu zerstören, warnt der USA-Experte.