Lars Klingbeil und Saksia Esken wurden auf dem Parteitag der SPD erneut zum Vorsitzenden-Duo gewählt.Bild: imago images / dts Nachrichtenagentur
Vor Ort
10.12.2023, 15:3313.12.2023, 08:55
Dafür, dass die Bahnen am Freitag nicht fahren, ist es wirklich voll in der Halle. Die Delegierten sind beschlussfähig – und womöglich zum Großteil bereits seit Donnerstag da. Die Sozialdemokrat:innen treffen sich an diesem Wochenende Anfang Dezember in Berlin zum Parteitag.
Es geht um viel: Die Umfragewerte der SPD sind im Keller, die Zustimmungswerte für Kanzler Olaf Scholz ebenfalls. Zugleich sehen sich Regierung und Land mit diversen Krisen konfrontiert. Seit wenigen Wochen stehen die Koalitionär:innen auch noch vor einem 60 Milliarden Euro tiefen Haushaltsloch.
Das Bundesverfassungsgericht hat Mitte November entschieden, dass die Umwidmung von Coronanothilfen aus dem Jahr 2021 in einen Klima- und Transformationsfonds verfassungswidrig war. Woher nun also das fehlende Geld für Klimaschutz und Transformation nehmen? Darüber ist sich die Koalition bislang uneins. Einen Haushalt für 2024 gibt es noch nicht.
Die Genoss:innen wollen auf diesem Parteitag eine sozialdemokratische Zukunftsvision beschließen. Einen neuen SPD-Sound. Ein Schritt nach links, bei dem es auch darum geht, die Schuldenbremse einzumotten oder zumindest zu reformieren und Superreiche stärker in die Finanzierung des Sozialstaates und der dringend notwendigen Transformation einzubinden. Zwei Themen, die für Diskussionen innerhalb der Partei führen.
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Die Redner:innen-Liste zur Aussprache ist lang. Und so wird der Streit um die einmalige Vermögensabgabe und die Schuldenbremse im Plenum ausgetragen – zwischen jenen, die das in der Verfassung Festgeschriebene reformieren möchten, und jenen, die es loswerden wollen. Einig sind sich allerdings alle: Es muss mehr investiert werden – und dabei darf niemand zurückgelassen werden. Politik für die Millionen, statt für die Millionäre quasi. Sozialdemokratische Lehre, wie sie im Buche steht.
Streit um Schuldenbremse wird durch Deutungsfreiheit gelöst
Letztlich setzt sich der Änderungsantrag, für eine einmalige Vermögensabgabe für die Reichsten im Land zu kämpfen, durch – gegen die Empfehlung der Antragskommission. Ein kleines Beben. Und auch die Schuldenbremse soll wohl mindestens reformiert werden – die SPD wolle künftig für eine zweidrittel Mehrheit im Bundestag kämpfen, um dieses Ziel umzusetzen. Nur so ist eine Änderung im Grundgesetz möglich.
Konkret heißt es im beschlossenen Antrag:
"Starre Begrenzungen der Kreditaufnahme von Bund und Ländern, wie wir sie derzeit in den Verfassungen vorfinden, lehnen wir ab. Sie verhindern Investitionen und beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit des Staates."
Am Ende allerdings, so macht es den Eindruck, interpretiert jede Interessengruppe diese Formulierung, wie es ihr beliebt. Während die Jusos den Kampf zur Abschaffung der Schuldenbremse feiern, ist aus anderen Ecken der Partei Freude darüber zu hören, dass das Instrument reformiert werden soll. Eindeutiger wurde es mit Blick auf die Schuldenbremse 2024; zumindest da wollen die Sozialdemokrat:innen unisono eine weitere Aussetzung.
SPD demonstriert Geschlossenheit
Der Partei geht es offensichtlich darum, Geschlossenheit zu demonstrieren. Gerade in Krisenzeiten brauche es eine geschlossene SPD, erklärt Kanzler Scholz in seiner Rede. Aus der Partei heißt es immer wieder an diesem Wochenende: Man habe aus dem Umgang mit Andrea Nahles gelernt. Die SPD könne nur gemeinsam stark sein kann. In diesen Krisenzeiten, so wirkt es auf dem Parteitag, erkennt die SPD ihre staatspolitische Verantwortung.
Wovon hinter all der demonstrierten Einigkeit verschwindend wenig zu hören ist: Selbstkritik. Die einzigen, die sich offensiv trauen, zu meckern sind die Jusos. Das wollen einige der Delegierten in dieser Deutlichkeit wohl aber auch nicht hören; groß womöglich die Sorge, dass eine offene Flanke die SPD schwächen könnte. Die Sozialdemokratie angreifbar machen könnte, wenn sich Genoss:innen untereinander angriffen. Kritik ja, es kommt aber wohl auch auf den Ton an. Mareike Engel aus Sachsen wird bei ihrer emotionalen Antwort auf die Rede Olaf Scholz' sogar ausgebuht.
Bei seiner Rede hat Kanzler Scholz viele Genoss:innen mitgenommen, aber die Jusos äußern auch massive Kritik.Bild: imago images / Florian Gärtner/photothek
In ihrer Rede berichtet Engel von ihrer Heimat Sachsen. Sie macht deutlich: Wenn die Lage der SPD in Deutschland schwierig ist, ist sie im Osten existenzgefährdend. Und für die schlechten Zustimmungswerte macht sie auch Scholz selbst verantwortlich. Der soziale Zusammenhalt bei ihr vor Ort bröckele, die Menschen wendeten sich von der Demokratie ab, "und dafür bist auch du verantwortlich", adressiert Engel den Kanzler. Einige Genoss:innen buhen. Engel fährt fort: Die Regierung in Berlin müsse endlich "ordentliche Politik" machen, sonst würden die Ost-Wahlen 2024 eine Katastrophe.
Ansonsten viel Bauchpinseln und eine Abschiebung von Verantwortung auf die Union. Man müsse nun aufarbeiten, was in den vergangenen 16 Jahren nicht angegangen wurde – dass die SPD davon 12 Jahre mitregiert hat, bleibt meist unerwähnt. Oder es wird erklärt, man sei ja nur der Juniorpartner gewesen. Egal offensichtlich, dass Scholz von 2018 bis 2021 Finanzminister war. Wie mächtig dieser Posten tatsächlich ist, demonstrieren Christian Lindner und die FDP aktuell eindrücklich.
Bei der Debatte um den Leitantrag "Zusammen für ein starkes Deutschland", kommt zwischenzeitlich das Gefühl auf, die SPD sucht nach jemanden, der in der aktuellen Haushaltskrise eine Richtung weisen könnte. Einen sozialdemokratischen Kanzler, der ein Machtwort sprechen könnte, womöglich? So sieht es offensichtlich auch Juso-Chef Philipp Türmer. Er fordert von Scholz mehr Führung – und eine Abkehr von der Moderation zwischen Grünen und FDP in Sachen Haushalt.
Blick in die Vergangenheit für eine sozialdemokratische Zukunft
Rolf Mützenich räumt in seiner Rede ein, Putins Imperialismus unterschätzt zu haben – Selbstkritik, verbunden mit einem auf dem Fuße folgenden Aber: Jene, die nun behaupteten, es schon immer gewusst zu haben, wollten sich reinwaschen, meint er. Aus Fehlern müsse man lernen und dafür müsse man sie auch anerkennen.
Eine Binsenweisheit, die auf diesem Parteitag wenig Beachtung findet. In ihrer Bewerbungsrede geht auch Saskia Esken vor allem auf Konfrontation mit der Union. Der Transformationsstau, den die Ampel nun zu stemmen habe, liege an den vergangenen 16 Jahren. Mit der Merz-CDU gebe es heute die populistischste Opposition aller Zeiten.
Lars Klingbeil (v.l.), Saskia Esken und Kevin Kühnert wurden von ihrer Partei wieder an die Spitze gewählt.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Am Ende verlässt sie ihre Stimme, ein Frosch im Hals macht ihr wohl das Reden schwer; Esken kämpft sich durch. Vielleicht ist das auch ein Sinnbild der Partei: Weiterkämpfen, auch wenn die Umstände widrig sind. Der Applaus am Ende ist verhalten. Gewählt wird Esken dennoch mit 82,6 Prozent der Stimmen, ein stärkeres Ergebnis als 2021. Auch Lars Klingbeil als Co-Vorsitzender (85,6 Prozent) und Kevin Kühnert als Generalsekretär (92,55 Prozent) werden im Amt bestätigt.
Bei der Bewerbungsrede Klingbeils ist die Euphorie der Genoss:innen spürbar. Der Inhalt: Viel Geschichte der Sozialdemokratie und der Bogen zu den aktuellen "historischen" Krisen. Die Sozialdemokratie sei immer wieder aufgestanden und auch jetzt ginge es darum, Verantwortung in der Geschichte zu übernehmen. Und deren Fortgang mit "sozialdemokratischer Handschrift" zu gestalten.
Im kommenden Jahr wollen die Sozialdemokrat:innen bei allen Wahlen kämpfen, auch in Ostdeutschland. Sie wollen Lösungen präsentieren, um die Menschen zu erreichen, dafür sprechen sich etwa Parteichef Klingbeil oder auch Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern aus. Man müsse die AfD inhaltlich stellen. Eine Partei, die im Osten mittlerweile bei 32 Prozent in den Umfragen liegt – und schon lange kein Ost-Phänomen mehr ist.
Die SPD, stellt Klingbeil klar, ist und bleibt das Bollwerk gegen die AfD. Die Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden im Herbst 2024 zeigen, ob die SPD ihre neue Zuversicht und ihre Visionen schnell genug unters Volk bringen konnte.